„Liebe ist die größte Energiequelle“

Völklingen · Stefan Lengert war von Kindheit an krank.

 Stefan Lengert.

Stefan Lengert.

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Völklingen. Stefan Lengert, Jahrgang 1966, ist der Sohn des Dachdeckermeisters Theodor Lengert und seiner Frau Anita Lengert in Völklingen und wuchs, wie man so sagt, in behüteten Verhältnissen auf. Er war das Nesthäkchen, der Nachkömmling. Er hat drei ältere Geschwister: Silvia, Jahrgang 1952, Thomas, Jahrgang 1957, und Ralf, Jahrgang 1959.

Er war sechs Jahre alt, als er eine Treppe hinunterstürzte und sich schwer verletzte. Die Ursache war, wie man später bei einer neurologischen Untersuchung feststellte: Der Junge leidet an Epilepsie, im Deutschen Fallsucht oder auch Krampfleiden genannt. Eine bittere, eine schlimme Diagnose. Epilepsie kann durch Medikamente zwar eingedämmt, aber nicht geheilt werden. Immer wieder kommen die krampfartigen Anfälle. Was nun?

Die Eltern halfen ihm, wie und wo sie konnten. Die durch die Anfälle verursachten Schwierigkeiten in der Schule versuchte er zu überspielen. Sein Vorbild war sein Bruder Thomas, der künstlerisch begabt war, Musiker war und als Bildhauer arbeitete. Seine Frau Michaela, die damals, als sie ihn 1988 kennen lernte, als Landschaftsgärtnerin arbeitete und heute Mitinhaberin des Reisebüros Degen & Lengert ist, beschreibt ihn als "stolz, introvertiert und eigenwillig, aber auch empfindsam. Er arbeitete damals im elterlichen Dachdeckereibetrieb in Völklingen, konnte allerdings wegen seiner Krankheit nicht aufs Dach klettern, was ihn natürlich ärgerte. Und deswegen hatte er auch Schwierigkeiten, weil er die Arbeit der Mitarbeiter des elterlichen Unternehmens nicht kontrollieren konnte. Er musste Ruhe haben, konnte keine Aufregung vertragen. Die Anfälle waren schlimm. Aber wenn man sich wirklich liebt, geht das, ist das kein Problem. Ich mochte ihn gleich, als ich ihn sah. Die Liebe ist die größte Energie- Ressource, die man sich vorstellen kann."

Sie kannten sich ein Jahr, als sie zusammen zogen: "Das war 1989. Ich habe ihm die Schlüssel zu meiner Wohnung in Saarbrücken gegeben. Er arbeitete weiter in der elterlichen Dachdeckerfirma. Wir unternahmen beide große Reisen, flogen auf die Seychellen, nach Mauritius, auf die Bahamas. Es waren schöne Wochen, die wir verlebten. Seine Mutter hatte inzwischen einen Schlaganfall erlitten. 2001 ist dann sein Vater gestorben. Seine Mutter kam ins Pflegeheim Sie starb 2004."

Nach einer kurzen Pause sagt sie auf saarländisch: "2001 sind wir dann heiraten gegangen." "Heiraten gegangen? Wo?" frage ich. Sie: "Erst auf dem Standesamt, dann katholisch auf den Cook-Islands. Ich: ,,Wo?" Sie: ,,Die Cook-Islands, deutsch Cookinseln, gehören zu Neuseeland, liegen im südlichen Pazifik. Die Hauptstadt ist Avarua auf der Insel Rarotonga". Sie zeigt ein Hochzeitsfoto. Das Brautpaar, beide ganz in Weiß,. steht unter einem Blumenbogen am Strand und strahlt sich an "Und hier haben wir uns vor Gott die Treue geschworen. Der Schwur hat gehalten. Wir waren Gegensätze. Ich bin sehr lebhaft, sportlich, bin Tauchtrainerin, lese viel, denke über das Leben und seinen Sinn nach, bin, wenn Sie so wollen, philosophisch. Er war zurückhaltend, ruhig, stolz. Man kann auch sagen: Er war auf seine Art auch erhaben. Er ging oft mit Aaron, seinem Hund, einen Labrador- Rüden spazieren. Wir hätten gerne Kinder gehabt. Er wäre gerne Papa geworden. Das blieb uns versagt."

In der Dachdeckerei Theodor Lengert liefen die Geschäfte schlecht: "Mein Mann bekam kaum Aufträge. Die Grubenschäden in Völklingen-Fürstenhausen ließ die RAG durch auswärtige Fremdunternehmen beheben. Er hatte darauf gehofft. 2006 musste er Insolvenz anmelden. Das war eine bittere Pille für ihn. Das hat er wohl nie verkraftet. Ich hatte inzwischen eine Ausbildung als Reisebürokauffrau absolviert und mich 2002 mit Norbert Degen mit dem Reisebüro Degen & Lengert in Völklingen selbstständig gemacht. Mein Mann arbeitete bei uns im Reisebüro mit."

Nach eine kurzen nachdenklichen Pause sagt sie: "Dann - es war 2008 - kamen die Anfälle immer intensiver. 2010 verkrampfte sich bei einem Anfall die linke Seite, war wie gelähmt Wir fuhren in eine Spezialklinik für Epilepsie. Dort verordnete man ihm neue Medikamente. Er hatte Atembeschwerden und Husten. Sie machten einen Lungenfunktionsstest. Ohne Ergebnis."

Was dann geschah, hat er in einem Brief an seine Krankenkasse aufgeschrieben: "Sie schickten mich weg nach Hause. Ich hätte ein konditionelles Problem. Es hieß: ,Herr Lengert, machen Sie Waldlauf oder fahren Sie Fahrrad, bis Ihnen die Zunge zum Hals raus hängt.' Ich fuhr nach Hause, hatte am Abend einen Nervenzusammenbruch. Ich konnte nicht mehr aus dem Haus gehen. Meine Frau überzeugte mich, zu einem Lungenfacharzt zu gehen. Nach langen Gesprächen willigte ich ein." Seine Frau erzählt: "Wir waren am 21. März 2011 beim Lungenfacharzt. Dort stellten sie ein Bronchial-Karzinom fest, eine besonders bösartige Form der Krebserkrankung. Sie gaben ihm Infusionen. Aber er war vom Tod bereits gezeichnet. Er war ein Pflegefall. Ich habe ihn zu Hause mit Hilfe meiner Mutter, der Palliativen Ambulanz des St. Jakobus Hospiz und seiner Schwester Silvia in Völklingen gepflegt. Die letzten Tage seines Lebens war er in der SHG-Klinik in Völklingen. Ich habe ihn in den Tod begleitet."

Michaela Lengert kaufte im Friedwald, dem Naturschutzgebiet Kirchheck und von der Heydt bei Saarbrücken, eine Eiche und bestattete dort am Fuße des mächtigen Baumes ihren Mann Stefan Lengert: "Dort wird er ruhen in Frieden. Und ich auch einmal."

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