Generation Kriegskind

Münster · Auf einmal sind sie präsent: die Bomben, Flugzeuge und Soldaten. Viele Kriegskinder erinnern sich nach Jahrzehnten an frühere, traumatische Erlebnisse. Allein sind sie damit aber nicht – Angehörige können helfen.

Es war der Abend vor dem ersten Irakkrieg. In den Supermärkten einiger Großstädte waren alle Grundnahrungsmittel ausverkauft - Hamsterkäufe. Einige Tage später kamen viele ältere Menschen in die Ambulanz zu Gereon Heuft, Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Münster . Sie klagten über Schmerzen, Atemnot und Ängste. Als Heuft sie darauf ansprach, erzählten sie von Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg.

"Etwas taucht auf und stößt die Erinnerungen in aller Intensität an", erklärt Hartmut Radebold, Psychotherapeut und Psychoanalytiker aus Kassel. Auslöser, sogenannte Trigger, können Geräusche, Gerüche, ein Feuerwerk oder eine bestimmte Sprache sein. Zudem hat man im Alter mehr Zeit, sich mit der Vergangenheit zu befassen. Dazu kommt das Fehlen einer identitätsstiftenden Aufgabe. Auch ein neues Trauma durch einen Unfall kann alte Belastungen wieder an die Oberfläche bringen.

Den meisten Älteren ist dabei nicht einmal klar, dass es um Belastungen aus der Kriegskindheit geht. Heuft sagt: "Spricht man sie darauf an, kann es sein, dass die Betroffenen emotionslos über ihre Kriegserfahrungen berichten." Experten reden dann von Retraumatisierung. Dazu kommt: Geredet wurde über die Erlebnisse nach dem Krieg nicht. Psychotherapeut Radebold geht davon aus, dass 80 Prozent der Betroffenen geschwiegen haben. Ilka Quindeau, Psychologin an der FH Frankfurt, beschreibt die damaligen Erziehungsmethoden in Deutschland: "Als Ideal galt, jegliche empathische Zugewandtheit zu vermeiden." Mitgefühl von den Eltern gab es keines.

Trauma-Reaktivierungen und Belastungen lassen sich gut behandeln - auch ohne professionelle Hilfe. Auf keinen Fall dürften Betroffene gezwungen oder gedrängt werden, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, warnt Heuft. Bemerken Angehörige , dass Eltern oder Großeltern alte Erinnerungen belasten, sollten sie darauf eingehen und sie behutsam nach der Zeit fragen. "Vor allem Jüngere sollten sich trauen und fragen: 'Was hast du erlebt, was ist dir passiert?'", rät Radebold. Wer das Thema anspricht, muss sich aber auf heftige Reaktionen gefasst machen. Den Kummer und die Tränen müssten beide Seiten ertragen.

Alternativ können Betroffene mit ihrem Hausarzt sprechen. An vielen Orten stehen auch Gesprächsgruppen für Kriegskinder zur Verfügung. Experten halten es für sinnvoll, die eigene Geschichte aufzuschreiben - entweder in einer Schreibwerkstatt oder alleine. "In einer professionellen Beratung können Betroffene abklären: Was brauche ich noch? Was kann mir helfen?", sagt Radebold. Dafür kommen Beratungsstellen oder Psychotherapeuten infrage.

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