Die Pokémons erobern auch das Saarland

Kleine Fantasiewesen aus einem japanischen Computerspiel treiben Menschen auf der ganzen Welt auf die Straße. Mithilfe ihres Smartphones jagen sie in der echten Welt nach Pokémons. Wir haben eine SZ-Mitarbeiterin auf die Jagd geschickt.

Der Anblick von Menschen, die in der Öffentlichkeit auf ihr Smartphone starren, statt ihre Umgebung wahrzunehmen, gehört inzwischen zum Alltagsbild. Seit ein paar Tagen zeigt sich allerdings ein neues Schauspiel auf saarländischen Straßen: Menschen, deren Blick hektisch zwischen Bildschirm und Bordstein hin- und herwechselt, Köpfe, die verschwörerisch zusammengesteckt werden, und zwischendurch immer wieder ein Aufschrei: "Da, ein Pokémon". Dank des Smartphone-Spiels Pokémon Go ist es nahezu unmöglich geworden, dem Begriff zu entkommen.

"Pokémon" ist ein Kunstwort aus "Pocket Monster" - Taschenmonster. Die kleinen Fantasiewesen tauchten 1996 erstmals in einem Videospiel aus Japan auf. Die Monster sind darauf versessen, gegeneinander zu kämpfen. Der Spieler - der "Pokémon"-Jäger - fängt sie mit Hilfe weiß-roter Bälle ein, sammelt und trainiert sie. In sogenannten Arenen treten Pokémon-Teams gegeneinander an. Insgesamt gibt es mehr als 700 Figuren.

Seit einer Woche gibt es die neueste Spielvariante Pokémon Go in Deutschland als Anwendung für Smartphones und Tablet-Computer. Jetzt wird das klassische Spielprinzip mit modernen technischen Möglichkeiten verbunden. Es ist wohl die Mischung aus realen Effekten und dem nostalgischen Flair der 90er, die viele Spieler zurück in die Kindheit reisen lässt.

Der Clou der aktuellen Spiele-Version aus dem Jahre 2016 ist die Standort-Erkennung (GPS) auf dem Smartphone. Die Monster verstecken sich an verschiedenen Orten - der Spieler sieht sie, wenn er in der Nähe ist. Dann werden die Figuren auf dem Display des Telefons in die echte Umgebung eingeblendet ("Augmented Reality"). Mitunter sammeln sich große Menschenmengen an Orten mit populären Pokémon an.

Was ist nun dran an der Aufregung um das Spiel? Das kann nur ein Selbstversuch beantworten. Los geht's: Ich gehe also durch Saarbrücken und mein virtuelles Ich geht in der App mit. Am Saarufer vibriert das Smartphone - ein Pokémon ist ganz in der Nähe. Ich bewege mich darauf zu und tippe es an. Das Taubsi, ein gelbes Vögelchen, erscheint auf meinem Bildschirm, direkt in das Bild der realen Welt eingebaut. "Augmented reality", gesteigerte Wirklichkeit, nennt sich das. So können die bunten Tierchen auf einer Parkbank sitzen oder im Café. Das Taubsi fange ich ein. Ziel von "Pokémon Go" ist es, mindestens eins von jeder Pokémon-Art zu fangen.

Kurz darauf stehe ich Auge in Auge einer braunen Raupe mit rosa Nase gegenüber - mitten auf dem Vorplatz des Saarbrücker Staatstheaters. Ich beginne, das Tier mit weiß-roten Bällen zu bewerfen. Es versucht auszuweichen. Ich fange es trotzdem. Geschafft! Ein weiteres Pokémon in meiner Sammlung.

Als nächstes probiere ich etwas Neues. Ich nutze das Lockmodul, damit um mich herum zeitweise mehr Pokémon auftauchen. Das hat Folgen. Denn auch andere Spieler erkennen, dass diese Funktion gerade genutzt wird, und strömen zur Luisenbrücke, um einige Pokémon abzusahnen. Ich eile weiter. Die App zeigt mir einen Poké-Stop an. Diese befinden sich an Denkmälern, ungewöhnlichen Orten oder Sehenswürdigkeiten. Spieler können dort nicht nur Poké-Bälle sammeln, sondern auch ein Pokémon-Ei erhalten. Fünf Kilometer muss ich gehen, dann ist es ausgebrütet und das Tier schlüpft.

