Der Leibwächter fürs Internet

Forscher der Saar-Universität und der beiden Informatik-Institute der Max-Planck-Gesellschaft entwickeln Software, die das Internet sicherer machen soll. Der „Privacy Advisor“ wacht zum Beispiel über die Privatsphäre der Internet-Nutzer.

 Eine Forschergruppe der Saar-Uni und der Informatik-Institute der Max-Planck-Gesellschaft entwickelt Software, die wie ein digitaler Leibwächter die Privatsphäre eines Internet-Nutzers schützt. Ihr Sprecher ist der Saarbrücker Informatik-Professor Michael Backes. Foto: Oliver dietze, Illustration: Bernd Kissel

Eine Forschergruppe der Saar-Uni und der Informatik-Institute der Max-Planck-Gesellschaft entwickelt Software, die wie ein digitaler Leibwächter die Privatsphäre eines Internet-Nutzers schützt. Ihr Sprecher ist der Saarbrücker Informatik-Professor Michael Backes. Foto: Oliver dietze, Illustration: Bernd Kissel

Foto: Oliver dietze, Illustration: Bernd Kissel

Saarbrücken. Wenn es nach den Gurus der sogenannten Post-Privacy-Bewegung im Internet geht, ist "Datenschutz" eine Vokabel, die wir im Internet-Zeitalter vergessen sollten. Da ohnehin jeder Klick protokolliert und jede Suchanfrage gespeichert wird, sei es an der Zeit, von überkommenen Vorstellungen des 20. Jahrhunderts zu lassen und das Unvermeidliche zu begrüßen statt es zu bekämpfen. Auch ohne Privatsphäre lässt es sich in der digitalen Welt prima leben, lautet das Post-Privacy-Motto.

Die Mehrheit der Internet-Nutzer ist da allerdings ganz anderer Ansicht. Acht von zehn Onlinern, so eine gerade in der Schweiz publizierte Studie, ist im Internet Privatsphäre wichtig. Doch leider zweifeln gleichzeitig immer mehr Menschen daran, dass Privates im Netzwerk auch vertraulich bleibt. Die Hälfte habe bereits resigniert und fürchtet, man müsse sich damit abfinden, dass es künftig keine Privatsphäre im Netz mehr geben werde, zeigt die Studie der Uni Zürich.

Muss man? Keineswegs, antworten Michael Backes, Peter Druschel, Rupak Majumdar und Gerhard Weikum. Die vier Informatik-Professoren forschen an der Saar-Universität und den beiden Instituten der Max-Planck-Gesellschaft. Sie entwickeln in einem auf sechs Jahre angelegten Forschungsprojekt Technologien für ein sicheres Internet. Dazu soll unter anderem der "Privacy Advisor" beitragen, ein Programm, das wie ein digitaler Leibwächter über die Privatsphäre eines Internet-Nutzers wacht. Anders jedoch als im wirklichen Leben, wo Bodyguards Bedrohungen von außen abwehren, hat das digitale Pendant auch die Aufgabe, Internet-Nutzer vor sich selbst zu schützen - vor leichtfertigen Klicks in Online-Portalen und dem allzu sorglosem Umgang mit persönlichen Informationen, der heute bei jungen Menschen allenthalben an der Tagesordnung ist.

Informationen, die einmal in die Cloud, die Computerspeicher des Internets, gelangt sind, können beliebig oft kopiert werden und sind damit praktisch nicht mehr zurückzuholen. Suchprogramme werden immer besser in der Kunst, diese gewaltigen Datensammlungen, Stichwort Big Data, zu durchforsten.

Außer Informationen, die Internet-Nutzer freiwillig über sich preisgeben, hinterlassen sie bei jedem Seitenaufruf, bei jeder Online-Recherche oder beim Besuch eines sozialen Netzwerks auch ungewollt Datenspuren. Programme, die Inhalte von Suchanfragen verstehen, digitale Konversationen analysieren und selbstständig Verbindungen zwischen Texten herstellen können, versuchen, solche Datenschnipsel zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Wenn dabei am Ende nur noch wenige Puzzlesteine fehlen, kann unter Umständen eine einzige Suchanfrage nach einem ausgefallenen Thema oder die Eingabe eines Geburtsdatums in einem Online-Formular genügen, um durch Abgleich mit anderen Daten das Pseudonym eines Nutzers in einer Internet-Selbsthilfegruppe aufzudecken, erklärt der Saarbrücker Informatik-Professor Michael Backes. Das soll der Privacy-Advisor erkennen und davor warnen.

