„Sie war immer der Mittelpunkt“

Ottweiler · Anneliese Cayrol lebte für ihre Familie

 Anneliese Cayrol.

Anneliese Cayrol.

Foto: privat

Ottweiler. Anneliese Cayrol, geborene Weingardt, Jahrgang 1925, hat vier Brüder und zwei Schwestern. Sie ist die sechste der sieben Geschwister. Der Vater Adolf Weingardt war Bergmann, arbeitete auf der Grube Kohlwald. Die Mutter Anna Maria versorgte den Haushalt und die Kinder. Tochter Anneliese besuchte in Ottweiler die evangelische Volksschule bis 1939, musste dann - wie die meisten heranwachsenden Mädchen damals - ihr sogenanntes ,,Landjahr" in einem landwirtschaftlichen Betrieb ableisten. 1941 begann sie eine kaufmännische Lehre in einem Lebensmittelgeschäft in Neunkirchen, die sie 1944 mit der Kaufmannsgehilfenprüfung abschloss.

Es war Krieg. Fast täglich erlebte sie die Bombenangriffe in Neunkirchen. Und später hat sie auch erzählt, dass sie als Dreizehnjährige Zeuge der Kristallnacht war, als in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 jüdische Geschäfte und die Synagogen brannten und die Judenverfolgung begann: "Es war schrecklich." Kriegsende. Ottweiler war nicht Ziel der alliierten Bombenangriffe gewesen. Aber Hunger und Not waren überall. Die Menschen gingen hamstern. Anneliese Cayrol hat später erzählt, dass sie zu den Bauern fuhr, "und irgendwas gegen Lebensmittel eintauschte Manchmal mit dem Zug bis in die Pfalz." Sie war arbeitslos. Das ehemalige Saargebiet war nun französisch besetzte Zone. In St. Wendel im französischen Offizierskasino fand sie eine Anstellung in der Küche und dort lernte sie auch Denis Noel Cayrol, Corporal in einem französischen Jägerbataillon, kennen. Die Hochzeit war am 14. Februar 1947 in Ottweiler in der katholischen Kirche Mariä Geburt. Auf dem Hochzeitsfoto trägt sie ein dunkles Kleid. "Für ein weißes Kleid und eine große Feier hatten sie kein Geld, Ein Trauzeuge brachte den Kaffee in einer Aktentasche mit, wahrscheinlich vom Schwarzmarkt", erzählt Sohn Denis Cayrol, 61.

Er, sein Bruder Robert, 62, und Tochter Denise Schroer, 64 Jahre alt, und ich sitzen zusammen im Hotel Goethe in Ottweiler, das von Denise Schroer und ihrem Mann bewirtschaftet wird, und reden über eine ungewöhnliche, lebenstüchtige, fleißige und kluge Frau. 1947 wurde Sohn Etienne geboren. Die junge Familie lebte in einer Einzimmer-Wohnung. Ihr Ehemann wurde Bergmann und arbeitete auf der Grube Reden. Es waren arme Verhältnisse. Sohn Robert: "Sie war eine gute Köchin, die aus Nichts was Gutes kochen konnte. Wir haben nicht bemerkt, wie schwer sie es hatte, uns alle zu versorgen." Bald zog die Familie um in eine Zweizimmer- Wohnung, und dann wurde in Ottweiler eine Fünfzimmer- Sozial-Wohnung frei. Sohn Denis "Wir hatten nun einen großen Garten. Hier wuchs alles, was man essen konnte. Kartoffeln, Gemüse, Salat, und wir hatten wie die meisten Bergmannsfamilien auch Hasen, Hühner, auch ein Schwein. Und Mutter kochte und organisierte den Haushalt und das Familienleben. Sie war morgens die Erste und abends die Letzte. Um 13 Uhr wurde gegessen, um 14 Uhr wurde mit den Schularbeiten begonnen. Und dann hatten wir frei. Wir tobten im angrenzenden Wald rum, auf dem Sportplatz oder im Sommer im Schwimmbad. Und sie hatte alles im Griff. Wie hart das Leben war, haben wir eigentlich nicht mitgekriegt. Einmal froren die Kartoffeln im Keller ein. Das war ein schwerer Verlust." Die Kinder beschreiben sie als Mutter, die "ihre Strenge, mit der sie uns erzog, sehr geschickt verpackt hat. Sie war hilfsbereit, überall hoch angesehen, nicht nur, weil sie eine so tolle Haufrau war. Sie war eine Persönlichkeit.

" Die Kinder wurden flügge, absolvierten ihre Berufsausbildung. Alle vier Kinder bauten, "saarländisch, einer half dem anderen. Und Mama versorgte uns mit Essen." Von 1970 an arbeitete sie als Köchin in der Kantine für über 200 Mitarbeiter einer Textilfirma. 1985 hörte sie auf. Inzwischen hatte sie sechs Enkelkinder, später kamen zwei Urenkel hinzu. Sie war eine begeisterte und großzügige Oma. Und immer war sie irgendwie der Mittelpunkt. Sie war gastfreundlich. Ihr Wahlspruch war. "Komm e rin, die Tür is offe." 2001 starb ihr Mann Denis Noel Cayrol nach einem Schlaganfall. Sohn Denis: "Das hat sie schwer getroffen. Die Familie - das war alles, für unseren Vater und unsere Mutter."

2006 erlitt Anneliese Cayrol einen Schlaganfall. Sie war halbseitig gelähmt. Aber sie hat sich zurück ins Leben gekämpft, lebte in einer behindertengerechten Wohnung. Im April 2012 dann ein erneuter Schlaganfall, an dem sie starb. Tochter Denise erzählt: "Auf dem Markt sprach mich ein Junge an, 14 Jahre alt.. Er heulte: ,Gell, die Oma Anneliese ist tot. Kann ich ein Andenken an sie haben?` Ich versprach ihm, dass er eine Tasse von seiner Ersatzoma als Andenken bekommt."

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