Auf der Jagd nach der Dunklen Materie

Woraus besteht der Kosmos? Die Antwort auf diese Frage scheint simpel. Doch Galaxien, Sterne und Planeten machen nur einen winzigen Teil der Masse des Universums aus. Der riesige Rest ist unsichtbar. Jetzt wollen Physiker endlich aufklären, woraus diese geheimnisvolle Dunkle Materie besteht.

 Auch den Teilchenbeschleuniger LHC des europäischen Kernforschungszentrums wollen Physiker auf der Suche nach der geheimnisvollen Dunklen Materie nutzen. Foto: MPG

Auch den Teilchenbeschleuniger LHC des europäischen Kernforschungszentrums wollen Physiker auf der Suche nach der geheimnisvollen Dunklen Materie nutzen. Foto: MPG

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 In diesem Bullet-Cluster genannten Galaxienhaufen haben Astronomen Effekte der Dunklen Materie beobachtet. Foto: Nasa

In diesem Bullet-Cluster genannten Galaxienhaufen haben Astronomen Effekte der Dunklen Materie beobachtet. Foto: Nasa

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Heidelberg. Die Materie, die wir kennen, macht nur einen kleinen Teil des Kosmos aus. Wo ist der Rest? Die Forscher stehen vor einem Rätsel. "Es gibt vielleicht zehn bis 20 verschiedene Fakten, die auf Dunkle Materie hinweisen", sagt Manfred Lindner, Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. Doch auch über 80 Jahre nachdem sie der Schweizer Astronom Fritz Zwicky erstmals postulierte, tappen die Forscher im Dunkeln.

Der in den USA forschende Zwicky vermaß 1933 Galaxienhaufen und stellte fest: Da fehlt etwas. Eigentlich müssten die Haufen bersten, es sei denn, man postulierte eine Art Dunkle Materie , die sie zusammenhält. Mittlerweile sehen Astronomen die Dunkle Materie auf allen Skalen wirken. Bei der Verteilung der Sterne, der Galaxien und der Galaxienhaufen . 2013 haben nun Messungen des europäischen Satelliten Planck die Verhältnisse präzise beziffert. So besteht das Universum zu 4,9 Prozent aus normaler Materie, Atomen und anderen Teilchen. 26,8 Prozent macht der Anteil Dunkler Materie aus, mit 68,3 Prozent schlägt die noch ominösere Dunkle Energie zu Buche.

So viel Unbekanntes fordert die Forscher heraus. Mit einem guten Dutzend Experimenten wollen sie Licht in die Natur der Dunklen Materie bringen. Heißer Kandidat sind derzeit sogenannte schwach wechselwirkende, massive Teilchen, abgekürzt Wimps (Weakly interacting massive particles). "Wenn man den Urknall simuliert, in dem alle Teilchen erzeugt wurden, kann man ganz gut die Elemente-Verteilung ausrechnen", sagt Physiker Lindner. Wimps würden da gut hineinpassen, damit ergebe sich automatisch auch die richtige Menge und Verteilung der Dunklen Materie.

Wegen dieser Passgenauigkeit sprechen einige Forscher vom "Wimp-Wunder". Das freilich ist ein großes Wort. Denn gesehen wurden die Teilchen nie. Nachweisen lassen sich im Kosmos nur Schwerkraft-Wirkungen, aber nicht, was sie hervorruft. Anschaulich zeigt das der mehr als drei Milliarden Lichtjahre entfernte sogenannte Bullet-Cluster. Dort sind zwei Galaxien-Haufen kollidiert. Die sichtbare Materie ist aufeinandergeprasselt, die Dunkle Materie jedoch hat sich durchdrungen. In der Folge fallen die sichtbare Massen- und die Schwerkraftverteilung auseinander.

Um die geheimnisvollen Teilchen nachzuweisen, gibt es drei mögliche Experimente, erklärt Lindner. Wenn Wimps im All kollidieren, müssten andere Teilchen wie Neutrinos oder Positronen entstehen. Apparate auf der Erde oder im Satellitenorbit könnten diese Sekundärteilchen registrieren.

"Aus solch einer Signatur könnte man indirekt auf Wimps schließen", sagt Lindner. Kürzlich haben Astronomen, die das zwei Milliarden Dollar teure Alpha-Magnet-Spektrometer (AMS) auf der Internationalen Raumstation betreiben, einen Positronenüberschuss vermeldet, der auf Wimps hindeuten könnte. Die Teilchen könnten aber auch schlicht aus der kosmischen Strahlung stammen.

Zweitens versuchen Forscher wie Lindner, Wimps direkt zu messen. Eigentlich müsste unser Sonnensystem auf seiner Bahn ums galaktische Zentrum durch wahre Wimp-Wolken fliegen. "Da wir uns in Richtung des Sternbilds Schwan bewegen, bläst uns Dunkle Materie wie ein Fahrtwind überwiegend aus dieser Richtung entgegen", sagt Uwe Oberlack, Experimentalphysiker der Uni Mainz.

Nach diesen Berechnungen müssten pro Sekunde 100 Teilchen aus der Welt der Dunklen Materie das Volumen einer Milchtüte passieren. Dabei sollte es in seltenen Fällen vorkommen, dass ein dunkles Teilchen mit richtiger Materie kollidiert. Darauf sind Lindner und Oberlack aus. Abgeschirmt von störender Strahlung betreiben die Physiker mit Vertretern weiterer Forschungseinrichtungen 1500 Meter tief unter den italienischen Abruzzen im Gran-Sasso-Massiv das Experiment Xenon100. In einem Zylinder befinden sich dort 34 Kilogramm flüssiges Xenon, das von Detektoren überwacht wird. Schlägt ein Wimp ein, wäre ein Lichtblitz die Folge, und es müssten Elektronen frei werden.

Größter Feind der Experimentatoren ist die natürliche Radioaktivität der Materialien, die ähnliche Effekte auslösen kann. Doch weder das Experiment Xenon100, noch LUX in einer Goldmine in Süd-Dakota in den USA, noch das CDMS-Experiment in einer Eisenerzmine in Minnesota lieferten bislang Hinweise auf die exotischen Teilchen. Für drei vielversprechend erscheinende Messergebnisse der CDMS-Forscher fanden sich andere Erklärungen. Deshalb wird nun nachgerüstet. Die Forscher um Lindner und Oberlack wollen künftig einen Zylinder mit einer Tonne Xenon nutzen. Die US-Behörden gaben grünes Licht für die Nachfolger von LUX und CDMS. "Wir kommen da jetzt in Bereiche, wo wir etwas sehen müssten", sagt Lindner.

Möglicherweise führt auch ein anderer Weg zu den Wimps. Man könnte sie künstlich erzeugen, etwa am Teilchenbeschleuniger LHC der Europäischen Organisation für Kernforschung (Cern) in der Schweiz. Der Beschleuniger geht im April wieder an den Start, berichtet Cern-Forscher Christian Weiser von der Uni Freiburg. Dort lassen die Forscher Protonen in gegenläufigen Teilchenstrahlen kollidieren. Dunkle Materie wäre dabei relativ gut nachweisbar, sagt Christian Weiser. Da sie den Detektor ohne Nachweis verlässt, könnten die Forscher aus der Energie- und Impulsbilanz der Kollision auf ein unsichtbares Teilchen schließen. 1930 hatte der Physiker Wolfgang Pauli in ähnlicher Weise auf die Existenz des Neutrinos geschlossen, eines ebenfalls kaum nachweisbaren Teilchens.

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