Serie Lebenswege Aschbach kannte sie an der Ladentheke

Lebach-Aschbach · Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörigen und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorbener vor. Heute: Theresia Conrad.

 Ihr Dorfladen „Gipser Käthchen“, später „Kaufhaus Conrad“, hat Theresia Conrad in Aschbach dorfbekannt gemacht. Sie stand bis 2004, bis zum 75. Lebensjahr, hinter der Theke. Das letzte Foto im Laden entstand aber erst 2018 nach der endgültigen Geschäftsschließung, da sie bis dahin ihrer Nachfolgerin im Laden aushalf.

Ihr Dorfladen „Gipser Käthchen“, später „Kaufhaus Conrad“, hat Theresia Conrad in Aschbach dorfbekannt gemacht. Sie stand bis 2004, bis zum 75. Lebensjahr, hinter der Theke. Das letzte Foto im Laden entstand aber erst 2018 nach der endgültigen Geschäftsschließung, da sie bis dahin ihrer Nachfolgerin im Laden aushalf.

Foto: Monika Buchmann

„Mama war für mich ein Vorbild an Tatkraft, Einsatz und Durchhaltevermögen. Mit dieser Lebenshaltung hat sie mich geprägt. Sie hat mir vorgelebt, dass zum Frausein nicht das, weibische Zagen‘ gehört, das Goethe noch den Frauen zuschrieb. Sie hat mein Streben nach Eigenständigkeit grundgelegt.“ Mit diesen Worten würdigt Franziska Conrad, Tochter von Theresia, das Leben ihrer 2020 verstorbenen Mama. Caroline Conrad, die jüngere Schwester, ergänzt: „Wir trauern um unsere Mutter, die uns stets ein Vorbild an Tatkraft, Energie, Freundlichkeit, Sanftmut und Güte war.“

Am 11. Oktober 1927 wurde Theresia als fünftes von elf Kindern in den Haushalt von Rosa und Nikolaus Theobald im kleinen Ort Aschbach am Fuße des Schaumberges geboren. Der Vater war Bergmann, die Mutter am Zahltag oft verzweifelt, weil sie wusste, dass das Geld für den ganzen Monat nicht reichen wird. Ersparnisse waren durch die Inflation wertlos geworden, ein Haus musste finanziert, 13 hungrige Mäuler mussten gestopft werden.

Die Memoiren von Theresia Conrad enthalten aber auch lebensfrohes: Die Erinnerung an das gut schmeckende „Hasenbrot“, das ihr der Vater mit nach Hause brachte etwa. An gute Menschen im Elternhaus, die Geschwister, Verwandtschaft und Nachbarschaft, die Schulzeit. „Unsere Mama war interessiert an Literatur, Geografie und Geschichte. Sie wollte Lehrerin werden. Da die Eltern zu arm waren, um sie studieren zu lassen, wurde aus diesen Plänen nichts“, resümieren die Töchter. Ihre Lebensaufgabe fand Theresia im Geschäft. Mit Zwölf begann sie, im Aschbacher Dorfladen von „Gipser Käthchen“ zu helfen, die kurz zuvor ihre kleine Tochter verloren hatte. Die Arbeit lag ihr.

Ihre Erinnerungen schildern die Töchter so: „Während und nach dem Krieg übernimmt sie zusehends mehr die Verantwortung im Geschäft. 1953 heiratet sie Karl, den Sohn von Käthchen. Anfang der 60er-Jahre wird der neue Laden angebaut. Theresia muss all ihre Kraft in das Geschäft stecken, um die Baumaßnahmen und den Lebensunterhalt finanzieren zu können. Sie bringt den Laden zum Florieren, macht sich im Dorf einen Namen als freundliche, großzügige, diskrete, hilfsbereite Geschäftsfrau. Viele Kunden lassen bei ihr anschreiben, wenn das Geld zum Leben fehlt. Ihr Arbeitsalltag umfasst damals 12 bis 14 Stunden, nebenher der Haushalt, dazu eine zusehends hinfällig werdende Schwiegermutter. Das alles ist nur zu schaffen, weil sie ihren Beruf liebt und dazu Trost und Kraft in der Religion findet, um ihren harten Alltag und auch psychische Krisen meistern zu können.“ 1997 wurde das 75-jährige Geschäftsjubiläum mit einem dreitägigen Fest begangen, das Fernsehen berichtete sogar.

2004 wurde dann zu einem schweren Jahr für die lebenslang couragierte Frau. Karl, ihr Ehemann, starb, gleichzeitig zog sie sich aus dem Geschäftsleben zurück. Naturgemäß wurde da ihr Leben einsamer. Sie schrieb für ihre Kinder und die fünf Enkel ihre Lebenserinnerungen nieder. Ab dem 80. Lebensjahr stellten sich körperliche Gebrechen ein. Einer Hüft-OP folgten Frakturen. Immer wieder kam es zu Stürzen, Unfällen, Notarzteinsätzen. Gleichzeitig frischte sie alte Freundschaft auf, wurde regelmäßig zu Ausflügen in saarländische Kapellen, zu Spaziergängen, zum Kaffeetrinken eingeladen. „Diese Zeit zählte mit zu den glücklichsten in ihrem Leben“, resümiert ihre Tochter Caroline.

2015 wurde aber dann eine beginnende Demenz festgestellt und eine 24-Stunden-Betreuung organisiert. Schließlich ließ sich der schleichende Abbau ihres körperlichen und geistigen Leistungsvermögens nicht mehr aufhalten. „Irgendwann konnte sie nicht mehr schreiben, ihre Gedanken nicht mehr in Worte fassen. Wie traurig sie manchmal war, wenn sie sich nicht mehr verständlich machen konnte. Dennoch ertrug sie all das mit Geduld und der ihr eigenen Sanftmut, ohne aggressiv oder missmutig zu werden“, fasst Tochter Caroline zusammen.

Die notwendig gewordene Übersiedlung in das Püttlinger Seniorenhaus St. Augustin verkraftete Theresia Conrad erst gut, fühlte sich dort aufgehoben und medizinisch bestens versorgt. Tägliche Besuche der in der Nähe wohnenden Tochter munterten sie auf. Doch das plötzliche coronabedingte Besuchsverbot konnte die mittlerweile 93-jährige Frau nicht mehr verstehen und verarbeiten.

Telefonieren oder Skypen erschlossen sich ihr nicht, die ausbleibenden Besuche ihrer Tochter konnten auch durch Fotos, Karten, Blumen und andere Aufmerksamkeiten nicht ausgeglichen werden. Schließlich begann sie zu fiebern, verweigerte Essen und Trinken, rang schließlich mit dem Tod: „Es war sehr schmerzlich, dies mitansehen zu müssen, ohne helfen zu können“, sagt Tochter Caroline rückblickend. Trost brachte die Krankensalbung, Stunden später starb die Mutter.

„Nimmer sich beugen, kräftig sich zeigen“, schrieb Goethe – diese Aussage des Dichters trifft auf das Leben von Theresia Conrad zu.

Auf der Seite „Momente“ stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorbener vor. Online unter:

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