Serie Psychische Krankheiten – Teil 4: Suchtkrankheiten Traum und Rausch im ewigen Kampf

Die Sucht prägte ihn bereits als Jugendlichen. Ein Saarländer berichtet von dem fünften Versuch, sein Leben zurückzubekommen.

Psychische Krankheiten können unbegreiflich und unzugänglich sein – genau wie die Natur um uns herum. Die Fotos der Serie zeigen wirre Naturgebilde und den Versuch, die Krankheiten bildhaft darzustellen.

Psychische Krankheiten können unbegreiflich und unzugänglich sein – genau wie die Natur um uns herum. Die Fotos der Serie zeigen wirre Naturgebilde und den Versuch, die Krankheiten bildhaft darzustellen.

Foto: SZ/Lorenz, Robby

Ben Wegener (Name von der Redaktion geändert) sitzt aufrecht, sein Blick ist klar und wach, seine Aussagen sind reflektiert. Verliert man die Umgebung aus dem Blick, könnte man fast vergessen, wo Wegener sich gerade befindet: auf der Drogenentgiftungs-Station der Saarbrücker SHG-Kliniken Sonnenberg. Von was er hier entzieht? „Ich war polytox“, erzählt Wegener, „also so ziemlich von allem, von Alkohol bis Kokain und Heroin“. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs ist Wegener seit drei Wochen clean, ungeachtet der Substanzen, die er hier bekommt, um ihn in seinem Entzug zu unterstützen.

Während er von seiner Sucht berichtet, der Erkrankung, die den Anfang-30-Jährigen schon die Hälfte seines Lebens begleitet, geht er immer wieder mit sich ins Gericht. Doch gerade auf die wohl grundlegendste Frage – wie hat das alles angefangen, warum hat er überhaupt zu harten Drogen gegriffen? – findet er keine Antwort. „Das ist eine gute Frage“, sagt Wegener. Fast glaubt man ein leichtes Kopfschütteln zu erkennen. Zu Hause haben alle getrunken, erinnert er sich, der Vater habe auch eine Alkoholsucht gehabt. „Trotzdem habe ich die Drogen anfangs nicht als eine Art Flucht wahrgenommen“, betont Wegener. Vielmehr wirkt sein Weg, gerade in diesen ersten Jahren des Kontaktes mit Drogen, wie eine Verkettung ungünstiger Umstände und falscher Entscheidungen.

Mit zwölf habe er zum ersten Mal getrunken, erzählt Wegener, mit 14 gekifft. Er sei schwierig als Kind gewesen, die Eltern waren oft überfordert. „Ich bin zu Hause offen mit meinem Cannabis-Konsum umgegangen“, sagt er. Seine Familie sei damit nicht klargekommen. „Ich sollte abends um acht zu Hause sein, musste den Schlüssel abgeben. Tja, und statt heimzukommen bin ich dann eben woanders geblieben, an ältere Menschen geraten und durch die auch an Amphetamine und Subu­tex (Anm. d. Red.: Opiat, auch genutzt zur Substitutionstherapie bei Opioid-Abhängigkeit)“.

Es waren Entscheidungen, oder vielmehr das Ausbleiben eben solcher, die Ben Wegeners Leben für immer prägen sollten. Das anfängliche Ausprobieren wurde zu regelmäßigem Konsum. Zu Amphetaminen und Subutex gesellten sich halluzinogene Drogen, später auch Kokain und Heroin. Mit 23 hat er zum ersten Mal injiziert.

