Das digitale Tattoo
Saarbrücken · Der Computer der Zukunft ist immer zur Hand, denn er sitzt möglicherweise direkt auf unserer Hautoberfläche. Informatiker der Saar-Uni entwickeln das Verfahren, das Mensch und Technik in hautnahen Kontakt bringen soll. Die Europäische Union unterstützt ihre Forschung mit 1,5 Millionen Euro.
Was ist ein Smartphone? Ein Gerät, das alles sein will und nichts so richtig kann. Der Bildschirm ist ein Guckloch, die Tastatur nicht der Rede wert, die Prozessorleistung zu gering. Und in den entscheidenden Momenten des digitalen Lebens geht den Mobilgeräten gern die Energie aus, weil ihr Akku überfordert ist. Verbesserungen gibt es nur in Trippelschritten, und deshalb sagt der Computerkonzern Ericsson in einer Studie dem Smartphone, das im kommenden Jahr den zehnten Geburtstag feiert, schon den baldigen Abgang voraus. In fünf Jahren sei Schluss. Das ist vielleicht ein wenig übertrieben, doch den Saarbrücker Informatik-Professor Jürgen Steimle würde es nicht wundern, wenn es mit dieser Gerätegattung demnächst wirklich bergab geht. Im Grunde sei "ein Smartphone doch nur die Fortsetzung des klassischen Computers". Und diese Technik werde den Anforderungen an die Immer-Dabei-Elektronik des 21. Jahrhunderts nicht mehr gerecht.
Die Computertechnik der Zukunft muss "multimodal" sein, wie die Fachleute sagen. Sie soll nicht nur unser ständiger Begleiter in allen Lebenslagen sein, sondern auch alle Sinne des Menschen ansprechen. Elektronik soll aufs Wort gehorchen, uns die Wünsche von den Augen ablesen, Gesten erkennen und Fingerspitzengefühl entwickeln, um auch unseren Tastsinn anzusprechen. Und weil kein Gerät dies alles auf einmal kann, werde es derer viele geben. An einem arbeitet der Saarbrücker Forscher im Saarbrücker Exzellenz-Cluster der Informatik: dem digitalen Tattoo. Der Forschungsrat der EU hat Steimle dafür gerade mit einem sogenannten ERC Starting Grant ausgezeichnet.
Heute ist digitale Technik starr, kantig und zerbrechlich. Der Saarbrücker Informatiker will sie anpassungsfähiger machen. "Wir wollen zum Beispiel herausfinden, wie die menschliche Haut zur PC-Eingabe verwendet werden kann." Der erste Schritt dazu war das Forschungsprojekt "iSkin". Dafür haben die Wissenschaftler des Lehrstuhls Mensch-Computer-Interaktion aus Silikon und vernetzten, hauchdünnen Schaltkreisen berührungsempfindliche Sticker für die Haut gebastelt. Die dienen als einfache Schaltflächen, mit der ein Nutzer im Prinzip andere Geräte steuern kann. Doch das war nur ein Anfang. "Jetzt untersuchen wir mit Hilfe wesentlich dünnerer Materialien, wie man direkt auf der Haut Informationen anzeigen und fühlen kann."
Die Saarbrücker Informatiker wollen flexible Schaltkreise, die nur einige Mikrometer (tausendstel Millimeter) dick sind, direkt auf die Haut aufbringen. Sie sollen zum Beispiel von einer Träger-Folie, ähnlich wie von einem Tattoo-Papier, abgerieben werden können. Solche digitalen Tattoos könnten auf Druck der Finger, einen Kniff oder Bewegungen reagieren und damit ähnlich wie eine Tastatur genutzt werden.
Doch nicht nur digitalen Input wollen die Informatiker der Saar-Uni so ermöglichen. "Wir wollen auch versuchen, den Bildschirm auf den Körper zu bringen", erklärt Jürgen Steimle. Die Tastatur auf dem Unterarm, der Monitor auf der Hand? Das ist natürlich Geschmackssache - und deshalb wollen sich die Informatiker auch mit den ästhetischen Aspekten dieser Technik befassen. Digitale Tattoos könne es nicht wie heutige Hardware von der Stange geben, sie müsse individuell auf den Körper des Empfängers abgestimmt werden.
Ein heutiges Smartphone hält im Durchschnitt zwei Jahre. Ein digitales Tattoo wird dagegen ein Wegwerfprodukt sein. Weil den mikroskopischen Schaltkreisen auf der Haut, die sich ja beständig regeneriert, kein langes Leben beschieden sein wird, müssen sie binnen Tagen erneuert werden. Solche Elektronik soll deshalb möglichst wenig kosten - die Saarbrücker Informatiker setzen auf besonders preiswerte Produktionsverfahren. "Wir wollen das drucken", erklärt Jürgen Steimle. Die Monitor-Elektronik für einen Bildschirm geringer Auflösung haben die Saarbrücker Informatiker schon einmal zum Test ausgedruckt. Dabei werde statt einer Tinte aus Farbpigmenten eine Flüssigkeit mit metallischen Nanopartikeln verwendet. Gedruckte Elektronik bis zum Format DIN-A3 sei kein Problem. Und sollten diese Verfahren am Ende sogar mit einem modifizierten Tintenstrahler zu realisieren sein, wie er heute auf fast jedem Schreibtisch zu finden ist, druckt sich Otto-Normalverbraucher seinen Heimcomputer demnächst einfach selbst aufs Handgelenk. Oder noch einfacher: Die Elektronik wird in kosmetische Utensilien verpackt, wie Lippenstift oder Eyeliner, und der dazugehörige Prozessor von der Größe eines Muttermals wird irgendwo an den Hals geklebt.
Das freilich sind bisher Gedankenexperimente. Bis an die Realisierung solcher Science-Fiction-Ideen zu denken ist, ist es noch ein weiter Weg. Vorher müssen sich die Saarbrücker Informatiker mit anderen Problemen herumschlagen. Da ist zum Beispiel die Frage, wie eine Energieversorgung für die digitale Haut aussehen könnte. Bislang dienen dafür konventionelle Batterien. Doch auch dafür lassen sich Lösungen finden, erklärt Jürgen Steimle. Energie könne drahtlos elektromagnetisch übertragen oder direkt aus der Körperwärme gewonnen werden. Fünf Jahre Zeit haben die Saarbrücker Informatiker nun, um ihre Ideen der digitalen Welt von morgen in Hardware zu übersetzen. Die EU fördert sie in dieser Zeit mit 1,5 Millionen Euro.
Zum Thema:
Zur Person Professor Jürgen Steimle (36) studierte in Freiburg und Lyon Informatik und erhielt im Jahr 2009 für seine Promotion an der Technischen Universität Darmstadt den Informatik-Dissertationspreis für die beste Arbeit im deutschsprachigen Raum. Nach einem Forschungsaufenthalt am Massachusetts Institute of Technology in den USA kam er 2013 an die Saar-Universität und hat seit diesem Jahr den Lehrstuhl für Mensch-Computer-Interaktion.