„Positiv, geradeaus, hilfsbereit“

Saarbrücken · Ortrun Menn

 Ortrun Menn

Ortrun Menn

Foto: privat

Saarbrücken. Ortrun Menn, Jahrgang 1935, geborene Krauß, wuchs in Sulzbach auf. Sie ist die vierte von fünf Geschwistern. Ihr Vater war Professor Dr. Erich Krauß, der Chefarzt des alten Krankenhauses in Sulzbach. Ihre Mutter Salome Krauß managte den Haushalt und kümmerte sich um die Kinder. Die Familie wohnte am Krankenhaus und zog später um nach Saarbrücken. Tochter Ortrun absolvierte eine Lehre als medizinisch-technische Assistentin im alten Reppertsberg- Krankenhaus, dem späteren Winterberg- Klinikum in Saarbrücken. Jeden Tag fuhr sie mit der Straßenbahn von und zu ihrer Arbeitsstelle. An der Haltestelle Bahnhofstraße musste sie umsteigen. Die Haltestelle war gegenüber des Hauses Bahnhofstraße 36, in dem die Familie Menn das Spezialitätengeschäft ,,Die Kaffeebohne" betrieb. Ein feiner Laden, in dem es auch heute noch frisch gerösteten Kaffee, aber auch viele Teesorten, Gebäck und Schokolade gibt. Willi Menn, Jahrgang 1928, erzählt: "Ich sah sie jeden Morgen an der Haltestelle. Wusste aber nicht, wie ich sie ansprechen sollte. Mein Cousin Günther Menn sagte: ,Quatsch sie doch einfach mal an.' Ich weiß es noch genau. Es war der 17. September 1955, als ich sie fragte: ,Gefällt Ihnen unser Schaufenster?' Sie sagte: ,Ja, sehr sogar.' So lernten wir uns kennen. Das erste Mal durften wir nur mit Genehmigung ihrer Mutter miteinander ausgehen, von 15 bis 19 Uhr. Dann ging alles sehr schnell nach dem Motto: Verliebt, verlobt verheiratet. Wir verlobten uns Weihnachten 1955." Heirat wenige Monate später in der Basilika St. Johann.

Und auch beruflich gab es eine Änderung. Ehemann Willi hatte zu ihr gesagt: "Mach doch da oben in der Klinik Schluss und komm in die ,Kaffeebohne' zu uns." Sie kam. Er sagt: "Sie hat es nie bereut. Die Arbeit hat ihr Spaß gemacht. Meine Frau war kontaktfreudig, freundlich, hilfsbereit. Sie hat in unserem Geschäft den Kaffee geröstet. Kaffee rösten ist kein großes Geheimnis, aber manche lernen es nie. Meine Frau konnte es. Die Erfahrung lehrt die Perfektion." Nach einer kurzen nachdenklichen Pause sagt er: "Es hätte nicht schöner sein können. Wir waren einfach glücklich miteinander. Wir hätten gerne Kinder gehabt. Das war der größte Wunsch meiner Frau der leider nicht in Erfüllung ging." Die 70er und die 80er Jahre: "Die Kaffeebohne" wird um 9 Uhr geöffnet, um 18 Uhr 30 geschlossen. Samstags ist bis 14 Uhr geöffnet. Nach Ladenschluss muss noch aufgeräumt werden. "Meine Frau ging früher nach Hause. Sie kochte. Sie konnte gut kochen. Wir hatten oft Gäste oder trafen uns mit Freunden. Oder wir saßen einfach zu Hause, lasen. Sie war sehr interessiert. Wir lasen die Saarbrücker Zeitung, den Spiegel, später Focus, und auch Die Zeit. Sie war sehr kontaktfreudig. Und für unsere Mitarbeiterinnen eine verständnisvolle und auch hilfsbereite Chefin.. Sie machte gerne Geschenke, die sie liebevoll verpackte. Und am Wochenende, wenn wir samstags den Laden geschlossen hatten, so um 14 Uhr, fuhren wir an den Hirbacher Weiher, wo wir ein Wochenendhaus hatten. Frische Luft, grüne Wiesen, der See - da konnten wir uns erholen. Oder wir fuhren an die Mosel, nach Perl, nach Nennig."

Gegenüber der "Kaffeebohne" wurde das Kaufhaus Karstadt gebaut, 1985 wird der St. Johanner Markt eingeweiht. Er wird der schönste Platz der Stadt. Dann, in den 90er Jahren, wird die Bahnhofstraße Fußgängerzone. "Das alles hat uns Auftrieb gegeben. Doch nun änderten sich ja auch die Ladenschlusszeiten. Nun konnten auch wir nicht mehr am Samstag um 14 Uhr schließen. Wir hatten einen 12-Stunden-Tag, von 6 Uhr 30 morgens bis nach 20 Uhr 30, und das von Montag bis Samstag. Meine Frau hat sich nie beschwert."

Im September 2010 erkrankte Ortrun Menn. Die Ärzte diagnostizierten COPD, Sammelbegriff für eine Gruppe von Krankheiten der Lunge. Sie litt an chronischer Atemnot und Husten. Nur noch selten konnte sie in "Die Kaffeebohne" kommen. Im Juni 2011 stürzte sie auf der Treppe, erlitt einen doppelten Oberschenkelhalsbruch. Sie kämpfte sich ins Leben zurück. Am 3. März fiel sie in ein Koma, aus dem sie nicht mehr erwachte. Ihre ältere Schwester Nora besuchte sie und mietete sich in das Krankenzimmer ein, um sie zu betreuen und um Ehemann Willi zu entlasten. Ehemann Willi: "Diese Form der Anteilnahme ist nicht alltäglich. Meine Frau starb. Wir waren 56 Jahre verheiratet. Der Schmerz ist groß."

In der Traueranzeige der Mitarbeiterinnen von "Die Kaffeebohne" liest man: "Sie war positiv, geradeaus, hilfsbereit. Durch ihre menschliche Art hatte sie stets Zeit und Gehör für unsere Bedürfnisse. Wir werden oft an sie denken. Sie fehlt uns."

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