Der Aufenthalt auf dem Saarbrücker Sonnenberg ist sein fünfter Versuch, von den Drogen loszukommen, die Kontrolle über sein Leben zurückzubekommen. Mit 21 hat er sogar Deutschland verlassen, um ganz auf sich gestellt die Sucht zu besiegen. „Ich war gerade mit der Realschule fertig geworden, meine Freundin ging zurück in ihre Heimat Schweden, und es war eine gute Gelegenheit, aus der Szene rauszukommen“, erzählt er. Ein Plan, der zunächst funktionierte. Ohne die Kontakte zur Drogenszene führte Wegener ein cleanes Leben, lernte eine neue Sprache, versuchte in Schweden sogar sein Abitur nachzuholen. „Mir hat das Leben nüchtern auch besser gefallen“, stellt Ben Wegener klar. Und dennoch hat ihn sein Weg immer wieder zu den Drogen zurückgeführt: Vor allem dann, wenn Beziehungen kaputt gingen oder nach dem Tod seines Vaters. „Mit dem Erbe war es ein Leichtes, wieder anzufangen“, erinnert sich Wegener.

Seither ist sein Leben eine Berg- und Talfahrt, ein ewiger Kampf zwischen dem ständigen Verlangen nach Rausch und seinen Lebensträumen, ein nicht enden wollendes Mit-sich-selbst-Ringen. Mehrmals hat Wegener es aus eigener Kraft oder mit Therapie geschafft, clean zu werden, hat in diesen guten Phasen sein Abitur nachgeholt, zweimal zu studieren begonnen, nebenher gearbeitet. In schlechten Phasen, wie zuletzt, bestanden seine Tage aus der Entscheidung „zwischen liegen bleiben oder aufstehen und klauen gehen, alles irgendwie zu Geld zu machen und Stoff kaufen“, sagt er. „Immer mit dem Gedanken, man könnte für den nächsten Tag etwas aufheben“, ergänzt er, „aber dazu kam es natürlich nie“.

Auch am Substitutionsprogramm für Heroin-Abhängige hat er schon teilgenommen. Doch gerade während seines Studiums stellte ihn das vor Probleme: Zwischen Uni und Arbeit habe er es oft erst abends zum verabreichenden Arzt geschafft, manchmal auch gar nicht. „Dadurch kam der Entzug, ich wurde klar im Kopf und das wollte ich nicht sein, also habe ich mir dann doch Stoff gekauft und konsumiert“, erzählt er. Auch das Umfeld, in dem man als Abhängiger sozialisiert ist, sei schwierig. Um von den Drogen wegzubleiben, müsse man auch das Umfeld ändern. „Ich habe das auch schon öfter geschafft – aber diesen anderen Freunden gegenüber kann ich dann auch nicht ehrlich sein“, ergänzt er, „ich kann schließlich schlecht erzählen, dass ich die Hälfte meines Lebens an der Nadel gehangen habe“.

Seit 2018 wohnt er erst einmal wieder bei seiner Mutter. „Ich wollte einfach nicht komplett abstürzen“, sagt er, „es gibt einen Grund, warum es keine Filme mit gutem Ende über die Heroinsucht gibt“. Wegener ist sich bewusst, wie belastend seine Sucht nicht nur für ihn, sondern auch sein Umfeld ist. Dennoch: „Manchmal hätte ich mir einfach mehr Unterstützung gewünscht oder generell mehr öffentliche Aufklärung zum Thema harte Drogen, wie etwa bei Alkohol“, sagt er. Er ist sich auch bewusst, dass nur ein Bruchteil der Heroin-Abhängigen es schafft, ganz davon loszukommen. Von ein bis zwei Prozent habe einer seiner Ärzte einmal gesprochen, erinnert sich Wegener. Viele Opiat-Abhängige bleiben für den Rest ihres Lebens substituiert. „Zwischenzeitlich habe ich auch darüber nachgedacht, einfach täglich einen Kasten Bier zu trinken und Gras zu rauchen, immerhin wäre das weniger schädlich“, sagt Wegener, „aber auch nicht erfüllend“. Denn trotz seiner „Angst, es wieder nicht hinzubekommen“, seien da immer noch große Wünsche für sein Leben. Im Anschluss an seine Entgiftung auf dem Sonnenberg wird er deswegen eine dreimonatige Entwöhnungstherapie beginnen. Bis jetzt wisse er weder, wo er danach wohnen werde noch was er machen soll, erklärt er. Und trotzdem blitzt sie da auf in seinen Augen – die Hoffnung auf ein Leben nach der Sucht.

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