Am Anfang schon an das Ende denken

Bis Ende des nächsten Jahrzehnts wird ein Viertel der heutigen Verkehrsflugzeuge außer Dienst gestellt. Die ausgemusterten Maschinen sind dann immer noch viel Geld wert. Die Luftfahrtbranche entdeckt erst langsam die Möglichkeiten, die im Recycling stecken. Es winkt ein Millionen-Geschäft.

 Moderne Flugzeuge wie der Airbus A 350 sind nach Herstellerangaben für eine Lebensdauer von bis zu 70 Jahren ausgelegt. Foto: Airbus/Pigeyre

Moderne Flugzeuge wie der Airbus A 350 sind nach Herstellerangaben für eine Lebensdauer von bis zu 70 Jahren ausgelegt. Foto: Airbus/Pigeyre

Foto: Airbus/Pigeyre

Braunschweig. Nach 20 bis 30 Dienstjahren setzt auch das zuverlässigste Flugzeug einmal zur letzten Landung an. Meist gehen die Maschinen dann auf der Piste eines Flugzeugfriedhofs, etwa in der Wüste von Arizona, nieder. Doch selbst auf dem Schrottplatz sind sie noch viel Geld wert. Jedes Bauteil ist zertifiziert, genügt hohen Sicherheitsanforderungen und kann oft auf dem Ersatzteilmarkt verkauft werden. Resteverwerter können so noch einige Millionen Euro aus einem Flugzeug herausholen. Doch wie recycelt man die Überbleibsel? "Mit großen Recyclinganstrengungen kann sich die Luftfahrtbranche noch nicht schmücken", erklärt Professor Peter Middendorf vom Institut für Flugzeugbau der Uni Stuttgart. Doch es tut sich etwas. Vergangenen Dezember initiierte Professor Jörg Woidasky von der Hochschule Pforzheim die erste europäische Flugzeug-Recycling-Konferenz. Er forscht über nachhaltige Produktentwicklung.

Über 400 Maschinen pro Jahr

"In den nächsten 15 Jahren wird über ein Viertel der derzeitigen Verkehrsflugzeuge außer Dienst gestellt", schätzt Woidasky. Nach Marktprognosen der Hersteller Airbus und Boeing geht es um 400 bis 700 Großflugzeuge jährlich. Ein Multi-Millionen-Geschäft. In jedem Flugzeug stecken rund 70 Tonnen Rohstoffe, die sich recyclen lassen: Aluminium, Nickel, Titan, Kupfer, Stahl. Woidasky schätzt allein den Materialwert auf typischerweise 100 000 Euro pro Maschine. Airbus hat sich 2005 in einem Pilotprojekt erstmals damit auseinandergesetzt, was aus seinen alten Flugzeugen herauszuholen ist. Inzwischen unterhält der Flugzeugbauer an einem Standort in Spanien mit Partnern aus der Verwertungsbranche einen Flugplatz, der Parkplätze für 250 Maschinen bietet und auf dem 30 Flugzeuge recycelt wurden.

Auch für die Luftfahrtgesellschaften ist die Wiederverwertung interessant. Stellt die Lufthansa eine Maschine nach rund 18 Betriebsjahren außer Dienst, kann sie oft an andere Fluggesellschaften, meist in Asien, Nordamerika oder Afrika, oder an einen Teileverwerter verkauft werden, der das Flugzeug ausschlachtet. "Interessant sind da Triebwerke, Fahrwerk und Cockpit", erklärt Lufthansa-Sprecher Thomas Jachnow aus Frankfurt. Zunehmend übernimmt die Technik-Tochter der Lufthansa, die 700 Fluggesellschaften betreut, selbst das Teilegeschäft.

Wie das Recycling abläuft, beschreibt der Ingenieur Sebastian Jeanvré, der bis vor Kurzem beim Entsorgungsunternehmen Keske arbeitete. Zunächst werden Schadstoffe, Treib- und Brennstoffe, Kühl- und Enteisungsflüssigkeiten, Schmierstoffe und Hydrauliköle abgelassen. Dann rücken Bagger an und zerteilen das Flugzeug. Zuerst fällt das hohe Seitenruder, damit die zunehmend instabilere Maschine nicht kippt. Vieles ist Handarbeit, im Unterschied zur automatisierten Teileverwertung von Industrie- und Autoschrott. Die Bauteile sind riesig, die Stückzahlen noch sehr gering. Vier Großflugzeuge hat der Recyclingbetrieb zerlegt, einen Militärjet, zwei Boeings in Malaysia, ein Frachtflugzeug in Leipzig.

Zwei Container genügen

Geschäftsführer Marc Keske lässt durchblicken, wo die Schwierigkeiten liegen: Seine Firma sitzt in Braunschweig, die Flugzeuge stehen irgendwo auf dem Globus. Im Projekt More-Aero des Bundesforschungsministeriums hat ein Konsortium um Keske eine mobile Demontage- und Entsorgungseinheit entwickelt, um weltweit Flugzeuge zu verarbeiten. Die Anlagen mit Schrottschere, Sortiergreifer, Enttankungs- und Trockenlegungseinheit passen in zwei Überseecontainer. Vor Ort können Ingenieure Ersatzteile ausbauen und das Flugzeug zerlegen. Das Trennen der Bruchstücke in möglichst sortenreine Fraktionen geschieht in der Anlage in Deutschland.

Allerdings, und das macht Keske Sorgen, verschlingen die Transportkosten einen Großteil der Rohstofferlöse. An diese Rohstoffe heranzukommen, ist das nächste Problem. Ein Flugzeug ist auf maximale Sicherheit ausgelegt, nicht darauf, am Lebensende schnell demontiert zu werden. So sehen die Bauteile auch aus. Aluminium, Titan, Eisen und Kunststoffe sind oft zu Verbundstrukturen verklebt, genietet, verschweißt. Aluminium kommt in Dutzenden Legierungen vor. Oft kann das Material dann nicht mehr für ähnlich hochwertige Bauteile genutzt werden.

Die Studienlage zur Gesamtenergiebilanz eines Flugzeugs ist nicht eindeutig. Es gibt Untersuchungen, nach denen 20 Prozent der Energie bei Herstellung und Recycling verbraucht werden und 80 Prozent im Flugbetrieb, andere kommen zum Ergebnis, dass 98 Prozent der Gesamtenergie beim Fliegen verbraten werden. Da lohnt es sich für Ingenieure eher, die Maschine für den Flug zu optimieren. Eine neue Studie von Robert Ilg vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Stuttgart soll Klarheit schaffen. "Herstellung und Recycling werden an Relevanz gewinnen", sagt Ilg voraus.

 Aus Turbinen ausgemusterter Flugzeuge können große Mengen wertvoller Metalle gewonnen werden. Foto: Schmidt/Lufthansa Technik

Aus Turbinen ausgemusterter Flugzeuge können große Mengen wertvoller Metalle gewonnen werden. Foto: Schmidt/Lufthansa Technik

Foto: Schmidt/Lufthansa Technik

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HintergrundÜber 20 300 Verkehrsflugzeuge waren 2012 im Dienst. Nach Prognosen des US-Flugzeugbauers Boeing fliegen 2032 über 41 200 Maschinen. 400 bis 700 Flugzeuge werden pro Jahr ausgemustert. Ein Flugzeug ist für 20 bis 30 Betriebsjahre und bis zu 20 000 Starts und Landungen ausgelegt. Bei den neuen Airbus A350 und Boeing Dreamliner sollen es sogar 70 Jahre sein. MS

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