„Man existiert nur noch in einer Wolke“

Mit „Lola rennt“ wurde Franka Potente 1998 zum Star. Anschließend drehte sie rund ein Dutzend Filme. 2000 zog die Schauspielerin für einige Jahre in die USA, kehrte zurück nach Berlin und lebt seit 2008 wieder in Los Angeles. Nun ist der erste Roman der 39-Jährigen erschienen: „Allmählich wird es Tag“. Merkur-Mitarbeiter Günter Keil hat mit ihr gesprochen.

 Vor drei Jahren wurde ihr Kurzgeschichten-Band „Zehn“ zum Überraschungserfolg. Jetzt ist Franka Potentes erster Roman erschienen. Foto: Piper

Vor drei Jahren wurde ihr Kurzgeschichten-Band „Zehn“ zum Überraschungserfolg. Jetzt ist Franka Potentes erster Roman erschienen. Foto: Piper

Foto: Piper

Ihre Sprints durch Berlin in "Lola rennt" haben Sie berühmt gemacht. Wann haben Sie den Film zuletzt gesehen?

Potente: Vor etwa zwei Jahren, davor allerdings sehr lange nicht. Mir hat es total Spaß gemacht, den Film wieder anzugucken, und ich finde, dass er auch heute noch super funktioniert. Nur die Musik, dieses Techno-artige, hat mich sehr stark an die damalige Zeit erinnert.

Haben Sie Ihren frühen Erfolg je als Belastung empfunden?

Potente: Nein, überhaupt nicht. "Lola rennt" hat mir alles Gute dieser Welt beschert und hat für mich unheimlich viele neue Anfänge bedeutet. Ich bin diesem Film sehr dankbar.

Die Hauptfigur in Ihrem ersten Roman sagt einmal: "Ich habe nur noch gearbeitet. Die Jahre sind vorbeigerast." Sehen Sie das ähnlich, wenn Sie auf Ihr Leben vor zehn Jahren zurückblicken?

Potente: Zunächst einmal: Ich bin überhaupt kein Zurückblicker, sondern schaue lieber nach vorn und genieße meinen neuen Lebensabschnitt. Aber klar, es gab natürlich diese verrückten Jahre, in denen ich viel gearbeitet habe. Manchmal schlief ich im Flieger von einem Termin zum nächsten ein, wachte bei der Landung auf und wusste nicht mehr, in welcher Stadt ich gerade angekommen war. Es war eine sehr intensive Zeit, in der ich mehr in der Öffentlichkeit stand als in den vergangenen Jahren. Aber es gab für mich auch immer schon etwas anderes als Karriere und Erfolg. Familie und Freunde bedeuten mir mindestens genauso viel.

Sie leben nun schon zum dritten Mal für mehrere Jahre in den USA. Hat sich Ihr Bild des Landes verändert?

Potente: Ja, total. Aber auch Amerika hat sich verändert, und ich mich selbst natürlich auch. Seit der Finanzkrise und dem Platzen der Immobilienblase hat eine Entzauberung stattgefunden - diese Zeit wollte ich auch in meinem Roman darstellen. Es ist so etwas wie Realität eingekehrt im Land der Kreditkarten. Es gibt nicht mehr diese kollektive Naivität, dass alles gut wird. Oder dass man sich ein Haus für eine Million Dollar kaufen kann, auch wenn man selbst nur zehn Prozent davon anzahlt. Inzwischen sind die Leute bodenständiger geworden. Andererseits gibt es weiterhin diesen erfrischenden Enthusiasmus, das positive Denken. In Amerika ist das Glas immer eher halb voll, wohingegen es in Deutschland halb leer ist.

Wie voll ist es für Sie?

Potente: Ganz klar: halb voll. Noch vor einigen Jahren habe ich mir oft gedacht: Mann, sind die Amerikaner oberflächlich und naiv, und war stolz auf meinen kritischen Blick. Dabei geht es gar nicht um Oberflächlichkeit, sondern darum, eine positive Stimmung zu schaffen. Dieses "Hey, how are you, you look great!" mag ich heute sehr gerne. Es ist viel mehr ein positives Entgegenkommen, um dem Gegenüber den Eingang zu einer gemeinsamen Situation zu erleichtern.

Fluchen Sie eigentlich gerne?

Potente: Ja, vor allem beim Autofahren. Vor meinen Kindern drücke ich mich aber gepflegter aus.

Im Buch flucht die Hauptfigur Tim pausenlos. Ständig sagt der gefeuerte Banker "Fuck". Wieso?

Potente: Dieser Mann steckt in einer tiefen Krise. Nach vielen Jahren, in denen es gut bei ihm lief und er nie "Fuck" gesagt hätte, steht er plötzlich ohne Frau, ohne Job und ohne Kind da. Nun hält er sich nicht mehr zurück. Es hat mir Spaß gemacht, etwas ganz Rohes aus ihm bersten zu lassen. Er nimmt Drogen, hat Sex mit fremden Frauen und lässt es krachen. Im Verlauf des Buches nimmt die Intensität seiner Haltlosigkeit, seiner Flüche noch zu.

Wie empfinden Sie das Schreiben?

Potente: Schreiben ist wie ein selbst verordneter Zustand, in dem sich alles andere auflöst. Man existiert nur noch in einer Wolke, aus der sich langsam die Geschichte entwickelt. Das ist faszinierend. Am Anfang gibt es nichts, gar nichts. Dann ist es wie ein Traum, in dem man spazieren geht. Und dabei begegnet man sich in verschiedensten Formen.

Sie haben mit Stars wie Johnny Depp und Matt Damon gedreht. Wie waren diese Begegnungen?

Potente: Das lief immer ganz entspannt ab. Meiner Erfahrung nach haben es die berühmten Schauspieler in aller Regel nicht nötig, sich wichtig zu machen.

Gab es umgekehrt Schauspieler, die Ihnen gesagt haben, dass sie sich freuen, mit Ihnen zu arbeiten?

Potente: Ja, das kam schon hier und da mal vor. Einmal kam auf einer Veranstaltung George Clooney auf mich zu und meinte: "Mensch, Franka, mit Dir wollte ich mich immer schon mal unterhalten! Wie geht's?". Ich wurde knallrot und brachte erstmal kein Wort raus. Aber dann war es wirklich locker, diese uneitle Art hat etwas Entwaffnendes.

Es scheint, als hätten Sie sich bewusst gegen die große Karriere und für Ihre Familie entschieden. Fiel Ihnen das leicht?

Potente: Ja, denn es hat sich auch so ergeben. Und ich finde es sehr schön, dass alles in Bewegung ist, dass sich im Leben dauernd etwas ändert. Davon abgesehen, glaube ich an die Kraft von Entscheidungen. Ich hatte nie ein Problem damit, Dinge radikal zu ändern. "Gehen statt bleiben" ist mir sehr sympathisch, denn diese Einstellung schafft Platz für Neues. Veränderungen gehören nun einmal zum Leben, das empfinde ich als beruhigend und sorgt in mir für eine gewisse Gelassenheit.

Franka Potente: Allmählich wird es Tag. Piper Verlag, 304 Seiten, 19,99 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort