Anzüglicher Chat im Internet

Tübingen · Meist fängt es harmlos an: Jugendliche unterhalten sich in Chats über Alltagsthemen. In manchen Fällen driften die Gespräche aber in sexuelle Inhalte ab. Hinter den Chatpartnern stecken dann oft nicht vermeintlich Gleichaltrige, sondern Erwachsene mit sexuellem Interesse an Kindern. Ein 45-Jähriger steht nun vor Gericht.

Ein vollbärtiger Mann, Tränensäcke unter müden Augen, wird in Handschellen in den Verhandlungssaal am Tübinger Landgericht geführt. In einer Internet-Community soll er sich über zwei Jahre als Sportlehrer Mario oder wohlhabender Steuerberater ausgegeben und an 13- bis 16-jährige Mädchen herangemacht haben. Vor Gericht steht er nun unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und Vergewaltigung dreier Jugendlicher.

Die Tübinger Staatsanwältin Rotraud Hölscher spricht von der Masche Sugardaddy: Der Mann, verheiratet und dreifacher Vater, habe den Mädchen Kleidung, Handys und teure Geschenke versprochen, wenn sie sich mit ihm treffen. Fünf Mädchen aus Süddeutschland hat er bei solchen Begegnungen laut Anklage zu sexuellen Handlungen gezwungen.

Das Vorgehen des Mannes wird als Cyber-Grooming bezeichnet. Täter erzeugen beim Kontakt im Internet eine scheinbar vertraute Stimmung und belästigen die Jugendlichen dann, wie der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest erklärt. Außerdem lenkten die Täter den Kontakt weg von möglicherweise reglementierten Portalen zu direkter Unterhaltung per Handy- oder Videochat. Dort verschickten sie etwa pornografisches Material. Der in Tübingen Angeklagte soll das mehr als 100 Mal gemacht haben. Auch nötigten die Täter ihre Opfer zum Versenden intimer Bilder oder forderten sie zu sexuellen Handlungen vor einer Webcam auf.

Ermittler des Landeskriminalamts (LKA) versuchen, den Tätern in den entsprechenden Chat-Communitys auf die Spur zu kommen. "Wir geben uns als zwölfjähriges Mädchen aus und lassen uns ansprechen", sagt der Leiter der Abteilung Internetrecherche beim LKA, Achim Traichel. "Das passiert auch meistens sehr schnell." Bald darauf schickten die Täter pornografische Bilder von sich. Das Vorzeigen pornografischen Materials ist strafbar als sexueller Missbrauch von Kindern. Die Ermittler um Traichel haben mit ihrer Methode eigenen Angaben zufolge in den vergangenen beiden Jahren 100 Verfahren ins Rollen gebracht, die sich allesamt gegen Männer richteten. Diese kämen aus allen Altersgruppen und Bildungsschichten.

LKA-Experte Traichel weiß, dass sich Opfer häufig mitschuldig fühlen. Das sei aber falsch. Er empfiehlt ihnen, Chatverläufe und Nachrichten zu speichern und Anzeige zu erstatten.

"Wir können nicht verhindern, dass sich Ältere anmelden und ein falsches Alter angeben", sagt Anke Schmid, Geschäftsführerin des in Weinstadt ansässigen Portals Kwick, über das der 45-Jährige Mädchen angesprochen haben soll. Damit umgehen Täter offenbar einen Schutzmechanismus des Portals, wonach Erwachsene keinen Kontakt mit 12- bis 14-Jährigen aufnehmen können. "Nutzer können aber alles melden, jedes Bild, jedes Profil", sagt Schmid.

Der mutmaßliche Täter will vor Gericht in Tübingen nichts zu den Vorwürfen sagen. Ihm droht eine Haftstrafe zwischen zwei und 15 Jahren. Ein Urteil wird am 21. Juli erwartet.

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Hintergrund Um sich im Fall von Cyber-Grooming Hilfe zu holen, sei es wichtig, einen Screenshot vom Chatverlauf zu machen, um diesen zu dokumentieren. Eltern können außerdem den Betreiber der Seite anschreiben und denjenigen melden, der das Kind sexuell angemacht hat, rät Juuuport, ein Portal, auf dem Medienscouts anderen Jugendlichen helfen. Juuuport wird von der Niedersächsischen Landesmedienanstalt getragen. Opfer von Cyber-Grooming finden beispielsweise beim Weißen Ring oder dem Hilfetelefon Sexueller Missbrauch (www.nina-info.de ) Beistand. Im letzten Schritt können Eltern Anzeige bei der Polizei erstatten. Um Kinder vor Cyber-Grooming zu schützen, sollten Chatregeln besprochen werden. Dazu gehöre etwa, sparsam mit persönlichen Daten umzugehen. Onlineprofile sollten nicht jeden darüber informieren, wie alt man ist oder wo man wohnt. dpa

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