Kritik an der „stillen SMS“ Der stille Spion auf dem Smartphone

Berlin · Sie kommt unbemerkt und kennt jederzeit den Standort des Handy-Besitzers – die „stille SMS“. Vereine und Parteien kritisieren das Überwachungsinstrument der Polizei. Der Bundesgerichtshof bestätigte jedoch den Einsatz.

 Oftmals wissen Betroffene nicht, dass sie vom BKA mit einer stillen SMS überwacht werden.

Oftmals wissen Betroffene nicht, dass sie vom BKA mit einer stillen SMS überwacht werden.

Foto: dpa/Peter Kneffel

Stille Post ist ein beliebtes Kinderspiel, „stille SMS“ dagegen sind ein Überwachungsinstrument zur Handy-Ortung, das Ermittler hin und wieder einsetzen. Die stillen SMS verdanken ihren Namen dem Umstand, dass betroffene Handy-Besitzer diese nicht bemerken. Geht eine stille SMS ein, wird das Mobiltelefon dazu veranlasst, heimlich den genauen Standort preiszugeben, indem es beim nächsten Sendemast signalisiert, wo es sich gerade befindet, wie das Nachrichtenmagazin Spiegel berichtet. Demnach lassen sich mit den so erzeugten Standortdaten Bewegungsprofile anlegen, wenn die Behörden mehrere der Ortungsimpulse an denselben Empfänger schicken. Sofern keine Gefahr im Verzug ist, dürfen Ermittler stille SMS nur auf richterliche Anordnung verschicken.

In der ersten Hälfte dieses Jahres verschickten deutsche Behörden mindestens 103 070 der heimlichen Ortungsimpulse. Diese Informationen entstammen einer kürzlich veröffentlichten „Kleinen Anfrage“ der Bundestagsfraktion der Linkspartei. Während sich der Bundesverfassungsschutz „stiller SMS“ 103 000 Mal bediente, verschickten das Bundeskriminalamt (BKA) im gleichen Zeitraum 31 000 Ortungsimpulse und die Bundespolizei knapp 39 000. Inwiefern auch Bundesnachrichtendienst und Zoll von der Methode Gebrauch machten, hat die Bundesregierung als geheim eingestuft. Das gilt auch für die Anzahl der betroffenen Personen und Ermittlungsverfahren.

Weiterhin erhielt die Linkspartei auf ihre Anfrage die Zahl der Funkzellenabfragen. Diese erheben, welche Mobilfunkgeräte sich zum Zeitpunkt der Abfrage in einem bestimmten Gebiet befinden. Die Maßnahme könnte auch viele unbeteiligte Bürger treffen und wurde deshalb in der Vergangenheit bereits von Datenschützern kritisiert. Das BKA führte laut Bundesregierung in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 20 Funkzellenabfragen durch, die Bundespolizei 64 und der Zoll 39. Genaue Angaben zur Nutzung noch tiefgreifenderer Überwachungsinstrumente, die das Abhören von Telefongesprächen ermöglichen, sowie des Staatstrojaners, der noch tiefere Einblicke ermöglicht, unterliegen ebenfalls der Geheimhaltung.

Es ist schwierig, sich gegen die Überwachung zur Wehr zu setzen. Es existieren zwar Smartphone-Apps wie Snoopsnitch und Cell Spy Catcher, die den Empfang stiller SMS und andere Fremdzugriffe entdecken und protokollieren. Diese Apps haben jedoch Schwachstellen, wie ein Forschungsprojekt der Technischen Universität Berlin in Kooperation mit der Oxford University festgestellte. Die Anwendungen ließen sich demnach täuschen, sodass Fremdzugriffe trotzdem unerkannt blieben. Am sichersten sei es, nicht nur das Handy auszuschalten, sondern auch SIM-Karte und Akku zu entfernen, berichtet die taz.

Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhof warnt auf Anfrage unserer Zeitung vor einer zu umfangreichen Nutzung digitaler Überwachungsmethoden. Sie gestehe den Sicherheitsbehörden zwar zu, mit der technischen Entwicklung Schritt halten zu müssen. Wer Straftaten begehe, müsse mit polizeilicher Verfolgung rechnen, so Voßhof. Doch sie stellt klar: „Wer unbescholten ist und keinen Anlass gegeben hat, der muss im Rechtsstaat vor unverhältnismäßiger Überwachung geschützt werden.“ Die Datenschutzbeauftragte kritisiert zudem, dass gerade heimliche Ermittlungen die Rechte der Betroffenen verletzen könnten, denn wer nichts von seiner Überwachung erfahre, könne keinen Anwalt einschalten. Voßhof wünscht sich daher, die Befugnisse der Ermittlungsbehörden stärker einzugrenzen.

Als Grundlage verschiedener Methoden der Überwachung von Handys dient Paragraph 100i der Strafprozessordnung. Stille SMS werden dort zwar nicht ausdrücklich genannt, was daran liegt, dass diese Überwachungsmethode noch nicht bekannt war, als diese Vorgaben im Jahr 2002 beschlossen wurden. Doch die damalige rot-grüne Regierung trug dem zu erwartenden Fortschritt Rechnung, indem sie die offene Formulierung „technische Mittel“ wählte. So jedenfalls sieht es der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom Februar dieses Jahres. Darin erklären die Richter nicht nur die technische Funktionsweise stiller SMS, sondern bestätigen auch, dass deren Einsatz in Ermittlungsverfahren rechtmäßig ist. Ob dies auch für den Staatstrojaner gilt, muss nun das Bundesverfassungsgericht klären.

Sowohl der unabhängige Verein Digitalcourage, der sich seit 30 Jahren für Bürgerrechte und Datenschutz einsetzt, als auch Mitglieder der Bundes-FDP halten diese Form der Überwachung für einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte. Beide legten daher Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. „Wer Smartphones heimlich beobachtet, forscht letztlich die Gedankenwelt der Nutzer aus und kann Persönlichkeitsbilder erstellen, die umfangreicher und gläserner nicht sein können“, sagt Rena Tangens, Vorstandsmitglied und Gründerin von Digitalcourage. 

Marco Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der FDP, sieht im Staatstrojaner eine Gefahr für die Menschenwürde. In einer Stellungnahme wirft er der Bundesregierung vor, bewusst die Grenzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu übertreten. „Das Gesetz haben Union und SPD klammheimlich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion durch den Bundestag gepeitscht.“ Mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die sich für Grundrechte engagiert, gibt es eine dritte Gruppe, die eine eigene Beschwerde in Karlsruhe plant.

Holger Münch, der Präsident des BKA, bewertet den Einsatz des Staatstrojaners in bestimmten Fällen als angemessen. Gegenüber dem Handelsblatt sagte Münch, im Zeitalter verschlüsselter Kommunikation müsse eine Überwachung bei schweren Straftaten im Einzelfall und auf Grundlage einer richterlichen Anordnung möglich sein. Zu diesem Zweck habe das BKA selbst eine entsprechende Software entwickelt. „Dadurch wissen wir, dass die Software nur das kann beziehungsweise macht, was sie darf.“

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