Langsam fange ich an, das Spiel echt gut zu finden. Ich lerne Saarbrücken mal richtig kennen, finde geheime Plätze, denen ich sonst wohl keine Aufmerksamkeit geschenkt hätte, und werde zur Bewegung angeregt. Ohne "Pokémon Go" würde ich nach der Arbeit nämlich den schnellsten Weg nach Hause wählen. Aber die App sagt mir, dass ich nur noch einen halben Kilometer laufen muss, um mein Pokémon auszubrüten. Also mache ich einen Umweg. Schummeln ist dabei fast unmöglich. Kilometer, die man mit der Bahn oder dem Auto zurücklegt, werden nicht berechnet. Dann spricht mich eine Frau an und fragt, ob ich denn ein Pikachu auf der Straße gesehen hätte. Ich schmunzle. Sieht man mir dieses Spiel so an? Ein genauer Blick auf die Umgebung zeigt mir aber, wie schnell sich der Pokémon-Effekt ausgebreitet hat: Fast jeder Zweite scheint auf Monster-Jagd zu sein. Mit "Pokémon Go" kann man wirklich viel entdecken - aber auch viel verpassen. Ich merke, wie ich nur noch auf den Bildschirm starre und fast eine Gruppe Jugendlicher anremple. Ich muss darauf achten, mein echtes Umfeld nicht aus den Augen zu lassen. Nur weil sich ein seltenes Monster auf einer sechsspurigen Straße befindet, sollte man nicht einfach hinlaufen. Ohnehin ist die Platzierung der Pokémon nicht immer unproblematisch. Fee-, Geist- oder Psycho-Pokémon etwa sind an Friedhöfen, Kirchen, Krankenhäusern oder Mahnmalen zu fangen. Das wirkt pietätlos.

Zu bedenken ist auch, dass die App bei einer Anmeldung über das Google-Konto Zugriff auf zahlreiche Daten der Nutzer bekommt, die unter bestimmten Umständen an Dritte weitergegeben werden. Es lohnt sich also, die Datenschutzbestimmungen einmal in Ruhe durchzuarbeiten. Oder sich über ein Pokémon-Trainer-Konto anzumelden, das Fans dieses Spiels schon durch frühere Versionen besitzen.

Trotzdem: Pokémon Go macht nicht nur Kindern, sondern auch Erwachsenen Spaß. Für Eltern heißt es also: Statt sich allzu sehr zu sorgen, ob das Spiel kindgerecht oder gefährlich ist, ist es wohl das Beste, es einfach mit dem Nachwuchs gemeinsam anzugehen.

Nach den ersten Solo-Erfahrungen gehe ich jetzt auch gemeinsam mit Freunden auf die Jagd. Da wir uns die Pokémon nicht gegenseitig wegnehmen, sondern unabhängig voneinander die Chance haben, sie zu fangen, entsteht keine Konkurrenz. Auch das macht große Veranstaltungen möglich, wie am Samstag, als sich hunderte Fans in Saarbrücken versammelten, um gemeinsam Monster zu fangen. So hat sich um "Pokémon Go" innerhalb kürzester Zeit eine große Internet-Gemeinschaft gebildet, insbesondere über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter .

Zurück in der Redaktion, öffne ich noch einmal die App. Ich kann es mir nicht verkneifen zu schauen, was hier an kleinen Monstern zu finden ist. Und tatsächlich, direkt am Eingang sitzt eins. Natürlich muss ich es fangen - ich bin wohl dem Pokémon-Fieber verfallen. Wie heißt es in einem alten Lied: "Gotta catch ‘em all". Du musst sie alle fangen!

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