"Unser Vorstellungsvermögen reicht schon heute nicht mehr aus, die Konsequenzen aller unserer Aktivitäten im Internet vorherzusehen", so Backes. "Computerprogramme sind da viel besser. Sie können Risiken aufdecken, indem sie Folgen eines Internet-Eintrags erst einmal simulieren", erklärt der Informatiker. Stellt sich dabei heraus, dass einem Nutzer Konsequenzen drohen, die er als nicht akzeptabel einschätzt, warnt ihn sein persönlicher digitaler Agent.

Der Privacy Advisor ist Teil eines viel weiter reichenden Internet-Projekts der vier Informatik-Professoren. Sie wollen mit ihrem Forschungsprogramm imPACT eines der großen Probleme der digitalen Welt bekämpfen: den galoppierenden Vertrauensschwund. Zwar überwiegen aus Sicht der Internet-Nutzer dessen Vorteile die Nachteile bei weitem, doch über 70 Prozent haben Angst vor Computerviren, zwei Drittel fürchten Überwachung und mehr als die Hälfte sieht sich von Online-Betrügern und Daten-Piraten bedroht, die Netzwerk-Profile oder E-Mail-Konten kapern, zeigt eine Umfrage des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet. imPACT soll Techniken entwickeln, unter deren Schutz sich die Nutzer wieder geborgen fühlen können, so Michael Backes, Sprecher des Forschungsprogramms.

Das Projekt, für das die Forschergruppe gerade den mit zehn Millionen Euro dotierten höchsten EU-Forschungspreis gewonnen hat (wir haben berichtet), ruht auf vier Säulen. Außer dem Schutz der Privatsphäre ("Privacy") geht es unter dem Stichwort Verantwortlichkeit ("Accountability") um Verfahren, die verhindern sollen, dass im Schutz der Anonymität im Internet Straftaten begangen werden. Im Fokus stehen ferner die Verlässlichkeit von Internet-Diensten ("Compliance") und Methoden, die eine Garantie für korrekte Daten ermöglichen ("Trust").

Damit der Privacy Advisor über die Privatsphäre eines Internet-Nutzers wachen kann, muss der Mensch ihm erklären, was akzeptabel und was verboten ist. Das soll im Dialog mit der Software geschehen und nicht in Form komplizierter Programmierung, so Backes. "Im Dialog finden Menschen schnell heraus, was gut und was schlecht für sie ist." Wem das zu umständlich ist, der werde Einstellungen von Familienmitgliedern oder Freunden übernehmen können. Diese Angaben verwandelt das Programm in eine Wissensdatenbank, und die nutzt es, wenn es darum geht, riesige Datenmengen in Internet-Speichersystemen auf Risiken für seinen Schutzbefohlenen zu untersuchen. "Das alles kann ein Prozessor eines Smartphones natürlich nie bewältigen", so Backes. Das Schutzprogramm müsse deshalb selbst Teil der Cloud, der Datenspeicher des Internets, werden. Wird dadurch der digitale Bodyguard, der so viel weiß, nicht selbst zum Sicherheitsrisiko für seinen Nutzer? "Nein", widerspricht der Saarbrücker Informatiker. "Wir werden den Code aller unserer Programme offenlegen. Jeder kann ihn überprüfen."

Sechs Jahre Zeit haben die Informatikforscher, um ihre Vision eines sicheren Internets zu verwirklichen. "Wir wollen hier nicht nur wissenschaftlich vorankommen, sondern mit unserer Arbeit auch die Basis für einen wirtschaftlichen Durchbruch schaffen", erklärt Michael Backes. Läuft dabei alles programmgemäß, könne die Industrie auf der Grundlage dieser Forschungsergebnisse im nächsten Jahrzehnt Software entwickeln, die dann wie ein digitaler Schutzschirm viele Bedrohungen im Internet abwehren kann.

Zum Thema:

Auf einen BlickDer Synergy Grant ist der höchste Forschungspreis der EU. Er wird in Europa nur an eine Handvoll Forschergruppen vergeben. Für das Projekt imPACT der Saar-Uni und der zwei Institute der Max-Planck-Gesellschaft zahlt die EU zehn Millionen Euro. Das Kürzel imPACT steht für Privacy (Privatsphäre), Accountability (Verantwortlichkeit), Compliance (Beachtung von Regeln) und Trust (Vertrauen).

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