Erschreckender Trend Das Internet verführt zum illegalen Tierhandel

Saarbrücken · Der größte Umschlagplatz für Haustiere aller Art ist das Netz – Der Tierschutz bleibt dabei meist auf der Strecke.

 Viele Tiere, die im Internet gehandelt werden, müssen wie hier in Polen unter unwürdigen Bedingungen ihr Dasein fristen.

Viele Tiere, die im Internet gehandelt werden, müssen wie hier in Polen unter unwürdigen Bedingungen ihr Dasein fristen.

Foto: Vier Pfoten

Die Corona-Krise hat den Online-Handel verstärkt. Doch nicht nur der örtliche Einzelhandel leidet unter der Entwicklung. Auch Tierschützer betrachten die vermehrte Nachfrage nach Tieren aller Art – von Mode-Hunden bis zu seltenen Reptilien – mit Sorge. Weil viele Tierbörsen dieses Jahr abgesagt werden mussten, vermutet der Verein Pro Wildlife, dass das Internet-Geschäft mit lebenden Tieren noch weiter an Bedeutung gewonnen habe.

Zunächst jedoch hätten coronabedingte Grenzschließungen sowie schärfere Kontrollen den illegalen Welpenhandel aus Osteuropa, der hauptsächlich über Online-Plattformen abgewickelt wird, „massiv behindert“, heißt es in einer aktuellen Studie der Stiftung „Vier Pfoten“. Der Markt für Hunde sei zunächst um mehr als 24 Prozent eingebrochen. Doch gleich nach den ersten Grenz-Lockerungen zeichnete sich wieder ein Anstieg für Hunde-Verkaufsanzeigen ab. „Insbesondere Trendhunderassen wurden verstärkt angeboten“, bilanziert „Vier Pfoten.“ So sei auf eBay-Kleinanzeigen die Zahl für Französische Bulldoggen um 18,9 Prozent, für Möpse sogar um 22,2 Prozent (im Zeitraum vom 13. bis 29.05.20) angestiegen.

„Online-Portale bieten illegalen Welpenhändlern eine ideale Verkaufsplattform“, meint Daniela Schneider, Kampagnenverantwortliche für Heimtiere bei „Vier Pfoten“. Benutzerkonten können einfach mit einer Mailadresse erstellt werden, eine Überprüfung der Identität finde nicht statt. „Diese Anonymität nutzen kriminelle Händler aus und verkaufen die viel zu jungen und oftmals kranken Tiere, ohne dabei zu riskieren, strafrechtlich verfolgt zu werden“, kritisiert sie. Die wahre Herkunft der Tiere könne auf Online-Plattformen leicht verschleiert werden. Tatsächlich würden die Welpen in Osteuropa „unter grausamen Bedingungen vermehrt und viel zu früh ihren geschundenen Müttern entrissen“. Die  Hündinnen würden als Gebärmaschinen missbraucht und fristeten in engen Verschlägen ein trauriges Dasein. Da hier nur der Profit zähle, erhielten sie keine medizinische Versorgung. Die Welpen seien weder geimpft noch entwurmt und bekämen kein altersgerechtes Futter. „In engen Kisten oder unter Rückbänken werden sie ohne Trinkwasser über lange Strecken, quer durch Europa in die Bestimmungsländer wie Deutschland transportiert“, beschreibt Schneider. Für die Übergabe würden die Tiere oft mit Medikamenten aufgeputscht, damit sie gesund und fit wirken. „Nach nur kurzer Zeit zeigen sich dann die ersten Krankheitssymptome, die aus den dramatischen Zuständen ihrer ersten Lebenswochen resultieren.“ Viele von ihnen litten neben dem emotionalen Trauma zusätzlich an hochansteckenden und lebensgefährlichen Krankheiten wie Parvovirose oder Staupe, sodass viele der Tiere sterben – trotz aller Bemühungen der neuen Besitzer und hohen Tierarztkosten.

 In Plastikdosen werden Amphibien und Reptilien auf der Börse „Terraristika“ in Hamm, angeboten.

In Plastikdosen werden Amphibien und Reptilien auf der Börse „Terraristika“ in Hamm, angeboten.

Foto: Katja Sponholz

Das Internet erleichtere dieses Geschäft: „Ohne Identitätsprüfung können die Online-Händler unerkannt agieren und auch mehrere Konten anlegen, um das Ausmaß ihrer Aktivitäten zu vertuschen“, kritisiert Schneider.

