Das Leben wird zum Spiel

Saarbrücken · Der innere Schweinehund knurrt bei unliebsamen Aufgaben lautstark auf. Gamification liefert ein Mittel, ihn in die Schranken zu weisen. Darunter fallen unter anderem Anwendungen, die Elemente aus Spielen in den Alltag transportieren. Mit Bonuspunkten und anderen Belohnungen wollen Apps die Hausarbeit, den Sport und das Lernen attraktiver gestalten. Aber klappt das wirklich? Die SZ hat drei Apps einen Monat lang getestet.

Ein Grunzen dröhnt mir ins Ohr. Wütend und hungrig, sehr hungrig. "Schau nicht zurück. Sie sind direkt hinter dir. Lauf einfach weiter, lauf!", schreit ein Mann. Und wie ich laufe. Den Geräuschen nach zu urteilen, kommen die Zombies immer näher.

Die App Zombies , Run! will Menschen zum Joggen motivieren. Der Nutzer, genannt Runner Five, absolviert diverse Missionen . Im Hintergrund sprechen Figuren, sie erzählen die Geschichte und weisen Runner Five an. Schauplatz des englischsprachigen Hörspiels: Eine Welt, die in Schutt und Asche liegt. Es gilt, die Überlebenden vor den Zombies zu retten.

Das lauter werdende "Flapp-flappflapp" eines Hubschraubers empfängt mich, als ich die erste Mission starte. Ein Funkgerät knarzt. Stimmen. Die Neugier packt mich. Obwohl ich die App nur begutachten wollte, krame ich die Sportschuhe hervor. "Sie schießen! Mayday, mayday!" Die Stimmen versetzen mich in Aufruhr. Ich versinke in der Geschichte. Und laufe.

Eine Mission dauert je nach Einstellung eine halbe oder eine Stunde. Es ist leicht, dem Geschehen im Ohr zu folgen. Ich fühle mich daran beteiligt, da viele Passagen vage gehalten sind. "Schau, zwischen den Bäumen blitzt etwas Weißes hervor", heißt es auf meiner zweiten Etappe. Zufällig jogge ich in diesem Moment auf weiße Häuser in einem Waldstück zu. Immer wieder mal teilt mir eine Frauenstimme mit, was ich gerade aufgesammelt habe. Ein Erste-Hilfe-Paket etwa, Medikamente und eine Unterhose.

Diese Gegenstände brauche ich, als ich mein virtuelles Lager aufstocke. Am Anfang steht dort eine Basisstation, deren Schutzwall und Gebäude heruntergekommen sind. Die Anzeige verrät, dass nur wenige Menschen hier Zuflucht gefunden haben. Bereits nach der zweiten Mission kann ich mit dem erlaufenen Werkzeug meinen "Schutzwall" reparieren. Es folgt ein Gebäude für Flüchtlinge. So erhöhe ich meine Sicherheit.

Draußen lauern weiterhin die Zombies . Sie vermehren sich schlagartig, als ich "Chases on" (etwa: Verfolgungsjagden an) wähle. Die Funktion fügt Intervalle in den Lauf ein. Eine Minute lang muss ich meine Leistung um 20 Prozent steigern. "Noch 60 Meter", sagt eine ruhige Frauenstimme. Ruhig bin ich nicht. Wieder hungriges Grunzen. Meine Phantasie spielt mit, und ich sehe Zombies um die Ecke schlurfen. Tatsächlich ist es ein Passant, dem ich gerade noch ausweichen kann.

Nach einer krankheitsbedingten Pause steige ich mit strammem Walken wieder ein. Da es bei der App nicht auf Geschwindigkeit ankommt, funktioniert das gut. Nach einem Monat bin ich so immer noch kein passionierter Läufer. Aber wenn ich mich aufraffe, sind meine grunzenden Animateure mit im Ohr.

Die Hausarbeit meistern

Der Putzlappen scheint über das Waschbecken zu fliegen. Ein letzter Handgriff, dann strahlt es blitzeblank. Mit einem Seufzer lege ich den Lappen weg und greife zum Handy. Ein Fanfarenstoß ertönt. 200 Erfahrungspunkte, zeigt das Display an. Im Durchhaltevermögen bin ich ein Level aufgestiegen. Ich fühle mich gut.

Die App Task Hammer hilft, alltägliche Aufgaben im Blick zu behalten. Die Anwendung ist To-do-Liste und Rollenspiel in einem. Der Nutzer schlüpft in eine Rolle und erhält mit jeder erledigten Aufgabe Punkte. Diese stärken die Eigenschaften: Stärke, Vitalität, Intelligenz, Ausdauer sowie Charisma.

