Der Schnellzug wird zum Aufzug

Rottweil/Gijon · Ingenieure des Thyssen-Krupp-Konzerns wollen das Antriebssystem des Transrapids zum Bau von Aufzügen in kilometerhohen Hochhäusern nutzen. In zwei Testanlagen im spanischen Gijon und in Rottweil wird die Technik jetzt getestet.

 Im Hochhaus der Zukunft können Aufzüge senkrecht und horizontal verkehren. Foto: Thyssen-Krupp

Im Hochhaus der Zukunft können Aufzüge senkrecht und horizontal verkehren. Foto: Thyssen-Krupp

Foto: Thyssen-Krupp
 Der sogenannte Exchanger am Rücken jeder Aufzugskabine ermöglicht die Fahrt in mehrere Richtungen. Fotos: Thyssen/Krupp

Der sogenannte Exchanger am Rücken jeder Aufzugskabine ermöglicht die Fahrt in mehrere Richtungen. Fotos: Thyssen/Krupp

Wenn von Wolkenkratzern die Rede ist, weiß jedermann, was gemeint ist: ein himmelhohes Gebäude, dessen Spitze bei tiefhängender Bewölkung im Dunst verschwindet. Die Hochhäuser der Zukunft könnten bei schlechtem Wetter locker bis zur Hälfte in den Wolken verschwinden, denn Architekten planen Wolkenkratzer von bis zu einem Kilometer Höhe. Das stellt auch Ingenieure vor gewaltige Herausforderungen, die Techniken entwickeln müssen, um tausende von Menschen durch diese Türme zu befördern.

Bei etwa 800 Meter Höhe ist derzeit bei klassischen Aufzügen wegen des Gewichts der Stahlseile das Limit erreicht. Was tun? Der Thyssen-Krupp-Konzern will künftig in einem 244 Meter hohen Testturm in Rottweil und einer Anlage im spanischen Gijon die Technik für seillose Aufzüge in solchen Superhochhäusern entwickeln.

Das Multi genannte System arbeitet wie ein Paternoster. In einem Schacht bewegen sich mehrere Aufzugkabinen gleichzeitig in eine Richtung. Sie können jedoch individuell gesteuert werden und zwischen den Schächten wechseln. Die Technik, die das möglich macht, ist von der Magnetschwebebahn Transrapid abgeschaut: Ohne Seile bewegen sich die Kabinen mit der Kraft von Elektromagneten im Schacht.

"Dadurch erhöht sich die Transportkapazität pro Schacht um 50 Prozent", erklärt Andreas Schierenbeck, der Chef von Thyssen-Krupp-Aufzüge. Zugleich sinkt die Zahl der Aufzugsschächte im Hochhaus. Dessen Nutzfläche steigt damit um die Hälfte. Im nordspanischen Gijon, wo Thyssen-Krupp ein Entwicklungszentrum betreibt, hat das Ingenieur-Team von Schierenbeck nun erstmals einen funktionierenden Prototypen dieser Transrapidtechnik für die Vertikale vorgestellt.

Das Modell ist im Maßstab eins zu drei verkleinert. Die Kabinen sind so groß wie ein Kühlschrank. Drei davon bewegen sich schwebend durch drei Schächte. An der hinteren Kabinenwand sind zwei Führungselemente mit Permanentmagneten und eine zusätzlichen mechanischen Bremse in einem beweglichen Modul eingebaut, dem sogenannten Exchanger. Im Fahrstuhlschacht verlaufen zwei Antriebsschienen, die in die Führungselemente greifen und mit magnetischen Wechselfeldern die Kabine halten und bewegen. Das Konzept entspricht dem des Transrapid , wo Elektromagneten in der Fahrbahn den Zug bewegen. Ein Sensornetzwerk misst die Position des Fahrstuhls im Schacht tausendmal pro Sekunde.

Der Luftspalt zwischen Antriebsschienen und Führungselementen der Kabine beträgt zwei Millimeter. "Wir haben dafür ein sehr akkurates Führungssystem entwickelt", sagt Thyssen-Krupp-Forscher Markus Jetter. Aufzüge mit dieser Technik können sich nicht nur nach oben und unten bewegen, der sogenannte Exchanger ermöglicht es, die Kabine auch auf horizontale Strecken zu schicken. Aufzüge mit zwei Exchangern können dadurch auch den Schacht wechseln. Da der Exchanger frei drehbar ist, wären auch schräggestellte Aufzugsschächte denkbar, erklärt Karl-Otto Schöllkopf von Thyssen-Krupp.

Mit dem Magnetschwebe-Aufzug ist die Länge eines Aufzugsschachts prinzipiell unbegrenzt. Damit wären auch Gebäudehöhen jenseits der 1000-Meter-Marke möglich. Außerdem passt das Magnetschwebe-Konzept zum Trend im Hochhausbau, Gebäudeensemble in luftiger Höhe zu verbinden. "Wir brauchen für die Gebäude eine Vielzahl an Verknüpfungen", sagt Dario Trabucco, Gebäudeforscher von der Universität in Venedig. Das hat zwei Gründe: Die Architekten wollen Ensembles von Hochhäusern zu Städten verbinden - nicht nur auf Erdgeschossebene. Außerdem lassen sich eng verwobene Gebäude besser evakuieren, etwa wenn es brennt. "Hochhäuser brauchen nicht mehr als Solitär allein zu stehen", erklärt Trabucco. Dem schließt sich auch Karl-Otto Schöllkopf von Thyssen-Krupp an. Im Jahr 2050 werden Prognosen zufolge etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Derzeit sind es 50 Prozent. Damit werde die Nachfrage nach Hochhäusern steigen. "Es gibt einen Trend zu Gebäuden über 300 Meter", erklärt Schöllkopf. Und die Architekten wollen in diese Wolkenkratzer immer stärker verschiedene Angebote des täglichen Lebens integrieren und sie damit zu kleinen Städten machen, mit Geschäften, Hotels, Restaurants und Einrichtungen zur medizinischen Versorgung, mit Fitness-Studios, Büros und Wohnungen.

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