Ästhetik Auf der Suche nach dem Schönen

Frankfurt · Forscher der Max-Planck-Gesellschaft untersuchen die Grundlagen unseres ästhetischen Empfindens.

Mathias Scharinger steht auf der Bühne und erklärt den Testpersonen, wie sie sich verkabeln sollen. Gleich wird in diesem Raum, der eigentlich ein Labor ist, ein Konzert beginnen. Der Neuropsychologe Scharinger will herausfinden, wer, was, wann genau an dieser Musik schön findet. Die Probanden müssen eine Pulsuhr ums Handgelenk legen und zwei Elektroden an die Finger anschließen. Die werden Herzfrequenz und Hautwiderstand messen.

Wir befinden uns im Art-Lab des Frankfurter Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik. Dessen Forscher wollen herausfinden, was das Schöne ausmacht, mit naturwissenschaftlichen und technischen Methoden. Damit sitzen sie ziemlich krass zwischen den Stühlen. Schönheit messen – damit bringen sie traditionell denkende Geisteswissenschaftler gegen sich auf. Naturwissenschaftler interessieren kaum für das Thema. Ihnen scheint das alles schlecht objektivierbar. Doch genau das soll im Art-Lab geschehen.  Gleich treten der Tenor Rafael Bruck und die Pianistin Lea Fink auf die Bühne. Bruck rezitiert zunächst ein Gedicht, dann singt er dessen Vertonung. Die 40 verkabelten Probanden müssen während des Stücks auf einem Display ihre Stimmungswerte dokumentieren. Anschließend gibt’s Bewertungen nach Schulnoten. Waren Text oder Gesang harmonisch, schön, beruhigend, aufregend, abschreckend?

Rund 20 Kategorien mit teils überlappender Bedeutung  haben die Forscher ausgewählt. Elf Gedichte und Vertonungen aus der Literaturepoche der Romantik trägt Bruck in den folgenden zwei Stunden vor. Kameras und Mikrophone im Akustikraum haben jede Regung des Publikums während dieses Forschungskonzerts aufgezeichnet.

Jetzt können die Fachleute um den Literaturwissenschaftler Winfried Menninghaus an die Auswertung der Daten gehen. Menninghaus ist einer von drei Direktoren des 2012 in Frankfurt eingerichteten Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik. Dem Forscher geht es um die Wirkung von Texten. Seine Kollegin Melanie Wald-Fuhrmann untersucht, wie Musik wirkt und MPI-Direktor David Poeppel interessiert sich etwa für die Hirnaktivitäten beim ästhetischen Genuss von Sprache und Musik. Der Gedicht- und Liederabend mit Stücken von Mörike bis Eichendorff soll beispielsweise zeigen, wie sich Text und Musik im Erleben unterscheiden und worauf das zurückzuführen ist. Vergangenen November stand Kurt Schwitters Ursonate auf dem Programm, eine recht brachiale Mischung. Der Laut-Sprecher, Musiker und Performer Michael Schmid rezitierte die Ursonate mit ihren „Fümms bö wö tää zää Uu“. Er machte das schon viele Dutzend Male. Verhaspelt hat er sich nicht, baute aber gekonnt das Wort „Trump“ in einer besonders martialischen Phase ein. „Schwitters ist hier näher an der Musik“, erklärt Menninghaus. Und Kollege Scharinger: „Wir wollten ganz bewusst die semantische Ebene ausschalten; uns also rein auf die Tonebene fokussieren.“

Die Forscher vermuten, dass es in Gedichten nicht nur ästhetische Kriterien wie Versmaß und Reim gibt, sondern auch die Sprachmelodie wie in der Musik eine Rolle spielt. Diesen Gesetzmäßigkeiten – „was macht ein Gedicht oder einen Text schön“ – sind die Forscher auf der Spur. Erste Ergebnisse liegen bereits vor. Es gibt eine spezifische Sprachmelodie für Gedichte. „Es ist sehr viel mehr als Metrum und Reim“, sagt Menninghaus. „Und das Coolste: Genau die Gedichte mit ganz spezifischen Eigenschaften der Melodie wurden dann von Komponisten vertont.“ Dichter haben ganz offensichtlich ein Gespür dafür, wie die Organisation der Worte einen Melodie-Effekt ergibt. Egal, welche Texte wir lesen oder hören – unser Körper reagiert immer, erklärt Menninghaus.

In weiteren Teststudios bekommen Probanden beispielsweise eine Elektrodenhaube für ein EEG (Elektroenzephalogramm), um die Gehirnströme zu messen. Oder der Blickverlauf (Eye-Tracking) bei Filmen oder beim Gedichtelesen wird verfolgt. Mini-Kameras zeichnen gar Gänsehaut auf, wenn sich die kleinen Härchen auf der Haut aufrichten. Natürlich ist Ästhetik und die Wissenschaft vom Geschmack schwieriges wissenschaftliches Terrain. Die Forscher nähern sich diesem Thema von zwei Seiten. Bei Studien in Testräumen sammeln sie Daten über Körperreaktionen. Diese werden dann mit den Eindrücken der Testpersonen verglichen. Eine Fragestellung ist, ob sich Freude und Trauer beim Kunstgenuss gegenseitig aufheben. Doch genau das Gegenteil scheint der Fall. Je mehr Tränen in einem Stück fließen, desto größer der Kunstgenuss, fasst Menninghaus zusammen. Wesentlich ist das Kriterium des „Bewegtseins“. Ein Kunstkniff, den schon antike Rhetoriker kannten – und nutzten.

Interessant ist auch das Ergebnis einer Studie zu Trash-Filmen wie „Sharknado“. Da werden Haie zu fliegenden Fischen, die alles mit sich reißen. Wer schaut sich solche Filme an? Die überdurchschnittlich Gebildeten, zeigen die Auswertungen. Sie sind im Schnitt 35 Jahre alt, sehen gern Sendungen auf Arte, besuchen Theater und Museen – und sehen sich gern Filme wie „Sharknado“ an. Sie betrachten solche Filme mit ironischer Distanz. Ein wichtiges Moment seien dabei auch Klischees und Anspielungen auf bereits Bekanntes. Dieses sogenannte Familiaritätsprinzip zählt laut den Forschern zu den wichtigen Einflussfaktoren für den ästhetischen Genuss generell.

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