Barbar, Bösewicht oder Zauberin - ich entscheide mich für den letzten der hübsch bebilderten Charaktere. Dann schweift mein Blick durch den Raum und bleibt am Spülbecken hängen. "Spülen" tippe ich als erste Aufgabe ein. Priorität? Dem Stapel nach zu urteilen "Sehr hoch". Eigenschaft? Durchhaltevermögen, das passt. Und wann? Am besten heute. Es folgen "Staub saugen", "Müll rausbringen" und "Post abheften". Speichern, fertig. Nach einem skeptischen Blick Richtung Geschirr lasse ich meine notierten Aufgaben aber erst einmal links liegen. Aus dem Kopf gehen sie mir nicht. Schließlich raffe ich mich auf, spüle halbherzig und greife erwartungsvoll nach dem Handy. Der erste Fanfarenstoß.

Bald ersetzt die App meine handgeschriebenen Zettel. Ich habe alle Aufgaben im Blick und kann stets notieren, wenn mir etwas Neues einfällt. Auch Wiederholungen und Erinnerungen kann ich einstellen. Level um Level steige ich auf. Und warte auf zusätzliche Belohnungen. Vergebens. Kein Vergleich mit anderen, keine weiteren Funktionen und auf verpasste Termine folgt auch keine Maßregelung.

Auch wenn der Spielecharakter mager ausfällt, benutze ich die App gerne. Sie ist praktisch. Meine gekritzelten Notizen sind mittlerweile alle verschwunden. Nach dem ersten Monat habe ich das achte Level erreicht. 29 124 Punkte. Und es geht weiter.

Hilfe beim Englischlernen

"I know whose son you are", plärrt eine Frauenstimme. "Ich weiß, wessen Sohn du bist", tippe ich ins Handy. Ein helles "Pling" erklingt. Dann ploppt ein "Das ist richtig" auf. Weiter geht es mit dem nächsten Satz.

Die App Duolingo will Menschen Englisch vermitteln. Nach einer Anmeldung steigt sie bei Grundlagen wie Plural und Präsens ein. Der Nutzer kann auch Lektionen überspringen und dort beginnen, wo er seine Kenntnisse verbessern will. Eine Einheit misst knapp 20 Aufgaben. Mit weniger als vier Fehlern ist sie bestanden. Die Übungen sind abwechslungsreich. Die Computerstimme spricht, und ich schreibe den Satz auf Deutsch oder Englisch auf. Oder ich bastele einen Satz aus mehreren Bauteilen zusammen. Wenn ich eine Lektion fehlerlos abschließe, erhalte ich Punkte, sogenannte Lingots. Doch abgesehen von einem Anzug für das Maskottchen, eine Eule, reizen mich die Belohnungen nicht.

Viel Wert legt die App auf Interaktion. Ich soll Freunde zum Lernen hinzufügen, das motiviert. Doch so weit kommt es nicht. Nach ein paar Tagen täglichen Übens fallen mir Fehler auf. "Liebe auf den ersten Blich" und "Abendteuer" schleichen sich ein. Als die App sämtliche Zeitformen verwechselt, habe ich den mahnenden Blick meines Englischlehrers vor Augen. Zu viele Fehler. Nach zwei Wochen ignoriere ich die App, nach der Testphase lösche ich sie.

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HintergrundGamification bezeichnet den Trend, Elemente aus Spielen in das alltägliche Leben zu transportieren. Zu diesen Elementen gehören beispielsweise Erfahrungspunkte, Ranglisten, virtuelle Güter und Auszeichnungen. Ziel ist es, die Motivation des Nutzers zu steigern. Das Prinzip stammt aus der Psychologie, genauer aus der Verhaltenstherapie. Nach dem Token-System (Token = Wertmarke) bekommt der Spieler für gutes Verhalten eine Belohnung. Hat er genug Wertmarken gesammelt, kann er sie gegen Dinge oder Aktivitäten eintauschen. Die Therapieform wird seit den 1960er Jahren angewandt, anfangs vor allem in psychiatrischen Einrichtungen und Gefängnissen. Heute ist das Konzept auch im Alltag verankert. So bekommen Vielflieger zum Beispiel Bonusmeilen, andere sammeln Punkte in Geschäften. Anschließend winkt eine Prämie. rfeZombies, Run!: Google Play & App Store , 3,59 EuroTask Hammer: Google Play Store, kostenlosDuolingo: Google Play & App Store , kostenlos

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