Die Abhöranlage im Kinderzimmer

Saarbrücken · Ein juristisches Gutachten der Universität des Saarlandes übt scharfe Kritik an einem Kinderspielzeug. Unbefugte könnten sich problemlos in die Internetverbindung der Puppe „My friend Cayla“ einklinken.

 Mit simpelsten Mitteln können Spione auf diese internetfähige Puppe zugreifen, warnt der Saarbrücker Jura-Student Stefan Hessel. Foto: Iris Maurer

Mit simpelsten Mitteln können Spione auf diese internetfähige Puppe zugreifen, warnt der Saarbrücker Jura-Student Stefan Hessel. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Sprachsteuerung gilt als der große neue Trend in der Technologie-Welt. Geht es nach dem Willen der Hersteller, werden elektronische Geräte künftig nicht mehr umständlich durch Knöpfe bedient, sondern reagieren auf Zuruf. Mehr noch: Durch Anbindung ans Internet sollen die Geräte "smart" werden, das heißt, sie sollen lernfähig sein und Fragen beantworten können. Dafür wurde extra eine neue Gerätekategorie erfunden, die mangels eines besseren Namens als "vernetzte Lautsprecher" bezeichnet wird. Echo von Amazon oder Home von Google gehören in diese Kategorie. Aber auch Alltagsgegenstände werden technisch hochgerüstet. Zum Beispiel ein Kinderspielzeug.

"My friend Cayla" heißt solch ein onlinefähiges Spielzeug. Die Puppe verfügt über ein Mikrofon und einen Lautsprecher, so dass schon Kinder, die noch gar nicht schreiben können, über das Internet kommunizieren können. Bedenklich? Nicht nur das, sondern sogar illegal, wie Stefan Hessel, Jura-Student an der Universität des Saarlandes, jetzt in einer wissenschaftlichen Arbeit erklärt.

Nach Hessels Urteil, dass er in einem Gutachten veröffentlicht hat (www.jurpc.de/jurpc/show?id=20170013 ), handelt es sich bei "My friend Cayla" nicht um ein harmloses Spielzeug, sondern um eine getarnte Sendeanlage. Es gehöre damit zu jener Art von Spionagegeräten, die laut Telekommunikationsgesetz "ihrer Form nach einen anderen Gegenstand vortäuschen", aufgrund ihrer technischen Ausrüstung aber dazu genutzt werden könnten, private Äußerungen anzuhören oder aufzunehmen. Die Herstellung und der Vertrieb solcher Produkte ist laut Paragraf 90 des Telekommunikationsgesetzes in Deutschland verboten - und sogar ihr Besitz.

Das Problem an der Puppe: Sie ist ist per Bluetooth-Verbindung mit einem Smartphone verbunden, das wiederum per App die Verbindung ins Internet herstellt. "Der Zugriff auf die Puppe ist völlig ungesichert", erläutert Stefan Hessel. "Es gibt kein Passwort, das die Verbindung schützt. In einem Umkreis von zehn bis 15 Metern könne sich jeder über die Bluetooth-Verbindung mit seinem Gerät in die Verbindung einklinken. Hessel hat es selbst ausprobiert. Auch Zimmer- und Hauswände habe er dabei überwinden können. Eindringlinge könnten so die Äußerungen der Kinder abhören und aufzeichnen und sogar mit ihnen sprechen.

Die Technik verbirgt die Puppe in ihrem Innern, Kleider verdecken den Lautsprecher. "Die Puppe vermittelt für sich genommen den Eindruck, dass es sich um ein gewöhnliches Kinderspielzeug ohne technische Funktion handelt", sagt Hessel. Zwar soll die Halskette der Puppe leuchten, wenn das Mikrofon eingeschaltet ist. "Zum einen funktioniert dieses Signal nach Herstellerangabe bei einigen Android-Geräten nicht, so dass die Halskette trotz eingeschaltetem Mikrofon nicht leuchtet. Zum anderen kann das Leuchten mittels der App ausgeschaltet werden", sagt Hessel. Aus technischer Sicht sei es somit möglich, auf das Mikrofon zuzugreifen, ohne dass dies angezeigt wird.

Hessel hat sein Gutachten an die Bundesnetzagentur weitergereicht. Pressesprecher Olaf Peter Eul bestätigt: Die Puppe erfüllt alle Kriterien eines verbotenen Spionagegerätes. Und das habe durchaus weitreichende Folgen. Denn wer ein solches Gerät verkauft oder besitzt, macht sich strafbar. Es drohen laut Paragraf 148 des Telekommunikationsgesetzes bis zu zwei Jahre Haft, erklärt Stefan Hessel. Um dem zu entgehen, müssen die Geräte vernichtet werden. Mit einem Vernichtungsnachweis müsse dies eventuell dokumentiert werden, so die Bundesnetzagentur.

Die Bitte der Redaktion um eine Stellungnahme an die Firma Vivid, die die Puppe in Deutschland vertreibt, blieb unbeantwortet. Eine Reaktion auf die Kritik lässt sich aber indirekt feststellen: Auf der Seite myfriendcayla.de lässt sich der Button "Wo kann man Cyla kaufen" nicht mehr aufrufen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Puppe in die Kritik geraten ist. Norwegische Datenschützer haben schon im Herbst vergangenen Jahres auf die Datenschutz-Probleme hingewiesen. Stefan Hessel erläutert das Verfahren: Fragen der Kinder würden über die App in die USA gesandt und in eine Text-Datei konvertiert. So lasse sich in Wikipedia-Artikeln nach Antworten fahnden. Der Hersteller würden allerdings die Anfragen speichern und sich das Recht herausnehmen, sie an Dritte weiterzugeben.

Das kritisieren Verbraucherschützer auch an Geräten wie dem vernetzten Lautsprecher Echo von Amazon. Dessen Sprachprogramm Alexa leite Informationen in einen Online-Speicher, der sich auch im Ausland befinden könne, warnt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Doch würden die Daten den landeseigenen Datenschutzbestimmungen unterliegen, die nicht unbedingt den Standards in Deutschland entsprechen. Auch Gäste im Raum könnten bei einem eingeschalteten Gerät ausgehorcht werden.

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Zum Thema:

Bundesnetzagentur hilft bei Verbraucherfragen Wer sich unsicher ist, ob sein Kinderspielzeug als illegales Spionagegerät eingestuft wird, kann sich an die Bundesnetzagentur wenden. Auf www.bundesnetzagentur.de finden Nutzer ein Kontaktformular, über das sie ihre Fragen an die Agentur senden können. Sie müssen dafür über den Menüpunkt Kontakt das Kontaktformular Telekommunikation auswählen. www.bundesnetzagentur.de

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