Die Vermessung des Ichs

Oldenburg · Gut geschlafen? Heute schon genug bewegt? Viele Menschen müssen da erstmal ihr Smartphone oder ihren Schrittzähler fragen. Die tägliche Selbstvermessung soll zu einem gesünderen Leben verhelfen, so die Programmierer dieser Software. Einen Beweis dafür gibt es bisher jedoch nicht.

 Bei Sportlern stehen Fitness-Armbänder hoch im Kurs. Foto: Fotolia

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Nachts überwachen Sensoren den Schlaf. Ein Schrittzähler misst tagsüber, wie viel man sich bewegt. Das Smartphone zeichnet beim Sport Kalorienverbrauch und Leistung auf. Dieser Trend wird mit den Fachbegriffen "Self-Tracking" oder "Quantified Self" bezeichnet. Unzählige Apps und technische Geräte helfen dabei, sich selbst zu vermessen. Laut einer Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom zeichnen derzeit 31 Prozent der Deutschen Gesundheitsdaten mit Apps , Schrittzählern oder Computer-Uhren auf. Viele Menschen sehen die Erfassung dieser Daten als Motivation, sich mehr zu bewegen und gesünder zu leben. Doch kann das überhaupt dauerhaft funktionieren?

Genau das wollen Informatiker der Uni Oldenburg herausfinden. Sie untersuchen zurzeit, ob Schrittzähler und andere Geräte dazu beitragen können, ein größeres Bewusstsein für einen gesunden Lebensstil zu entwickeln. "Neues Verhalten fängt an, sich nach 100 Tagen zu stabilisieren", sagt Professor Susanne Boll-Westermann. Nach drei Monaten drohe aber auch der berühmte Knick. Das Neue verliert seinen Reiz. Man vergesse, das Gerät anzulegen. Irgendwann lande es in der Schublade.

Langzeitbeobachtungen zur Wirksamkeit von Self-Tracking gebe es nach Angaben von Boll-Westermann bisher kaum. Mit ihrem Kollegen Jochen Meyer hat sie sieben Testpersonen zwischen 35 bis 65 Jahren mit Schrittzählern, Körperfettwaagen und Schlafsensoren ausgestattet. Sechs Monate lang sollen sie die Geräte regelmäßig nutzen. Einmal im Monat müssen die Tester einen Fragebogen ausfüllen.

Eine von ihnen ist Andrea Vieregge. Vor allem den Schrittzähler empfindet die 44-Jährige als zusätzliche Motivation. Sie habe immer schon versucht, viel zu Fuß zu gehen. Aber im Winter sei der innere Schweinehund sehr groß. Jetzt fällt ihr die Überwindung leichter. Auch die anderen Testpersonen schätzen ein gesundes Leben positiver ein, wie die ersten Ergebnisse ergeben haben. Doch ob das so bleibt oder mit der Zeit eine Abnutzung eintritt, wird sich erst nach Ende der Studie im Sommer zeigen.

Die Informatiker sehen auch danach noch viel Forschungsbedarf zur digitalen Vermessung des Ichs. "Wir sind aus meiner Perspektive erst am Anfang einer Ära", sagt Boll-Westermann. Bisher messen die Geräte und Apps meist nur einzelne Werte, die man selbst interpretieren müsse.

In einer weiteren geplanten Untersuchung wollen Boll-Westermann und Meyer Testpersonen motivieren, regelmäßig kleine Übungen zu absolvieren. Ein Signal mache sie darauf aufmerksam. Die Forscher wollen herausfinden, was dafür der beste Zeitpunkt ist.

Es könnte künftig auch Programme geben, die frühzeitig Alarm schlagen, wenn man über einen längeren Zeitraum schleichend Gewicht zunehme oder sich Blutwerte veränderten, erklärt Gesundheitsberater Florian Schumacher, der die Webseite "Quantified Self Deutschland" betreibt. Oder Nutzer könnten ermutigt werden, mal eine Haltestelle früher auszusteigen und den Rest zu laufen oder ein paar Liegestütze mehr zu versuchen.

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