Doch nicht nur Hundewelpen zählen zu den Opfern des tierischen Online-Handels. Nach Angaben der Organisation Pro Wildlife sei das Internet mittlerweile der wichtigste Vertriebskanal für Wildtiere, die in Deutschland als exotische „Haustiere“ angeboten werden. „Hier kann jeder alles kaufen, was in einen Käfig oder einen Glaskasten passt. Und das Angebot ist riesig“, schildert Projektleiterin Katharina Lameter. Das Internet erhöhe den Kreis potenzieller Kunden und mache somit ein großes Artenspektrum für jedermann zugänglich. Käufe erfolgten oft spontan, gleichzeitig sei die Einhaltung arten- und tierschutzrechtlicher Vorschriften (wie etwa eine verpflichtende Beratung von Kunden) im Internet nicht gewährleistet.

Parallel habe sich ein lukrativer Handel mit seltenen Arten entwickelt. „Immer mehr neue und bedrohte Arten tauchen im Handel auf. Dabei handelt es sich häufig um Tiere, die in ihrem Herkunftsland aus der freien Natur eingefangen wurden (teils legal, teils illegal), um sie in Deutschland als ‚Haustiere‘ zu verkaufen“, beschreibt Lameter.

Pro Wildlife habe vor kurzem eine aktuelle Studie im Auftrag des Bundesumweltministeriums (BMU) und des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) durchgeführt, in der der Handel mit exotischen Heimtieren, speziell online, detailliert untersucht wurde. Einige der Ergebnisse: Innerhalb von zwölf Monaten wurden mehr als 2000 verschiedene Reptilien-, Amphibien- und exotische Säugerarten im Internet, auf Tierbörsen oder in Zoofachgeschäften angeboten - 96 Prozent der Arten über das Internet. Für 75 Prozent der angebotenen Arten gelten keinerlei internationale Schutzbestimmungen und damit auch keinerlei Handelskontrollen. Sogar Tiere, die stark bedroht sind beziehungsweise in ihrem Heimatland nicht eingefangen oder exportiert werden dürfen, seien in Europa frei erhältlich und können straffrei verkauft werden. „Unsere Studie zeigt auch, dass Informationskampagnen und freiwillige Maßnahmen des Handels alleine nicht ausreichen“, bilanziert Lameter. „Es braucht dringend strengere Gesetze, damit die Artenvielfalt nicht weiter geplündert wird.“

Auch „Vier Pfoten“ fordert die Bundesregierung auf, Gesetze zu erlassen, die den Online-Handel mit Tieren sicher machen. Nur wenn Verkäufer dazu verpflichtet würden, sich zu identifizieren, könnten Händler zurückverfolgt und strafrechtlich belangt werden. Um die tatsächliche Herkunft der Tiere und damit die Drahtzieher aufdecken zu können, müssten die Hunde auch gechippt und in einem Heimtierregister erfasst sein. „Durch diese Transparenz wäre der Verkauf von kranken Hunden aus Osteuropa für die Kriminellen zu riskant und unrentabel“, hofft die Stiftung.

Dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sei die Bekämpfung des illegalen Tierhandels nach Auskunft einer Sprecherin „ein wichtiges Anliegen“. „Klar ist: Wer rechtliche Anforderungen an den Handel mit Tieren umgeht, der handelt illegal. Ein solches Verhalten kann nicht geduldet werden“, so Sprecherin Josefine Uhlemann auf Anfrage.

Es sei festzustellen, dass das Angebot von Tieren im Internet auf Plattformen und in Social-Media-Kanälen zunehme und mit Problemen in den Bereichen Tierschutz, Tiergesundheit und Verbraucherschutz einhergehe.

Das Ministerium habe sich für Deutschland an dem freiwilligen EU-Onlinemonitoring von Hunde- und Katzenverkäufen beteiligt, zu dem die Europäische Kommission aufgerufen habe. Ein Ergebnis daraus sei unter anderem die Schwierigkeit der Behörden, verdächtige Angebote im Internet zum Anbieter zurückzuverfolgen, da bei privaten Anbietern oft nur eine E-Mail-Adresse im Angebot hinterlegt ist. Das Ministerium sei daher „mit den maßgeblichen Onlineplattformen im Gespräch, wie die Rückverfolgbarkeit der Angebote zum Anbieter unter Beachtung des Datenschutzes für die Behörden verbessert werden kann.“ Darüber hinaus setze es sich angesichts der grenzüberschreitenden Problematik auf EU-Ebene für Verbesserungen ein. In der zweiten Jahreshälfte 2020 plane es außerdem einen Runden Tisch mit Internetplattformen, Tierschutzverbänden und Vollzugsbehörden zum Thema „Onlinehandel mit Tieren“.

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