Das vernetzte Klassenzimmer Der digitale Unterricht bleibt Zukunftsmusik

Frankfurt/Main · Die Schüler von heute werden im Erwachsenenalter Computerkenntnisse benötigen. Doch den Schulen fehlt es häufig an Ressourcen.

 So multimedial wie hier am Freihof-Gymnasium in Baden-Württemberg geht es längst nicht überall in Deutschland zu. Aber selbst mit der passenden Ausstattung ist der Weg zum digitalen Unterricht oftmals weit. Zunächst müssen die Lehrkräfte im Umgang mit den Neuen Medien geschult werden.

So multimedial wie hier am Freihof-Gymnasium in Baden-Württemberg geht es längst nicht überall in Deutschland zu. Aber selbst mit der passenden Ausstattung ist der Weg zum digitalen Unterricht oftmals weit. Zunächst müssen die Lehrkräfte im Umgang mit den Neuen Medien geschult werden.

Foto: dpa/Johannes Wagemann

Die Handys, Tablets und Laptops der Schüler müssen während der Unterrichtszeit ausgeschaltet bleiben. Sogenannte Smartboards hängen zwar in so manchem Klassenzimmer, doch nur wenige Lehrer nutzen die computergesteuerten Tafeln. Oft dienen sie nur als Projektionsflächen für Beamer und Power-Point-Präsentationen. „Die Digitalisierung kommt an den Schulen zu kurz“, sagt der hessische Landesschulsprecher Fabian Pflume. „In meinem Berufsleben und dem meiner Mitschüler wird die Digitalisierung eine große Rolle spielen“, so die Einschätzung des Gymnasiasten. „Darauf muss uns die Schule vorbereiten.“

Julia Behrens von der Bertelsmann-Stiftung stellt fest, dass der Unterricht noch immer meist analog stattfinde, die Lebenswelt der Schüler aber schon längst digitalisiert sei. Das Problem beginne schon mit der technischen Ausstattung und den Kenntnissen der Lehrer. Der Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung, Stefan Wesselmann, berichtet: „Wir haben die volle Bandbreite zwischen den beiden Extremen.“ Schlecht ausgestattete Schulen mit Lehrern, die mehr wollen und können – und Schulen mit moderner Technik, die über den Kopf des Kollegiums hinweg angeschafft wurde.

Zumindest die hessische Landesregierung scheint das Problem erkannt zu haben. Als einziges Bundesland unterstütze Hessen die Träger der Schulen finanziell bei der IT-Ausstattung, sagt der Sprecher des Kultusministeriums, Stefan Löwer. Medienbildung habe seit Jahresbeginn Vorrang bei der Lehrerfortbildung.

Expertin Behrens hat allerdings Bedenken: „Selbst wenn die Schule gut ausgestattet ist, heißt das nicht automatisch, dass guter digitaler Unterricht stattfindet.“ Dieser hänge von stimmigen Konzepten ab, die die ganze Schule gemeinsam erarbeiten müsse.

Die Marienschule in Fulda hat so ein Konzept. Man wolle die digitale Technik, die die Schüler privat ohnehin nutzten, stärker in den Unterricht integrieren, sagt der Leiter der Lehrer-Mediengruppe, Peter Bach. „Wo es Sinn macht.“ Die Räume der vom Bistum mitgetragenen Privatschule seien daher – je nach Bedarf – unterschiedlich ausgestattet. Es gebe etwa Klassenzimmer mit großen Monitoren, die Schüler und Lehrer über ein kabelloses Netzwerk mit eigenen Handys und Laptops nutzen könnten. Wie gut das Medienkonzept bei den Eltern ankomme, zeige sich unter anderem an der Vielzahl der Bewerbungen.

Für solche Konzepte fehlen an staatlichen Schulen nach Behrens’ Erfahrung aber oft Zeit und Ressourcen. Viele Lehrer würden gerne mehr Neue Medien im Unterricht nutzen, wüssten aber nicht wie und hätten zu wenig Zeit, sich darum zu kümmern. „Digitalisierung ist noch immer kein Bestandteil der Ausbildung“, so Behrens. Bei den begrenzten Fortbildungsetats hätten Themen wie Inklusion und Ganztagsschule fast immer Vorrang. Wesselmann stimmt zu. Die Schulen müssten für ihre Bildungs- und die zunehmenden Erziehungsaufgaben ohnehin bereits unzählige Strategien entwickeln. „Da ist ein Medienkonzept eines unter vielen und je nach Problemlage der Schule nicht unbedingt vorrangig.“

Dabei ließen sich Themen wie Inklusion und Ganztagsunterricht mit der Digitalisierung sehr gut vereinbaren, sagt Behrens. So könnten Computer oder Tablets beispielsweise auch für die individuelle Förderung leistungsschwächerer Schüler eingesetzt werden. „Dafür braucht es aber ein durchdachtes Konzept.“ Zugleich könnten die digitalen Geräte genutzt werden, um Kindern individuelle Stundenpläne für den ganzen Tag zu geben. „Das wäre dann weniger Arbeitsaufwand für die Lehrer.“

An der mangelnden Kompetenz der Lehrer liege es nur selten, wenn Neue Medien nicht genutzt würden, sagt dagegen Christoph Baumann von der Lehrergewerkschaft GEW Hessen. Jede zweite bis dritte Lehrkraft sei nach 1980 geboren und daher bereits mit digitalen Medien aufgewachsen.

Baumann zählt neben inhaltlichen Bedenken eine Reihe juristischer und praktischer Hürden auf. So dürfe im Unterricht nur eigens lizenzierte Software verwendet werden, Lehr- und Lernprogramme kosteten aber häufig viel Geld. Zudem schränkten Jugendschutzgesetze und Filtersoftware den Einsatz vieler Internet-Medien ein. Bei Schulnetzwerken könne es bis zu fünf Minuten dauern, bis der Lehrer Zugriff auf seinen Account habe und es gebe immer wieder Probleme mit Zugriffsrechten. „Die Systembetreuung liegt überwiegend in den Händen der Lehrkräfte, die dafür weder ausgebildet sind noch die notwendige Zeit bekommen.“ An den Netzwerken seien oftmals bis zu 150 PCs sowie Drucker und andere Geräte angeschlossen.

Die Forderung von Landesschulsprecher Pflume nach der Vorbereitung auf die digitalisierte Arbeitswelt kann die Schule nach Einschätzung der Fachleute nur bedingt erfüllen. „Es wird nie möglich sein, jeden Jugendlichen optimal auf seinen späteren Beruf vorzubereiten“, sagt Baumann mit Blick auf die wachsende Spezialisierung auf dem Arbeitsmarkt.

„Es ist an der Zeit, dass sich das Rollenverständnis wandelt, dass wir weg kommen von der Idee, dass der Lehrer alles weiß und wissen muss“, sagt Behrens. Lehrer sollten mehr als Lernbegleiter verstanden und Schüler für den eigenen Lernprozess stärker in die Verantwortung genommen werden, so die Meinung der Expertin.

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