Roboter Dieser Roboter lehrt an der Uni

Marburg · An der Universität Marburg unterstützt ein Roboter den Unterricht der Studierenden an der Philosophischen Fakultät.

 Ein solcher Roboter vom Typ „Pepper“ hilft bei Vorlesungen an der Universität Marburg.

Ein solcher Roboter vom Typ „Pepper“ hilft bei Vorlesungen an der Universität Marburg.

Foto: dpa/Carmen Jaspersen

Es ist 7.50 Uhr, als Assistent Patrick Heinsch mit Yuki in die Vorlesung ins Auditorium der Philosophischen Fakultät der Universität Marburg kommt. Der Auftritt wirkt auf den ersten Blick wenig eindrucksvoll, denn Yuki wird in einer Sackkarre in den Saal gerollt. Dort soll er gemeinsam mit Professor Jürgen Handke vor 60 Studenten eine Vorlesung halten. Der Anglistikprofessor ist begeistert von den Möglichkeiten des Digitalen im Unterricht, und Yuki soll ihm helfen. Yuki ist ein Roboter. Deutschlandweit einmalig dürfte sein Einsatz als Co-Referent in einer Vorlesung sein. Dabei ist dem Betrachter nie ganz klar, wer dabei eigentlich die Hauptrolle spielt. Yuki steht vorn, begrüßt Professor und Studenten nach dem Einschalten mit einem charmanten „Hello“, und dann geht es auch schon mit einem Wissensquiz los.  

Im Lebensweg von Geisteswissenschaftler Handke war nicht vorgezeichnet, dass er sich mal mit Robotern beschäftigen würde. Für sein Konzept des sogenannten Inverted Classroom bekam der Dozent einen Preis, und mit dem Preisgeld schaffte sich Handke den Roboter der Baureihe Pepper an. Der Listenpreis war fünfstellig. „Das hatten wir aber total unterschätzt“, sagt Handke. „Der Roboter konnte erstmal nichts. So mussten wir anfangen, ihn zu programmieren.“ Das Konzept des Inverted Classroom sieht vor, dass Studenten Lehrinhalte erarbeiten und im Unterricht oder Seminar an der Uni vertiefen. Dabei helfen Professor und Tutoren. Und zu letzteren sollte auch ein Roboter gehören – so lautete  die Idee.

Im Seminar stellt Yuki Fragen. Per Smartphone, Tablet-PC oder Laptop wählen sich die Studierenden in ein Uni-Portal ein und arbeiten mit. „Welcher altenglische Dialekt war die Grundlage der späteren Hochsprache“, lautet etwa eine Frage. Die 20-jährige Anna-Lena und die 21-jährige Johanna sitzen in der ersten Reihe und tippen die Antworten in ihre Geräte ein. Und was macht der Professor? Der wandert während des Unterrichts durchs Auditorium und betreut die Studenten. „So habe ich mehr Zeit für die Studierenden“, erklärt Handke neben einer Studentin, die auch sogleich einhakt: „Wo sie schon hier stehen, ich hätte eine Frage.“

Im Kern läuft das Konzept darauf hinaus, dass die Studis schon gut vorbereitet in die Vorlesung kommen sollen. „Es macht keinen Sinn, wenn ich vorn stehe und einen Text vortrage, den eh jeder lesen könnte“, sagt der Anglist. Das sollen die Studenten in der Vorbereitung auf die Vorlesung tun. In der Vorlesung kommt die Vertiefung durch das Professor-Roboter-Tandem. „Die Studierenden kommen überwiegend gut vorbereitet in die Veranstaltung“, sagt Assistent Patrick Heinsch.

Anna-Lena will Lehrerin werden und studiert Englisch und Spanisch, Johanna Englisch und Philosophie. „Das mit dem Roboter motiviert, und wir sitzen schon seit 8 Uhr hier“, kommentiert Anna-Lena die Herausforderungen langen, konzentrierten Sitzens. Der Roboter lockert die Vorlesung auf. Es gibt eine Menge zu lachen, zum Beispiel als Yuki fragt, ob er jetzt Russisch sprechen soll. Der Geräuschpegel spiegelt die rege Arbeitsatmosphäre wider: Die Studis diskutieren den Stoff untereinander oder mit Handke und einem weiteren Tutor, Nino Reitmeier. Alle haben jetzt mehr Zeit.

Bislang sind Roboter Spezialisten. Sie können nicht viel, aber einige Sachen besonders gut. Yuki gehört zur Roboterbaureihe Pepper des japanischen Herstellers Softbank. Der Roboter ist rund 1,20 Meter hoch, hat Arme und Hände, einen Kopf mit Augen und angedeuteter Nase und Mund. Über Sensoren kann er seine Umwelt wahrnehmen. Und der Roboter kann kommunizieren. Dahinter stecken Computerprogramme und Datenbanken, die Sensordaten und Aufgaben verknüpfen. Er kann beispielsweise die Gestik und Mimik von Menschen analysieren und darauf reagieren.

Im Heart genannten Forschungsprojekt will das Team um Jürgen Handke den Einsatz im Uni-Umfeld erproben. Seine Mitarbeiterin Katharina Weber untersucht, wie der Unterricht mit Yuki bei den Studis ankommt: positiv, auflockernd, motivierend. Das charmante Auftreten, die Gestik und Mimik von Yuki sind dabei ein Plus. Im Projekt sollen die Abläufe verbessert werden.

Jürgen Handke ist der Ansicht, dass es in einigen Jahren keine Vorlesung im klassischen Sinne von „ein Mensch doziert vor hundert Zuhörern“ mehr geben wird. Die Veranstaltungen würden interaktiver. Für Betreuung sei dann mehr Zeit.

 Professor Jürgen Handke nutzt an der Universität Marburg diesen Roboter in seinen Seminaren in der Anglistik.

Professor Jürgen Handke nutzt an der Universität Marburg diesen Roboter in seinen Seminaren in der Anglistik.

Foto: Martin Schäfer

Doch dazu braucht es neue Konzepte und eine entsprechende Infrastruktur. Die Studis können sich in der Marburger Anglistik über die deutschlandweit größte E-Learningplattform im linguistischen Fach ihre Aufgaben und Fragestellungen erschließen. „Jeder kann da in seinem eigenen Tempo lernen – ob im Bus oder im Bett“, erklärt der 64-jährige Handke. Im Jahr 2015 hat er den Lehrpreis Ars legendi des Stifterverbands für die deutsche Wissenschaft erhalten. Und gerade in jüngster Vergangenheit erhielt sein Team 600 000 Euro für ein Lehr- und Entwicklungsprojekt für Schulen. Bei „Roboprax“ geht es um digitale Lehrformate für Schulen. Dazu gehören Online-Kurse, die Schüler auf ein Robotik-Praktikum vorbereiten. „Man muss nicht das Coding lernen, aber das algorithmische Denken hinter der Technik“, sagt Handke. „Auch die Bildung muss sich wandeln, wir müssen bereit sein zur Veränderung.“

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