Fitness Störende Reize gegen Verletzungen

Saarbrücken · Um Verletzungen vorzubeugen, absolvieren Leistungssportler ein zusätzliches Athletiktraining. Es hat auf den ersten Blick wenig mit ihrer Sportart zu tun, hilft aber enorm.

 Dieser explosive Sprung gegen den Widerstand der Gummibänder verbessert die Ganzkörper-Stabilisation und aktiviert Muskelketten vom Fuß bis zum Kopf.

Dieser explosive Sprung gegen den Widerstand der Gummibänder verbessert die Ganzkörper-Stabilisation und aktiviert Muskelketten vom Fuß bis zum Kopf.

Foto: Uwe Bellhaeuser

Auch Sportler, die regelmäßig trainieren, bleiben nicht automatisch von Verletzungen oder Schmerzen im Rücken, im Nacken, in den Knien oder den Schultern verschont. „Die Schmerzen können auf eine ungleichmäßig ausgeprägte Muskulatur zurückzuführen sein“, erläutert der Reha- und Athletiktrainer Oliver Muelbredt vom Olympiastützpunkt (OSP) Rheinland-Pfalz/Saarland in Saarbrücken.

Ein häufiger Schwachpunkt: Oft liegt ein Missverhältnis von Bauch- zu Rückenkraft vor. Der Bauch ist im Verhältnis zum Rücken deutlich zu schwach, selbst bei Spitzensportlern. Ein starker Rumpf ist jedoch in jedem Sport von zentraler Bedeutung. Er dient sozusagen als Widerlager. Ein kraftvoller, effektiver Einsatz der Arme und Beine ist im Alltag und vor allem im Sport nur möglich, wenn der Rumpf dabei stabil bleibt.

„In Sportarten wie Badminton oder Tennis gelingen keine guten Schläge, wenn der Rumpf nicht in eine stabile Position gebracht werden kann“, sagt Muelbredt. Schafft der Spieler es nicht, Hüfte und Oberkörper durch kraftvolle Rumpfmuskeln zu stabilisieren, schlägt er unpräzise, weil sein Oberkörper im Moment des Schlags nachgibt.

Verschobene Wirbelsäule: Beim Tennis, Badminton, Handball, Speerwerfen oder Weitsprung und Hochsprung werden der Schlag- beziehungsweise Wurfarm oder das Sprungbein im Training und Wettkampf stets stärker belastet und sind dadurch besser trainiert. Bei Fußballspielern gilt das für das Schussbein. Die einseitige Belastung führt zu einem muskulären Ungleichgewicht. Das kann Verspannungen hervorrufen. Sind rechte und linke Körperhälfte unterschiedlich stark, zieht die Muskulatur auf der kräftigeren Seite des Rückens die Wirbelsäule wie einen Flitzbogen in eine seitliche Schieflage (Skoliose) oder verdreht den Schulter-Rumpf-Bereich (Torsion).

Dieses Problem der sogenannten Rechts-Links-Asymmetrie kann mit einem gezielten Training behoben werden. „Dabei wird die schwächere Körperhälfte gezielt gestärkt, aber auch die Ansteuerung und Aktivierung der Muskulatur optimiert“, sagt Muelbredt.

Zusätzliches Athletiktraining: Die Fotos auf dieser Seite zeigen einige Übungen aus dem Athletiktraining, das die Leichtathletin Louisa Grauvogel bei Oliver Muelbredt absolviert. Für die Siebenkämpferin stehen also nicht nur Technik-, Ausdauer- und herkömmliches Krafttraining auf dem Plan, sondern auch spezielle Übungen, die der tief liegenden inneren Muskulatur zugute kommen. Denn eine gute Körperhaltung und geschmeidige Bewegungen hängen auch davon ab, ob man seine Wirbelsäule voll aufrichten und stabil halten kann. Dafür sind nicht die außen liegenden Bauchmuskeln, Rückenmuskeln und Gesäßmuskeln zuständig, wie viele glauben. Aufrecht gehalten wird der Körper von den Muskeln, die sich tief im Inneren nahe bei der Wirbelsäule beziehungsweise bei den Wirbelgelenken befinden.

Die äußeren Muskeln haben vornehmlich die Aufgabe, den Rumpf zu bewegen. Die tief liegenden, inneren Muskeln hingegen richten die einzelnen Segmente der Wirbelsäule auf und halten sie aufrecht.

Muskelketten aktivieren: „Im Alltag und vor allem beim Sport sind optimale Bewegungsabläufe nur möglich, wenn mehrere Muskelgruppen harmonisch zusammenarbeiten“, erläutert Oliver Muelbredt. Während im Fitness-Studio an Maschinen meist nur einzelne Muskeln gekräftigt werden, hat ein Athletiktraining, auch sensomotorisches Training genannt, zum Ziel, mehrere Muskelgruppen gleichzeitig anzusprechen und zu koordinieren, vor allem auch die tief liegende Muskulatur des Körperkerns. „Je besser eine Muskelkette funktioniert, desto ökonomischer und sicherer wird eine Bewegung ausgeführt“, sagt Muelbredt.

