Dorothea Schreiner berichtet über den Tod eines lieben Angehörigen. Menschen machen das Leben lebenswert

Merchweiler/Illingen · Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörigen und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorbener vor. Heute: Dorothea Schreiner.

 Nicht viel mehr als dieser Grabstein bleibt Monika Fox als Erinnerung an ihre Vorfahren, die im Zweiten Weltkrieg starben.

Nicht viel mehr als dieser Grabstein bleibt Monika Fox als Erinnerung an ihre Vorfahren, die im Zweiten Weltkrieg starben.

Foto: Fredy Dittgen

Was bleibt von uns, wenn wir tot sind? Ein paar Fotos? Dokumente? Ein Grabstein? Oder etwa gar nichts? Werden sich unsere Nachkommen noch an uns erinnern, oder werden sie uns völlig vergessen? Gegen dieses Vergessen kämpfen Monika und Jim Fox aus Illingen-Hirzweiler an. Sie möchten an Dorothea Schreiner erinnern, die Urgroßmutter väterlicherseits von Monika Fox. „Ohne sie gäbe es mich heute nicht“, begründet Monika Fox die Spurensuche nach ihrer Vorfahrin.

Monika Fox ist 69 Jahre alt und stammt aus Karlsruhe. Mit ihrem amerikanischen Ehemann Jim (74) – der irische Wurzeln hat – hatte sie vor vier Jahren ihre Heimatstadt verlassen und war nach Hirzweiler gezogen. Sie wollte näher bei ihrem Sohn Justin sein, der sich während seiner Studienzeit in Landau in ein saarländisches Mädel verliebt hatte und ins Saarland gezogen war.

Eines schönen Tages besuchte Monika Fox gemeinsam mit ihrem Mann das Wemmetsweiler Heimatmuseum. Beim Besichtigen der Exponate wurden sie auf ein Dokument aufmerksam, das an einen schlimmen Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg erinnerte. Dabei waren auch Vorfahren von Monika Fox ums Leben gekommen. Unter anderem ihre Urgroßmutter Dorothea Schreiner. Jim Fox, ein begeisterter Ahnenforscher, nahm diese Spur auf und suchte mit seiner Ehefrau nach weiteren Hinweisen. Sie fanden heraus, dass Dorothea Schreiner am 12. Dezember 1866 in der damals selbstständigen Gemeinde Gennweiler (heute zu Illingen gehörig) als Dorothea Senz geboren wurde. Mit 23 Jahren heiratete sie den sechs Jahre älteren Bergmann Christian Maas aus Wustweiler mit dem sie einen Sohn – Matthias – hatte. Doch kurz nach der Hochzeit verstarb Christian Maas. Die wahrscheinlichste Ursache ist ein Grubenunglück, Näheres ist allerdings nicht bekannt.

Zwei Jahre später heiratete Dorothea den zwei Jahre älteren Bergmann Paul Schreiner aus Wemmetsweiler, dem sie neun Kinder schenkte – sechs Söhne und drei Töchter. Das zweitgeborene Kind, Maria, später Großmutter von Monika Fox, erblickte am 28. Oktober 1893 das Licht der Welt. Ein Jahr nach dem ersten Weltkrieg zog Maria nach Karlsruhe, wo sie heiratete und Kinder gebar. Ihr Zweitgeborener, Erwin Schreiner, war der Vater von Monika Fox. Urgroßmutter Dorothea Schreiner hatte den Zweiten Weltkrieg indes nicht überlebt. Am 29. September 1944, einem Freitag, waren im Auftrag der US-Airforce morgens um 7.40 Uhr im englischen Essex 36 zweimotorige Bomber des Typs B26B gestartet. Ihre Order war es, die Befestigungsanlagen des Westwalls im Raum Blieskastel-Webenheim zu zerstören und damit den anrückenden alliierten Verbänden den Weg freizubomben. Als der Bomberverband, der auf Sicht flog und von britischen Spitfires begleitet wurde, gegen 10.15 Uhr den Operationsraum erreichte, war die Bodensicht jedoch durch aufkommenden Nebel so schlecht, dass der Angriff abgebrochen werden musste. Nur sechs Maschinen warfen ihre Bomben auf die Panzersperren ab, die übrigen Flugzeuge machten sich auf den Rückweg. Weil sie aber nicht mit vollen Bombenschächten heimkehren wollten, suchten sie sich Ersatzziele. Die Navigatoren wählten die Grube Reden und eine Straßenbrücke über einer Eisenbahnlinie in Wemmetsweiler aus. Sechs Bomber flogen Reden an und warfen dort 48 Bomben ab, die großen Sachschaden anrichteten und vier Menschen den Tod brachten.

17 andere Maschinen nahmen Kurs auf Wemmetsweiler und versuchten, Brücke und Eisenbahnlinie zu treffen. Die führenden Bomber verfehlten das Ziel jedoch um mehr als 50 Meter und trafen stattdessen das Wohngebiet Michelsberg zwischen Bildstock und Peterstraße sowie die Brückenstraße. Die nachfolgenden Maschinen hatten wegen des aufsteigenden Explosionsstaubs keine freie Sicht mehr und verfehlten Brücke und Eisenbahnlinie ebenfalls. Ihre todbringende Last traf auf einer Strecke von 300 Metern weitere Wohngebiete zwischen dem Striedt und dem Wiesenthal. Insgesamt fielen mehr als 200 Zweizentnerbomben auf Wemmetsweiler. 35 Wohnhäuser wurden dabei schwer beschädigt, 17 davon erlitten Totalschaden. 22 Einwohner fanden den Tod. Darunter auch die damals 77-jährige Dorothea Schreiner sowie ihre 34-jährige Tochter Martha Ganster und ihr achtjähriges Enkelkind Margot Ganster.

Ihre letzte Ruhe fanden die Opfer des Zweiten Weltkriegs auf dem Wemmetsweiler Friedhof, wo Gedenksteine und Grabmale noch heute an sie erinnern. Doch diese Erinnerung genügt Monika Fox nicht: „Ohne meine Urgroßmutter und deren Lebensweg hätte ich hier im Saarland nicht dieses Gefühl der Zugehörigkeit gefunden. Der wichtigste Punkt dabei ist allerdings, dass es mich, zusammen mit meinem Mann Jim, unserem Sohn Justin und dessen Kindern Owen und Caitlin heute gar nicht gäbe.“

Monika Fox betont besonders die Ironie des Schicksals bei dieser Geschichte: Ihr Ehemann – ein Amerikaner – kam im gleichen Jahr zur Welt, als ihre Urgroßmutter von amerikanischen Bomben getötet wurde. „Aber der Kreislauf des Lebens hat uns alle wieder zusammen geführt. Wie sagte Wilhelm Freiherr von Humboldt einmal: ‚Im Grunde sind es immer die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben.‘“

Auf der Seite „Momente“ stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorbener vor. Online unter saarbruecker-­zeitung.de/lebenswege

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