Der kleinste Düsenantrieb der Welt

Stuttgart · Wie lässt sich ein Medikament im Körper eines Patienten präzise an die Stelle transportieren, an der es seine Wirkung entfalten soll? Eine Möglichkeit könnten sogenannte Nanoroboter bieten, an denen das Stuttgarter Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme arbeitet.

Der Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde macht Samuel Sanchez noch heute Freude. Eingerahmt hängt die Urkunde in seinem Büro am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme. Der Chemiker hat den kleinsten Düsen-Antrieb der Welt entwickelt. Sanchez hält das Mikroskopbild seiner Turbine gern neben die Abbildung eines Jumbo-Jets: Dort die hochkomplexe, mehrere Meter messende Flugzeugturbine, hier die simple, mit dem bloßen Auge unsichtbare Mikroröhre - der Größenunterschied beträgt wenigstens eins zu einer Million.

Sanchez' Mikrodüse ist einfach aufgebaut. Sie besteht aus einer konisch zulaufenden Röhre, die innen mit dem Edelmetall Platin beschichtet ist. Werfen die Forscher diese Röhrchen in eine Flüssigkeit, in der Wasserstoffperoxid enthalten ist, dann düsen die Mikrojets von alleine los.

In den mit Platin beschichteten Hohlräumen zerfällt Wasserstoffperoxid zu Wasser und Sauerstoff. Letzterer bildet Blasen, so dass das Röhrchen flott voranblubbert - mit etlichen Millimetern pro Sekunde, was bei der Länge dieses Bauteils von weit unter einem Millimeter beträchtlich ist. "Die Röhrchen sind konisch. Die Luftblasen bewegen sich dann in Richtung der größeren Öffnung", erklärt Sanchez. Und ist erst mal ein Bläschen ausgetreten, saugt dies andere nach.

Unter den Mikro- und Nanorobotikern hat es der 34-Jährige weit gebracht. Er hat einen hochangesehenen EU-Förderpreis gewonnen (European Research Grant). Und die spanisch-königliche Prinzessin-Girona-Stiftung hat ihn mit dem Preis für Nachwuchswissenschaftler ausgezeichnet.

Wenngleich es bis zu einer Anwendung dieser Technik noch ein weiter Weg ist, hat Sanchez klare Vorstellungen: "Wir wollen lernen, wie sich Nanoroboter in Flüssigkeiten bewegen und steuern lassen", sagt der Chemiker. Ideen zu möglichen Anwendungen gibt es in der Medizin und der Umwelttechnik . Die Nanoröhrchen könnten Medikamente im Körper eines Menschen transportieren oder Zellgifte in Tumore einschleusen. Einen Mechanismus, wie sich die Nanoröhrchen durch einen Gewebeverband oder in eine Zelle bohren könnten, hat Sanchez bereits entwickelt. Was ihm und seinem Team jedoch Kopfzerbrechen bereitet, ist die Giftigkeit des Antriebsmittels. Wasserstoffperoxid ist ein aggressives Bleichmittel und für Körperzellen tödlich. Dieses Antriebs prinzip funktioniert also nicht im biologischen Umfeld. Doch Sanchez ist überzeugt, eine Alternative zu finden.

Eine solche Nanodüse hat außerdem weitere denkbare Anwendungsmöglichkeiten. Da wäre zum Beispiel eine Fernsteuerung über Temperatur, Licht, durch ein chemisches Konzentrationsgefälle oder Magnetfelder . Unterschiedliche Konzentrationen biologischer Substanzen nutzen zum Beispiel Bakterien, um an Nahrung zu gelangen. Bei anderen Anwendungen ist eine Steuerung nicht nötig. Da reicht es, wenn die Nanoschwimmer durch ihr Medium düsen, etwa beim Reinigen verschmutzten Wassers.

Der Düsenantrieb ist nicht das einzige Antriebssystem für Nanobauteile. Sanchez' Forscherkollege Peer Fischer, der am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme eine Nachwuchsforschergruppe leitet, beschäftigt sich zum Beispiel mit Nanopropellern. Die sehen aus wie Mini-Korkenzieher und sind dem Fortbewegungsmechanismus mancher Mikroorganismen abgeschaut. Bei dieser Größe fühlt sich für ein Gerät in den Maßen eines Bakteriums eine Flüssigkeit wie Wasser so zäh an wie Sirup für einen Menschen. Der Schraubenantrieb erweist sich damit als guter Bewegungsmechanismus. "Damit könnten wir uns im Auge bewegen", beschreibt Fischer eine mögliche Anwendung für mikrochirurgische Eingriffe. Der Schraubenantrieb lässt sich außerdem mit Verfahren der Halbleitertechnik in riesiger Anzahl herstellen. Da die metallenen Schräubchen auf Magnetfelder reagieren, kann Fischer durch ein Magnetfeld den Schraubenmotor anwerfen und per Joystick durch Flüssigkeiten dirigieren.

Und es gibt noch eine dritte Fortbewegungstechnik für Nanoschwimmer. Dieser Motor sieht aus wie eine Muschel, deren Schalen sich im Takt eines Magnetfelds öffnen und schließen und das Objekt langsam aber sicher voranbringen. "Uns geht es um die grundsätzlichen Bewegungsprinzipien und auch darum, wie wir solche Bauteile zusammenbauen", sagt Peer Fischer. Mit einem gefüllten Baukasten können die Forscher sich dann tatsächlich daran machen, einen Nanoroboter zu bauen, der sich - wie es die Natur bei Bakterien vormacht - eigenständig fortbewegt, Energie aus seiner Umgebung gewinnt, diese Umgebung auch wahrnimmt und am Bestimmungsort angelangt schließlich eine Funktion erfüllt.

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