Die Magie der Wundheilung

Stuttgarter Forscher haben den Mechanismus der Wundheilung aufgeklärt. Sie fanden heraus, wie Rettungszellen nach einer Hautverletzung vorgehen, um eine Wunde zu schließen.

Stuttgart. Einer muss der Erste sein. Wenn sich ein Sprinter aus dem Pulk eines Marathons oder der Tour de France absetzt, heften sich oft andere an seine Fersen. Bei biologischen Prozessen wie der Wundheilung ist das ähnlich. Einige Zellen ziehen los, andere folgen und langsam verheilt die Verletzung. Doch es gibt bei Diabetikern und älteren Menschen auch Wunden , die sich kaum oder nicht mehr schließen. Was geschieht da? Im Zentrum des Interesses der Forscher steht mittlerweile ein Merlin genanntes Molekül, das eher aus Zufall den Namen des Magiers aus britischen Mythen trägt. Die Substanz war in der Medizin bislang als Tumorunterdrücker bekannt. In der Wundheilung scheint Merlin die Hauptrolle bei Wanderungen von Zellen zu spielen, durch die sich eine Wunde schließt.

Mechanismen der Zellkommunikation gehören zu den Forschungsgebieten von Joachim Spatz. Er ist Direktor am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart und Professor an der Uni Heidelberg. Löst sich eine Zelle aus einem Verband, so entstehen Spannungen, auf die Merlin reagiert. "Das Protein verlässt seinen angestammten Platz in der Zellmembran und diffundiert in Zellinnere", erklärt Spatz. Dadurch wird eine Kaskade anderer molekularer Prozesse angestoßen. Den freien Platz in der Membran nimmt ein anderes Signalmolekül ein und sorgt dafür, dass sich weitere Zellfortsätze ausbilden, an die andere Zellen andocken. Insgesamt entstehen so 20 bis 30 Zellen umfassende Formationen, die einer Führungszelle folgen. Pro Millimeter Wundrand einer Hautverletzung laufen ein halbes Dutzend Führungszellen samt Anhang los.

Mit einer speziellen molekularbiologischen Technik haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass unter 50 möglichen Proteinen allein Merlin für die kollektive Zellmigration und Wundschließung verantwortlich ist. Wird Merlin ausgeschaltet, löst sich die Formation auf, die Zellen vagabundieren wild umher. Bei Krebszellen könnte dieser Prozess die Bildung von Tochtergeschwülsten fördern, folgern die Forscher. Da Merlin durch mechanische Reize aktiviert wird, überlegen die Forscher, wie sich dies für die Wundheilung nutzen lässt.

In einem Projekt wollen die Wissenschaftler den Führungszellen helfen, voranzukommen. Eine Hautabdeckung soll Spannungen erzeugen und so Merlin aktivieren. Noch ist nicht geklärt, aus welchem Grund die Größe einer Zellformation auf 20 bis 30 Einheiten beschränkt ist. "Vielleicht können wir auch größere Wanderkollektive erzeugen", überlegt Spatz. "Wir müssen uns aber auch die grundsätzliche Frage stellen, was eine gute Wundheilung ausmacht." Ist es förderlich, wenn die Heilung sehr schnell abläuft, oder aber langsam und mit besser organisiertem Gewebe und geringer Narbenbildung? Mit Merlin haben die Stuttgarter Forscher jetzt jedenfalls einen Ansatz gefunden, den Zauber der Wundheilung ein wenig besser zu verstehen.

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