Serie Lebenswege Eisenbahner Walter Klemm liebte Musik

Saarbrücken · Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörigen und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorbener vor. Heute: Walter Klemm.

  Das Foto von 2021 zeigt Walter Klemm vor einer Museumslok in Losheim.

Das Foto von 2021 zeigt Walter Klemm vor einer Museumslok in Losheim.

Foto: Familie Klemm

„Alle, die ihn kannten, haben meinen Mann als bescheidenen, freundlichen und hilfsbereiten Menschen in Erinnerung“, sagt Elisabeth Klemm aus Saarbrücken über ihren verstorbenen Mann Walter Klemm, der am 29. April 1931 in Stuttgart zur Welt kam.

Vater Hermann war Versicherungskaufmann, Mutter Fanny Hausfrau. Walter hatte zwei Brüder – Manfred (geboren 1927) und Dieter (1934). Vater Hermann verlor im Ersten Weltkrieg in Flandern ein Bein. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Familie ausgebombt, Walters Bruder Manfred fiel kurz vor Kriegsende mit 17 Jahren als Panzergrenadier. Die Kirche und die Musik spendeten der Familie ein wenig Trost. So sangen Walters Eltern im Kirchenchor, auch dem jungen Walter machte der Chorgesang Spaß. Über zehn Jahre lang sang er bei den Stuttgarter Hymnuschorknaben, und als er 1950 auf dem Stuttgarter Karlsgymnasium sein Abitur ablegte, erwog er, Musik zu studieren. „Aber dann hat er doch davon Abstand genommen. Musik sollte sein Hobby bleiben, er wollte sich einen ‚ordentlichen‘ Beruf suchen“, sagt Elisabeth Klemm.

Walter Klemm absolvierte eine Lehre als Mechaniker, besuchte dann die Technische Hochschule in Stuttgart und studierte Maschinenbau. Seine Eltern konnten ihm kein Hochschulstudium finanzieren, sagten ihm aber Kost und Logis im Elternhaus zu. In der vorlesungsfreien Zeit jobbte Walter, um sein Studium zu bezahlen. Unter anderem arbeitete er am Fließband bei der Firma Bosch und bei der Stuttgarter Straßenbahn. „Auch diese praktischen Tätigkeiten hat Walter sehr geschätzt“, berichtet Elisabeth Klemm. Im Januar 1959 beendet er sein Studium mit der Ernennung zum Diplomingenieur. Er bewarb sich bei der Deutschen Bundesbahn und wurde im April 1959 als Referendar berufen. Es folgte die Beamtenlaufbahn mit Ernennung zum Assessor, Rat, Oberrat, Direktor und ab 1979 zum Leitenden Direktor.

1953 hatte Walter im Kirchenchor der Stuttgarter Markuskirche die damals 17-jährige Elisabeth Flitner kennen- und lieben gelernt. Am Tag vor ihrem schriftlichen Abitur fragte er sie, ob sie ihn heiraten und bis zum Ende seines geplanten Studiums auf ihn warten wolle. Weihnachten 1956 war Verlobung, am 12. Juli 1958 Hochzeit. Die beiden bekamen vier Kinder. Zunächst wohnten sie in Mundelsheim am Neckar, wo Elisabeth Klemm als Lehrerin arbeitete. 1961 zog die Familie mit zwei Kindern nach Stuttgart, ehe 1965 der beruflich bedingte Umzug nach Saarbrücken erfolgte und die Familie eine Wohnung im Kohlweg fand. Nach der Geburt des dritten Kindes bezog die Familie eine größere Wohnung in der Ohmstraße. Als alle Kinder das Elternhaus verlassen hatten, wechselten das Paar in eine altersgerechte Wohnung in der Daimlerstraße.

1977 wurde Walter Klemm für anderthalb Jahre nach Frankfurt abgeordnet, die Familie blieb in Saarbrücken. „Damals führten wir eine Wochenend-Ehe, so wie schon einmal in den Jahren 1963 bis 1965, aber die Abordnung Walters war für sein weiteres Berufsleben sehr wichtig“, erzählt seine heutige Witwe.

