Ein System ohne bessere Alternative Braucht es das Zehn-Finger-System noch?

Zürich/Dortmund · Immer weniger Menschen haben Tippen mit allen Fingern gelernt. In einigen Berufen wird dies aber vorausgesetzt.

 Die Grundlagen des Zehn-Finger-Schreibens können in vier Basiskursen erlernt werden.

Die Grundlagen des Zehn-Finger-Schreibens können in vier Basiskursen erlernt werden.

Foto: Cherry

Wer das Zehn-Finger-System gelernt hat, ist meist mächtig stolz darauf. Und wer beim Tippen eher nach dem Adlersuchsystem verfährt, preist gerne die eigene Technik an. Aber ist das eine tatsächlich effektiver als das andere? Und muss man das Zehn-Finger-System überhaupt noch lernen? Die einfache Antwort: Ja!

Die Ursprünge des sogenannten Blind- beziehungsweise Zehnfingerschreibens reichen bis in das 19. Jahrhundert zurück. Erfunden haben soll es der Stenograf Frank Edward McGurrin. Seine Strategie, eine Tastatur zu benutzen, ohne auf die Tasten zu schauen, hat sich über Generationen hinweg durchgesetzt.

Das Prinzip des Zehn-Finger-Schreibens ist einfach. Es gibt die sogenannte Grundposition. Die Finger der linken Hand belegen dabei die Tasten A, S, D, F, angefangen mit dem kleinen Finger auf dem „A“. Die Finger der rechten Hand liegen ab dem Zeigefinger auf J, K, L und Ö. Von dort aus geht es nach unten oder oben zu dem nächstgelegenen Buchstaben. Die Daumen schweben über der Leertaste.

Doch braucht es das System weiterhin? „Wir haben bisher keine bessere Art entwickelt, wie wir jemandem Tippen beibringen können. Somit ist es weiterhin das beste, aber auch das einzige System, auf das wir zurückgreifen können“, fasst Anna Maria Feit zusammen. Sie arbeitet am Lehrstuhl für Informatik an der ETH Zürich und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Themenbereich der Texteingabe. Die Forscherin ist von der Methode zwar „nicht überzeugt“, mangels Alternativen erlaubt sie sich jedoch „keine zu strenge Meinung“.

Das System hat jedenfalls nicht nur Vorteile: Laut Feit könnten wir zum Beispiel im Deutschen einige Wörter viel schneller eingeben, wenn häufig verwendete Buchstaben auf der Tastatur besser positioniert wären. Gleichzeitig bräuchte es nicht alle zehn Finger für das Tastschreiben. „Man bekäme das schon mit sechs ganz gut hin“.

2016 hat Feit mit anderen Forschern an der Aalto-Universität in Helsinki unterschiedliche Tastschreibstile untersucht und mit dem Zehn-Finger-System verglichen. Das Ergebnis: Teilnehmende, die sich eine eigene Technik angeeignet hatten, waren zum Teil genauso schnell wie Zehn-Finger-Tipper. Allerdings zeigte sich in der Studie, dass sie deutlich häufiger auf ihre Finger und die Tastatur schauten.

Das bestätigt Regina Hofmann vom Deutschen Stenografenbund. Sie kenne niemanden, der mit Eigensystem blind tippt. „Beim Zehn-Finger-System hingegen gucken Sie nicht mehr auf die Tastatur. Sie wissen, welche Wege die Finger zu gehen haben“.

Das wiederum kann der Gesundheit entgegenkommen, meint Thomas Brockamp, Präventionsexperte der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). „Wenn man das Zehnfingersystem beherrscht, hat man eine gut strukturierte Führung der Hand. Denn ähnlich der Haltung eines Klavierspielers, sollte darauf geachtet werden, dass das Handgelenk nicht abknickt“.

Je einfacher einem das Tastschreiben falle, umso mehr könne man sich auf die richtige Haltung der Hand konzentrieren, erläutert der Facharzt. „Anders, als wenn man immer überlegt, wo jetzt der nächste Buchstabe ist“.

Das Zehn-Finger-System zu lernen, kann sich also lohnen. Wer will, bringt es sich selbst mit Fachbüchern oder Online-Schreibprogrammen bei. Auch bieten etwa Volkshochschulen Kurse an. Wie schnell jemand das Zehnfingerschreiben umsetzen kann, ist dabei vom jeweiligen Lerntyp abhängig. „Für die Grundlagen reichen vier Termine aus“, erklärt Sopio Hagel von der Volkshochschule Wetzlar. Das sind insgesamt zwölf Unterrichtsstunden. „Vorausgesetzt natürlich, dass die Teilnehmenden dranbleiben und zu Hause üben.“

Seit langem bieten Volkshochschulen zudem Kurse für Kinder und Jugendliche an. Regina Hofmann sieht darin einen Vorteil: „Je früher man das Zehnfingerschreiben lernt, umso besser kann man es anwenden“.

Selbst Anna Maria Feit hält das ungeachtet ihrer Skepsis für wichtig. „Ich habe schon Jugendliche kennengelernt, die mir gesagt haben, sie besäßen gar keine Tastatur oder schrieben eigentlich nie darauf. Sie hätten ihr Handy dafür“. Dabei werde das im Arbeitsleben gebraucht.

Die Bundesagentur für Arbeit etwa listet verschiedene Berufe auf: Datenerfasser müssen das Zehnfingerschreiben unbedingt beherrschen, heißt es. Ebenso vorausgesetzt werde es unter anderem bei Sekretären oder Anwalts- und Notarfachangestellten.

Gleichwohl spielt diese Fähigkeit in vielen anderen Bürojobs eine untergeordnete Rolle. Dazu kommt die zunehmende Bedeutung von Sprachassistenten und Transkriptionsprogrammen. „Ich denke dennoch nicht, dass das Erlernen des Zehn-Finger-Systems dadurch überflüssig wird“, sagt Jan Kluczniok vom Online-Portal „Netzwelt“.

Der Einsatz entsprechender Software sei schließlich gar nicht in jedem Job möglich, „beispielsweise im Großraumbüro“. Beim Schreiben längerer Texte werde man also auch in Zukunft eigenständig Korrekturen oder Umstellungen am diktierten Text vornehmen müssen. „Die gehen dann mit zehn Fingern deutlich flinker von der Hand.“

(dpa)
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