Digitaler Stress Das Internet wächst vielen über den Kopf

Düsseldorf · Die digitale Vernetzung hat die Kommunikation ausufern lassen. Das sorgt bei vielen Nutzern für Stress. Wer ihn eindämmen will, muss aktiv werden.

 Wenn berufliche E-Mails überhandnehmen, kann das auf die Stimmung schlagen.

Wenn berufliche E-Mails überhandnehmen, kann das auf die Stimmung schlagen.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Düsseldorf Die Deutschen wollen im neuen Jahr Stress abbauen. Dieser Wunsch steht auf Platz eins der guten Vorsätze für 2018, wie die Krankenkasse DAK ermittelt hat. Und jeder sechste Deutsche will zukünftig seltener online gehen. Dass es einen Zusammenhang zwischen diesen Wünschen gibt, weiß der Stressforscher Professor Nico Dragano vom Institut für Medizinische Soziologie in Düsseldorf. Denn digitale Medien können ein großer Stressfaktor sein. „Die Symptome unterscheiden sich nicht vom normalen Stress: Schlafstörungen, Nervosität, depressive Stimmung.“

Als Auslöser für digitalen Stress nennt er unter anderem die hohen Anforderungen durch die digitale Kommunikation. „Insbesondere E-Mails führen oft zu einer Arbeitsverdichtung, da immer mehr Mails in kürzerer Zeit auflaufen und Zeit und Aufmerksamkeit fordern.“

Wenn die Nachrichten-Flut überhandnimmt, kann ein E-Mail-Management helfen. Einen Ratgeber finden Nutzer zum Beispiel unter www.zeitzuleben.de/8-tipps-fur-ein-effektives-e-mail-management.

Ein Tipp lautet, eine feste Prozedur in der Bearbeitung von E-Mails einzuführen, etwa indem sie gleich nach Eingang in einen der vier Unterordner „Beantworten“, „Bearbeiten“, „Später lesen“ und „Aufheben“ geschoben werden. Die daraus resultierende Arbeitsroutine, etwa ein wöchentlicher Termin für den „Später lesen“-Ordner, könne dabei helfen, Stress zu vermeiden. „Gestaltet man digitale Arbeit richtig, dann können sich Belastungen auch verringern lassen. Es gibt zum Beispiel eine Studie, die zeigt, dass der Stress sinkt, wenn E-Mails nur noch zu vorgegebenen Zeiten abgefragt werden“, sagt Dragano.

Auf die Frage, ob das Internet selbst zur Entspannung beitragen kann, etwa mit einem kleinen Onlinespiel oder Naturfilmen, reagiert der Stressforscher zurückhaltend: „Im Einzelfall kann das Katzenvideo vielleicht für Ablenkung sorgen, die Empfehlung für eine erholsame Pause ist aber eigentlich eine andere. Es ist nämlich besser, die Arbeitsroutine zu unterbrechen und etwas komplett Anderes zu machen.“ Wenn man seinen Arbeitstag vor dem Rechner verbringe, sei der Klick auf das unterhaltsame Onlinespiel eher eine Fortsetzung der Belastung mit anderen Mitteln. Besser sei es, die Augen zu schließen, aus dem Fenster zu schauen und sich zu bewegen. Wer es dennoch einmal mit Katzen-Videos versuchen möchte, findet eine Sammlung unter der Adresse www.katzenvideos.nonsence.de .

Webseiten zum Entspannen gibt es im Internet einige, zum Beispiel http://erppy.co, auf der bunte Bilderwelten und elektronische Klänge den Betrachter aus dem Alltag entführen sollen. Wer lieber einen virtuellen Ausflug in die Natur unternehmen will, kann sich unter https://relax.li einen Palmenstrand mit Meeresrauschen, plätschernde Wasserfälle, gluckernde Gebirgsbäche in grüner Waldkulisse oder ein knisterndes Holzfeuer auf den Bildschirm holen. Regengeräusche und entferntes Donnergrollen sollen auf www.rainymood.com zur Entspannung beitragen.

Bei Online-Anleitungen für Yoga sowie Entspannungs- und Meditationstechniken ist Nico Dragano vorsichtig: „Yoga wird mittlerweile in der Rehabilitation eingesetzt und kann durchaus bei der Kontrolle von psychischen Belastungen helfen. Allerdings sind es dort Profis, die die Techniken vermitteln.“ Ob ein Erklärvideo die Yogalehrerin ersetzen könne, sei zweifelhaft.

Digitalen Stress kennt Dragano auch aus seinem eigenen beruflichen Alltag, er und seine Kollegen „ertrinken in Mails und haben immer komplexere Programme zu bedienen“. Sie hätten zwar schon Einiges aus der Forschung ausprobiert, um damit besser umzugehen, „der große Wurf war aber ehrlich gesagt noch nicht dabei“. Der Experte sieht das Internet jedoch nicht nur als Stressfaktor: „Digitalisierung hat auch positive Seiten. Insbesondere dann, wenn bestehende Potenziale genutzt werden, statt die neue Technik einfach dazu zu verwenden, immer mehr Arbeit zu erzeugen.“

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