Das Hochzeitsfoto von Walter Klemm und seiner Frau Elisabeth stammt von 1958.

Das Hochzeitsfoto von Walter Klemm und seiner Frau Elisabeth stammt von 1958.

Foto: unbekannt

Die Musik blieb ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Da alle Kinder im Saarland geblieben sind, erfreuten sich die Eltern immer besonders an der gemeinsamen Hausmusik bei allen Familienfesten. Walter und Elisabeth sangen 18 Jahre lang in der Evangelischen Chorgemeinschaft an der Saar (heute Bachchor). Darüber hinaus zeichnete sich Walter Klemm als hervorragender Klavierspieler aus. „Das war das Schöne, dass wir unser Hobby gemeinsam ausüben konnten. Es war eine wunderbare Zeit. Erst als Walter 70 war, hörten wir mit dem Singen im Chor auf“, erzählt Elisabeth Klemm.

Durch das gemeinsame Singen war das Ehepaar viel herumgekommen. Die Konzertreisen des Chores in den Herbstferien führte beide unter anderem nach Italien, England, Polen und in die Schweiz. Im Urlaub besuchten sie Kreta, Sizilien, Italien, Israel, Norwegen, Griechenland, England, Island und die USA.

1994 ging Walter Klemm in den Ruhestand, weil er – wie seine Ehefrau sagt - „enttäuscht war, was aus der Deutschen Bundesbahn (DB) geworden ist“. So hatte die DB allein 1993 7,9 Milliarden Euro Verluste erwirtschaftet. Hinzu kam, dass die Deutsche Reichsbahn eingegliedert werden musste. Deshalb entschloss sich das Unternehmen zu einer Bahnreform. Die neu geschaffene Deutsche Bahn AG sollte kunden- und marktorientiert agieren können und Gewinne erwirtschaften. Walter Klemm war mit dem Ergebnis dieser Reform nicht einverstanden.

Kurz nach seinem 80. Geburtstag bemerkte seine Frau Anzeichen von Demenz bei ihrem Mann. Drei Jahre später wurde Alzheimer diagnostiziert, es begann eine schlimme Zeit. „Alzheimer ist eine furchtbare Krankheit. Nicht nur für den, der daran erkrankt, sondern für alle, die sich um den Kranken kümmern müssen“, resümiert Elisabeth Klemm. Sie hatte sich vorgenommen, ihren Mann so lange wie möglich zu Hause zu pflegen, aber im Januar 2021 reichten ihre Kräfte nicht mehr. Sie musste ihren Mann in stationäre Pflege in ein Heim geben. Am 11. November vorigen Jahres kam Walter Klemm wegen einer Gallenblasenentzündung ins Krankenhaus, wo sich sein Zustand verschlechterte. Am 7. Dezember hieß es: „Es wäre besser, wenn wir kommen“, erzählt sie. Innerhalb einer halben Stunde war die ganze Familie am Krankenbett. Als es hieß, ab dem nächsten Tag seien wegen Coronafällen keine Besuche mehr möglich, entschloss sich die Familie, Walter Klemm mit nach Hause zu nehmen. „Wir waren dort noch zwei Tage zusammen, und es war immer jemand an seinem Bett. Am 9. Dezember war ich bei ihm. Ich habe ihm vorgesungen und mit ihm gebetet. Und plötzlich hörte er auf, zu atmen. Er war ganz friedlich eingeschlafen. Das hat mir den Abschied erleichtert“, erzählt Elisabeth Klemm. Für den 91-Jährigen gab es eine Urnenbestattung im engsten Familienkreis auf dem Friedhof St. Johann. „Ein Freund schrieb mir, ‚Wir denken alle immer noch gerne an sein schelmisches Lächeln‘, und ich selbst vermisse ihn unendlich und merke erst jetzt, was ich verloren habe“, sagt Elisabeth Klemm.

Auf der Seite „Momente“ stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorbener vor. Online unter saarbruecker-­zeitung.de/lebenswege

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