Nach dem Missbrauchsskandal von Münster „Anlasslos alle Daten von allen zu erfassen, geht nicht“

Bielefeld · Die Datenschutz-Organisation Digitalcourage hat Forderungen, die Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung der Kriminalität wiedereinzuführen, zurückgewiesen.

 Die Vorratsdatenspeicherung wurde in Deutschland 2016 nach rund zehn Jahren wieder abgeschafft. Die Diskussion darum geht aber weiter.

Die Vorratsdatenspeicherung wurde in Deutschland 2016 nach rund zehn Jahren wieder abgeschafft. Die Diskussion darum geht aber weiter.

Foto: dpa/Rainer Jensen

Hintergrund war der Missbrauchsskandal von Münster, bei dem mindestens drei Minderjährige über Jahre sexuell misshandelt worden sind. Der Verein Digitalcourage mit Sitz in Bielefeld setzt sich für eine ungehinderte Kommunikation und den Datenschutz ein. „Es bricht ganz klar Grundrechte, wenn rund um die Uhr persönliche Aktivitätsdaten von Millionen Bürgern gespeichert werden“, sagte Digitalcourage-Referent Friedemann Ebelt. In Münster habe polizeiliche Ermittlungsarbeit zum Erfolg geführt, „nicht grundrechtswidrige Massenüberwachung“, erklärte der Datenschützer.

Nachdem der schwere Kindesmissbrauch aufgedeckt wurde, hatte sich unter anderem die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer für die derzeit in Deutschland nicht erlaubte Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Bei einer solchen Regelung wären Telekommunikationsanbieter verpflichtet, IP-Adressen und zum Beispiel Verbindungs- und Standortdaten für Behördenzwecke befristet zu speichern.

Ebelt hält die Vorratsdatenspeicherungen zur Verfolgung von Missbrauchsfällen für weniger relevant. „Wer diese Verbrechen verhindern will, muss gezielt im Netz suchen und vor allem in der realen, analogen Welt“, sagte er. Nur dort seien die Tatorte, Täter, Mitwisser, das soziale Umfeld und gerichtsfeste Beweise zu finden. Leider gebe es aber immer wieder Fälle, in denen Ämter, Ermittlungsbehörden oder auch die Nachbarschaft aus verschiedenen Gründen Verdachtsmomenten nicht oder ungenügend nachgingen, beklagte der Datenschützer.

Ebelt riet dazu, die Behörden besser zu schulen, um frühzeitig Verdachtsfälle zu erkennen. Auch spiele Internetkriminalität in der polizeilichen wie auch justiziellen Fortbildung nahezu keine Rolle, kritisierte er. Seiner Ansicht nach sollten verbindliche Leitlinien zum Vorgehen bei Verdacht auf Missbrauch für Jugendämter, Schulen und andere Stellen erarbeitet werden.

Auch die Forderung des Bundesmissbrauchsbeauftragten Johannes-Wilhelm Rörig nach einer „EU-rechtskonformen Vorratsdatenspeicherung“ lehnt Ebelt ab. „Der Europäische Gerichtshof hat klare Grenzen gesetzt“, betonte er. Eine Erhebung zum Beispiel von Telefon- und Internetdaten muss demnach einen belegbaren Bezug zu einer Gefahr oder einer Tat haben sowie räumlich und zeitlich eingegrenzt sein. „Anlasslos alle Daten von allen zu erfassen, geht nicht“, unterstrich Ebelt. Als Option nannte er das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren, bei dem Daten von Verdächtigen nach richterlichem Beschluss für eine bestimmte Zeit „eingefroren“ und von der Polizei genutzt werden könnten.

(epd)
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