Gemüseanbau Darum lohnt sich Selbstversorgung im Garten – trotz viel Arbeit

Kassel/Rommerskirchen · Früher war Selbstversorgung über den Gemüse- und Obstanbau im eigenen Garten ein Muss, heute liegt sie im Trend. Zwei Selbstversorger erzählen, was sie antreibt und wie sie ihren Vorsatz leben.

 Angesagt und anstrengend: Wer sich mit Gemüse und Obst weitestgehend selbst versorgen möchte, muss viel Arbeit investieren.

Angesagt und anstrengend: Wer sich mit Gemüse und Obst weitestgehend selbst versorgen möchte, muss viel Arbeit investieren.

Foto: dpa-tmn/Christin Klose

(dpa) Obst und Gemüse aus dem Garten; Eier, Milch und Fleisch von eigenen Tieren: Marie Diederich versorgt sich und ihre Familie nahezu selbst. „Irgendwie hatte ich schon immer diese Sehnsucht in mir, meine eigene kleine Farm zu haben.“ Ihr erstes Taschengeld sparte Diederich für ein Buch über Selbstversorgung, erste Gartenerfahrung sammelte sie mit den Eltern auf der Dachterrasse. Mit zwölf Jahren bekam sie ihre ersten Ziegen, mit 18 Jahren schaffte sie sich Hühner an und baute Gemüse im eigenen Garten an; zudem studierte sie ökologische Landwirtschaft. Heute lebt sie mit ihrer Familie in der Nähe von Kassel und verfügt über 300 Quadratmeter Beetfläche, neun Hühner und zwei Ziegen. „Es gibt für mich wirklich nichts Schöneres auf der Welt, als in den Käse zu beißen, den ich aus der Milch meiner Ziegen gewonnen habe oder wenn der Geruch von selbst gemachter Passata den Raum erfüllt – das macht unglaublich stolz und dankbar“, sagt Diederich.

Bei Ralf Roesberger aus Rommerskirchen (NRW) fing es im Schrebergarten an. „Mein erstes Beet habe ich aus der Wiese gegraben. Ich hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung, habe mich frisch und unbedarft an die Sache rangearbeitet.“ Etwa 2000 Quadratmeter des Grundstücks hat er für den Anbau nutzbar gemacht, auf 800 Quadratmetern baut er Gemüse an. Dazu kommen Gänse, Hühner, Bienen und Kaninchen – wobei letztere nicht mehr geschlachtet würden, sagt er. „Wegen der Kinder.“ Selbstversorgung ist angesagt und für viele ein Traum. Das zeigt sich an den vielen Büchern, Blogs und Social-Media-Kanälen von Selbstversorgern. Dabei war das mal ganz anders: Bis zum Aufkommen einer industrialisierten Landwirtschaft im 19. Jahrhundert war Selbstversorgung Alltag – insbesondere auf dem Land.

„Subsistenzwirtschaft war wenig romantisch, sondern überlebensnotwendig“, sagt Stefan Zimmermann, Direktor des Freilichtmuseums am Kiekeberg bei Hamburg. „Damals gab es noch keine Supermärkte, in denen man zur Not alles kaufen konnte. Der Mangel war ein ständiger Begleiter, die Angst vor Ernteausfällen, Seuchen und Krieg groß.“

 Marie Diederich baut auf über 300 Quadratmetern Beetfläche Gemüse und Obst an.

Marie Diederich baut auf über 300 Quadratmetern Beetfläche Gemüse und Obst an.

Foto: dpa-tmn/Janis Jean Stoye

Nach dem Zweiten Weltkrieg habe sich dies jedoch geändert, dank industrieller Massenproduktion. Was also motiviert Menschen nun zu dieser Arbeit? Der Historiker hat mehrere Erklärungen: die kritische Auseinandersetzung mit der Lebensmittelproduktion und der industriellen Landwirtschaft, zum Beispiel. Aber auch der Wunsch nach Autarkie. Zimmermanns Beobachtung: „Die aufkeimende Begeisterung für Selbstversorgung zeigt sich eher in wohlhabenden Milieus. Ein kleiner Garten gehört zum Status. Brot selber backen ist ein Statement.“

Ralf Roesberger haben die Kinder zum Selbstversorger werden lassen. „Wir wollten unseren Kindern eine alternative Lebensweise zeigen. Uns war es wichtig, dass sie lernen, wie Gemüse wächst, Kaninchen geboren werden und Hühner Eier legen. Dieses Wissen ist in der heutigen Zeit abhandengekommen“, sagt der vierfache Familienvater.

Abgewandt von der Welt leben, kommt für ihn nicht infrage. „Natürlich gehen wir noch einkaufen. Wir sind keine Freaks, die nur Möhren mümmeln. Auch bei uns gibt es Fast Food und Energy Drinks“, sagt Roesberger. Selbstversorgung versteht er als ernsthafte Herausforderung. „Das ist mehr als ein bisschen gärtnern. Mein Ansatz ist es, die Kalorienbilanz auf null zu bekommen“, sagt er.

Um herauszufinden, ob die Ernte die Familie ernähren könnte, rechnet er den Kaloriengehalt von Eiern, Honig und Gemüse gegen den täglichen Bedarf von 2500 Kalorien pro Person – selbst wenn die Familie nicht alles selbst konsumiert. Marie Diederich verfolgt einen weniger strengen Ansatz. „Ich denke, es ist generell wichtig, Selbstversorgung nicht mit komplettem Eigenanbau gleichzusetzen. Das baut viel Druck auf“, sagt sie. Ihr Credo: Spaß statt Quoten und Perfektion. „Wer Kräuter selber anbaut, ist Kräuter-Selbstversorger, ein kleiner Balkon kann einen leicht zum Chili-Selbstversorger machen.“

Selbstversorgung bleibt auch im 21. Jahrhundert harte Arbeit. Diederich berichtet von Kaninchen, die den Gemüsegarten abgefressen hätten. Die größte Herausforderung für Roesberger: „Das moderne Leben mit der einfachen Lebensweise unter einen Hut zu bringen. Ich kann zur Haupterntezeit nicht einfach zwei Wochen in den Urlaub fahren, dann war alles für die Katz.“ Auf ihren Lebensstil verzichten möchten die beiden Selbstversorger nicht. „Selbst wenn die Kinder später einmal andere Wege gehen – ich mache weiter, solange es geht“, sagt Roesberger.

((dpa))
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