Serie Lebenswege „Weltoffen und durchaus eigenwillig“

Saarbrücken · Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörigen und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorbener vor. Heute: Ute Kiefer.

  Ute Kiefer lebte nach der Anthroposophie, die als Wissenschaft zum Verständnis von Natur, Geist und menschlicher Entwicklung begründet wurde.

Ute Kiefer lebte nach der Anthroposophie, die als Wissenschaft zum Verständnis von Natur, Geist und menschlicher Entwicklung begründet wurde.

Foto: Ute Seibert

Im Saarland gibt es mehrere anthroposophische Initiativen – wie die Waldorfschulen, die Waldorfkindergärten, die Christengemeinschaft oder die Zweige der Anthroposophischen Gesellschaft. Eine der tragenden Persönlichkeiten in dieser Bewegung war Ute Kiefer, die am 19. Dezember 2021 im Alter von 94 Jahren verstorben ist und von ihren Kindern, Enkeln und Weggefährten als eine bemerkenswerte, starke Frau beschrieben wird. Ute Seibert, eine langjährige Freundin und Wegbegleiterin, hat über den Lebensweg von Ute Kiefer erzählt.

Ute Kiefer, geborene Lang, kam am 11. September 1927 in Pittsburgh/USA als Tochter von Rudolf und Sophie Lang zur Welt. Die Eltern stammten aus Burbach, der Vater war als Mitarbeiter von General Motors in die USA beordert worden, wo er mit Frau und Tochter bis 1933 lebte und erste Kontakte zur Anthroposophie knüpfte. „Dies sollte Auswirkungen auf das Leben von Tochter Ute haben. Ihre Begegnungen, Erfahrungen und auch der Einfluss der Waldorfpädagogik prägten ihre Gestaltungskräfte, ihre Energie und ihre Willenskraft“, sagt Ute Seibert. Nach ihrer Rückkehr nach Burbach besuchte Ute Kiefer, damals noch Lang, die Volksschule, anschließend wechselte sie zum Mädchengymnasium Saarbrücken. Mit ihrem geliebten Vater verbrachte sie sehr viel Zeit auf dem biologisch-dynamischen Bauernhof Hochscheid bei St. Ingbert. „Ute liebte die Natur und die Begegnung mit Tieren, war ein hellwaches, umsichtiges Mädchen“, erzählt Freundin Ute Seibert. Trotz aller Kriegswirren hielten die Eltern stets Kontakt zu anthroposophisch Interessierten, allerdings verloren sie im Krieg ihr gesamtes Hab und Gut und fanden in der Nähe von Kassel ein neues Zuhause, wo ein kulturelles, anthroposophisches Zentrum mit reger Vortragstätigkeit und Diskussionsrunden entstand.

Eigentlich wollte Ute Lang Ärztin werden. Doch stattdessen begann sie 1947 eine Ausbildung zur Eurythmistin (Eurythmie ist eine anthroposophische Bewegungskunst, eigenständige darstellende Kunst und Teil von Bühneninszenierungen). „Es war die erste Klasse der Eurythmie nach dem Krieg, weil seit 1934, in der Zeit des Nationalsozialismus, anthroposophische Ausbildungen weitgehend verboten waren“, sagt Ute Seibert. Späteren Freunden und Weggefährten erzählte die junge Ute Lang oftmals mit leuchtenden Augen aus dieser Zeit. „Alles sog sie ein und war ganz in dieser Welt eingebunden. Wer sie kannte, erlebte sie ganz und gar nicht eng, eher weltoffen, mutig und durchaus eigenwillig. Sie hat über den Tellerrand hinausgeblickt, sie blieb nicht anthroposophische Insiderin“, sagt Ute Seibert.

Nach ihrer Ausbildung arbeitete die junge Ute Lang zunächst noch im Großhandel, heiratete Rudi Kiefer, bekam mit ihm zwei Kinder, Markus und Christiane, die ihr später noch drei Enkel schenkte. Markus und Christiane sollten eine Waldorfschule besuchen. „Das war für Ute und ihren Mann wichtig“, betont Ute Seibert. Beim Sohn entschieden sich die Eltern für das Internat in Loheland, die Tochter besuchte in Homburg, dann Webenheim, später Bexbach, die erste, von Ute Kiefer selbst im Saarland mit auf den Weg gebrachte, Waldorfschule. Ute Kiefers Vater – inzwischen ältestes Mitglied der anthroposophischen Gesellschaft im Saarland – unterstützte im Hintergrund. Ab diesem Zeitpunkt riss die Initiativkraft von Ute Kiefer nicht mehr ab. Sie sah ihre Fähigkeit darin, Menschen zum gemeinsamen Gespräch und Handeln zusammenzuführen. Weitere Waldorfschulen in Altenkessel, Bildstock und Nohfelden sowie viele Waldorfkindergärten fanden in ihr eine Ansprechpartnerin und Mitgestalterin.

Darüber hinaus gab es mit ihrer Hilfe von 1986 bis 1990 öffentliche Tagungen mit bekannten Rednern der anthroposophischen Bewegung Deutschlands in Saarbrücken. Diese beschäftigten sich mit anthroposophischen Arbeitsfeldern wie Pädagogik, Medizin, Landwirtschaft, soziale Dreigliederung, Kunst und Anthroposophie. Zudem brachte sie als Mitredakteurin das Heft „Keime für die Zukunft“ auf den Weg – ein dreimal im Jahr im Saar-Lor-Lux-Raum erscheinendes Organ, in dem die vielfältigen anthroposophischen Initiativen ihre Arbeit darstellen konnten. Außerdem organisierte und begleitete Ute Kiefer bis 2015 maßgeblich die vierteljährlichen Treffen der anthroposophischen Initiativen aus dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Lothringen und Luxemburg. Ihr größter Wunsch war es, eine Seniorenstätte zu gründen, in der ältere Menschen wohnen und sich begegnen können sowie eine medizinisch-anthroposophische Betreuung erhalten und bei ihrem Tod auf dem Weg in eine geistige Welt liebevoll begleitet werden. „Ute Kiefer hatte hierzu weit vorausschauende Ideen und träumte von einer Einrichtung, in der die älteren Menschen ihre Biografien austauschen und miteinander über die Anthroposophie im Gespräch bleiben könnten“, sagt Ute Seibert.

1999 war Ute Kiefer Mitgründerin (und danach langjährige Vorsitzende) des Vereins „Lebensgestaltung im Alter e.V.“, der heute „Anders alt werden e.V.“ heißt. Schon ein Jahr später fanden sich in diesem Verein über 100 Menschen zusammen, um ein solches Wohnprojekt zu stemmen. „Ihren Lebenstraum konnte Ute aber leider nicht mehr verwirklicht sehen. Beeinflusst von Krankheit und Alter zog sie sich aus dem öffentlichen Leben zurück, lebte umsorgt von ihrem Sohn und ihrer Tochter in Neunkirchen“, schildert Ute Seibert. Seit Februar 2020 war Ute Kiefer bettlägerig und pflegebedürftig. Ihre Kinder sowie ehrenamtliche Helfer des Vereins und ein ambulanter Pflegedienst kümmerten sich um sie, bis Ute Kiefer am Vormittag des 19. Dezember 2021 starb. Am 31. Januar dieses Jahres wurde Ute Kiefer zu Grabe getragen. Eine letzte Ruhestätte fand sie in ihrer Familiengruft auf dem Burbacher Waldfriedhof.

Auf der Seite „Momente“ stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorbener vor. Online unter saarbruecker-­zeitung.de/lebenswege

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