Gezielte Störreize: Neben der Kräftigung der kleinen inneren, haltungsstabilisierenden Muskeln ist es ein wesentliches Ziel des Athletiktrainings, das Zusammenwirken von Nerven und Muskeln zu verbessern, also das Ansteuern und Aktivieren der Muskeln. Das wird mit Übungen erreicht, die den Körper durch immer neue Reize aus dem Gleichgewicht bringen. Um sich zu stabilisieren, muss er neue, noch unbekannte Bewegungsabläufe erlernen. Übungen, die störende Reize auf den Körper ausüben, erreichen die inneren, stabilisierenden Muskeln (Stabilisatoren) am besten. Beispielsweise wenn man beim Liegestütz die Hände auf einem Schaumstoffkissen aufstützt, Kniebeugen auf einem luftgefüllten Kissen ausführt oder beim seitlichen Unterarmstütz zusätzlich den freien Arm nach oben streckt. Die Verwendung von Gymnastik- und Medizinbällen, Matten, Gummikissen, Therapiekreiseln, Bänken und Seilen verursacht ebenfalls die erwünschten Störreize.

Umknicken vermeiden: Ein solches Training beschleunigt auch die Auslösung von Reflexen des Nerven-Muskel-Systems. Droht etwa beim Laufen, der Fuß umzuknicken, spannen sich die Muskeln, die das Fußgelenk stabilisieren, schneller an und verhindern somit ein Umknicken. Dazu passende Übungen, zum Beispiel das einbeinige Stehen auf einem luftgefüllten Kissen, kräftigen also nicht nur die kleinen Muskeln, die das Fußgelenk stabilisieren, sondern beschleunigen auch die Übermittlung der Signale übers Rückenmark ans Gehirn, die das drohende Umknicken melden. Dadurch können diese Signale im Gehirn etwas schneller verarbeitet werden, und der Reflex zur Aktivierung der Muskeln wird schneller ausgelöst. Die Laufzeit der Reflexe wird zwar nicht schneller, jedoch verkürzt sich die Zeitspanne, die für ihre Aktivierung erforderlich ist.

 Leichtathletin Louisa Grauvogel beim Athletiktraining am Olympiastützpunkt mit dem Therapeuten Oliver Muelbredt.

Leichtathletin Louisa Grauvogel beim Athletiktraining am Olympiastützpunkt mit dem Therapeuten Oliver Muelbredt.

Foto: Uwe Bellhaeuser
 Der seitliche Unterarmstütz auf dem Pezziball ist eine Übung zur Stabilisation. Vom Fuß bis zur Schulter wird eine ganze Kette von Muskeln beansprucht.

Der seitliche Unterarmstütz auf dem Pezziball ist eine Übung zur Stabilisation. Vom Fuß bis zur Schulter wird eine ganze Kette von Muskeln beansprucht.

Foto: Uwe Bellhaeuser
 Die Wirbelsäule liegt auf einer schmalen Rolle, Gesäß und ein Bein sind angehoben. Diese schwierige Übung trainiert die Fuß-Knie-Hüftachse und den Rumpf.

Die Wirbelsäule liegt auf einer schmalen Rolle, Gesäß und ein Bein sind angehoben. Diese schwierige Übung trainiert die Fuß-Knie-Hüftachse und den Rumpf.

Foto: Uwe Bellhaeuser
 Diese „Wackel“-Übung trainiert vor allem die tief liegenden kleinen Muskeln nahe der Wirbelsäule.

Diese „Wackel“-Übung trainiert vor allem die tief liegenden kleinen Muskeln nahe der Wirbelsäule.

Foto: Uwe Bellhaeuser
 Louisa Grauvogel beim Athletiktraining im Saarbrücke Olympiastützpunkt mit Trainer Oliver Muelbredt

Louisa Grauvogel beim Athletiktraining im Saarbrücke Olympiastützpunkt mit Trainer Oliver Muelbredt

Foto: Uwe Bellhaeuser
 Bild oben: Der Beckenlift mit eingeklemmtem Pezziball kräftigt vor allem die Oberschenkelrückseite sowie Rücken- und Bauchmuskeln. Unteres Bild: Den Oberkörper zu stabilisieren, fordert auch die tief liegenden Muskeln.

Bild oben: Der Beckenlift mit eingeklemmtem Pezziball kräftigt vor allem die Oberschenkelrückseite sowie Rücken- und Bauchmuskeln. Unteres Bild: Den Oberkörper zu stabilisieren, fordert auch die tief liegenden Muskeln.

Foto: Uwe Bellhaeuser

Erstaunliche Erfolge: Oliver Muel- bredt sagt, dass es zum Beispiel bei den Badmintonspielern, die am OSP in Saarbrücken trainieren, keine großen Rücken- und Fußverletzungen mehr gegeben hat, seit die Sportler regelmäßig zwei- bis dreimal pro Woche das zusätzliche Athletiktraining absolvieren. „Dieses Training hat zum Ziel, dass die Sportler selbst hartes Üben und anstrengende Wettkämpfe ohne Verletzungen überstehen“, erläutert Muelbredt. „Dazu kann das Athletiktraining zu gut 50 Prozent beitragen.“

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