Serie Lebenswege Familie und Arbeit waren sein Leben

Schwalbach · Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörigen und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorbener vor. Heute: Richard Krall.

  Richard Krall schaut hier 2015 offenen Blickes in die Kamera. Er ging zuversichtlich und anpackend durchs Leben und wurde 86 Jahre alt.

Richard Krall schaut hier 2015 offenen Blickes in die Kamera. Er ging zuversichtlich und anpackend durchs Leben und wurde 86 Jahre alt.

Foto: Familie Krall

„Der liebe Richard Krall“ – diese Worte ziehen sich durch alle Beileidsbekundungen zum Tode eines Mannes, der im Westsaarland bestens bekannt und überaus beliebt war.

Richard Krall kam am 25. August 1934 als viertes von fünf Kindern im Dillinger Stadtteil Pachten zur Welt. Seine Eltern waren Oskar und Gertrud Krall, geborene Schäfer. Richards Kindheit und frühe Jugend waren geprägt von der politischen Situation im damaligen Saargebiet und den Kriegsjahren. So erzählte er oft von einem schrecklichen Ereignis im Jahre 1944: Gemeinsam mit seiner Familie feierte er im Elternhaus ein Fest, als Tief­flieger einen Munitionszug im Dillinger Bahnhof angriffen und eine verheerende Explosion herbeiführten. Die Fenster aller Häuser in der Umgebung des Bahnhofs gingen zu Bruch, und sogar auf dem selbst gebackenen Kuchen der Familie Krall lagen Glasscherben. Später suchten Richard und seine Freunde in der Umgebung des Bahnhofs nach Munitionsresten – eine tragische Suche, denn die scharfe Munition explodierte und Richard verlor an der linken Hand drei Finger.

Schlimm war auch die Heimkehr nach der zweiten Evakuierungsphase der Saarländer. Als Richard Krall 1945 mit seiner Familie aus Thüringen zurückkehrte, fand er sein Elternhaus durch einen Bombenangriff völlig zerstört vor. Die Familie musste im Keller des Hauses wohnen, das sie unter großen Anstrengungen selbst wiederaufbaute.

Nach der Volksschule absolvierte Richard Krall eine Klempnerlehre bei der Pachtener Firma Klein und legte 1963 bei der Handwerkskammer des Saarlandes seine Meisterprüfung ab. 2013 wurde er mit dem Goldenen Meisterbrief geehrt.

In jungen Jahren hatte sich Richard Krall dem Kanuclub Dillingen angeschlossen und lernte dort im Rennbüro Agathe Both aus Schwalbach kennen. Die beiden verliebten sich ineinander und heirateten 1964 in Schwalbach. Die Hochzeitsreise führte sie nach Nizza und Monaco. 1967 kam Tochter Christina zur Welt, 1973 folgte die zweite Tochter, Bettina. „Meinen Eltern war Richard wie ein eigener Sohn, und als unsere Töchter heirateten, war er seinen Schwiegersöhnen immer ein guter Ratgeber“, erzählt Agathe Krall. 2013 kam Bettinas Sohn Leonard zur Welt, der seinen Opa Richard vergötterte. Und 2014 wurde im Familienkreis die Goldene Hochzeit von Richard und Agathe Krall gefeiert.

Richard Krall hatte sich als Klempnermeister in Fremersdorf, dann in Pachten und ab 1980 in Schwalbach selbstständig gemacht. Seinen Betrieb vergrößerte er nach und nach um die Ausführung von Dachdecker- und Zimmermannsarbeiten. „Er lehnte keinen Auftrag ab, kein Auftrag war ihm zu klein, und bei großen Sachen nahm er jegliches Risiko auf sich. Die Kundschaft achtete ihn, bei den Architekten hatte er einen guten Ruf, und seinen Mitarbeitern war er immer ein guter Chef“, erzählt Agathe Krall. Bei schwierigen Arbeiten hieß es oft: „Frag den Krall, der hat immer eine Lösung.“

 Richard und Agathe Krall auf ihrem Hochzeitsfoto von 1964

Richard und Agathe Krall auf ihrem Hochzeitsfoto von 1964

Foto: Familie Krall

Ergebnisse seiner fachkundigen Arbeit sind noch in Kirchen und Kapellen im Umkreis von Schwalbach und Dillingen zu sehen. So hat er als ersten großen Auftrag in seiner Selbstständigkeit das Kirchendach in Fremersdorf saniert, einschließlich der Herstellung und Installation eines Hängegerüstes und des Kirchenhahns. Bevor der Hahn gesetzt wurde, pflegte Richard Krall einen uralten Brauch: Er zog mit seinen Mitarbeitern durchs Dorf und bat in den Häusern um Spenden und sprach den Segen. Richard Krall leitete auch die Dachsanierung der Pfarrkirche St. Martin in Schwalbach. „Das war wohl die letzte Kirchturmspitze, auf der er saß“, sagt Agathe Krall.

Sie betont, dass Familie und Arbeit die wichtigsten Dinge in Richard Kralls Leben waren, aber er genoss auch seine Freizeit. So ließ er es sich nie nehmen, einen Arbeitstag mit einem Dämmerschoppen in seiner Stammkneipe ausklingen zu lassen. „Das war ihm Erholung genug“, sagt Agathe Krall. Und sonntags, nach dem Mittagessen, fuhr die Familie gerne ins geliebte Lothringen oder zu den schönsten Orten im Saarland. Zu Kurzreisen an den Bodensee war Richard Krall immer bereit.

1989 hatte er einen schweren Arbeitsunfall, bei dem er sich zwei Wirbel brach. Drei Monate lag er im Bett, die Firma führte in dieser Zeit seine Frau Agathe Krall. Die ärztliche Prognose war alles andere als positiv: „Die Ärzte sagten, nur in einem Prozent aller Fälle erholt man sich wieder vollständig von dieser schweren Verletzung“, berichtet Agathe Krall. Doch ihr Mann schaffte es mit großer Energie und großem Willen. Mit zunehmendem Alter jedoch machte ihm sein Herz zu schaffen. Es traten erste Einschränkungen auf, und die geliebten Sonntagsausflüge mussten ausfallen. Auch seine Werkstatt betrat Richard Krall immer seltener. 2017 löste er seinen Betrieb auf, ein Nachfolger ließ sich nicht finden.

Im November 2019 brach sich Richard Krall nach einem Sturz den Oberschenkelhals. Es folgte ein langer Krankenhausaufenthalt, daran anschließend übernahmen seine Ehefrau und die Kinder aufopferungsvoll seine Pflege. Dennoch erholte sich Richard Krall nicht mehr von den Folgen des Sturzes und schlief am 10. Oktober 2020 im Kreise seiner Familie und in den Armen seiner Frau friedlich für immer ein. Tröstende Worte fand der damals siebenjährige Enkel Leonard: „Nun habe ich einen Schutzengel im Himmel, den ich kenne. Der Opa ist jetzt noch immer und überall bei uns.“

Auf der Seite „Momente“ stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorbener vor. Online unter saarbruecker-­zeitung.de/lebenswege

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