„Lehrer“ war sein Traumberuf

Saarbrücken-Güdingen · Berndt Überall war engagiert, erfolgreich und beliebt.

 Berndt Überall

Berndt Überall

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Saarbrücken-Güdingen. Berndt Überall ist das einzige Kind der Eheleute Waltraud und Ernst Überall. Der Vater, Jahrgang 1926, ist Buchhalter, die Mutter Schneiderin. 1954 heirateten die beiden in Esslingen. 1955 wurde Sohn Berndt geboren. Der Krieg war vorbei. Das Wirtschaftswunder kam ins Laufen. Der kleine Berndt erlebte eine unbeschwerte Kindheit. Zwischen Eltern und Sohn entwickelte sich eine innige Beziehung. Berndt besuchte erst die Volksschule in Esslingen, wechselte dann auf das Gymnasium in Esslingen und legte 1975 in Esslingen die Reifeprüfung ab. "Schon während der Schulzeit hatte er den Traum, Lehrer zu werden", erzählt Ernst Überall, sein Vater. Und Mutter Waltraud ergänzt: "Er hatte einen Lehrer in Englisch und Deutsch. Der war sein Vorbild. So wie der wollte er werden."

Doch statt zu studieren, sollte er erstmal zum "Bund", wie man damals sagte. Er lehnte ab: "Ich bin Kriegsdienstverweigerer!" Berndt Überall wurde als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Vermutlich war einer seiner Gründe, dass er nicht erleben wollte, was sein Vater, der als Achtzehnjähriger Soldat werden musste und drei Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft war, erleben musste. Statt bei der Bundeswehr zu marschieren, studierte er dann von 1975 an in Freiburg, und bereitete sich auf seinen Traumberuf "Lehrer" vor. Er war sportlich, lief Ski und Schlittschuh, spielte Handball, und lebte wie viele Studenten damals stilgerecht in einer WG, einer Wohngemeinschaft. Man diskutierte über die APO, die außerparlamentarische Opposition, über die Uni, über "den Muff von tausend Jahren unter den Talaren", natürlich auch über den Vietnamkrieg. Sein Hobby war Musik, der Rock'n'Roll der 70er Jahre, und er spielte in einer Band Gitarre. "Er war musikalisch, hatte sich das Gitarrenspiel selbst beigebracht. Und fast jedes Wochenende kam er zu uns nach Esslingen und besuchte uns", erzählen sein Eltern. Er nahm sein Studium ernst, war fleißig, hatte immer sein Ziel vor Augen, Lehrer zu werden. 1979 schloss er mit dem Examen ab. Er war nun ausgebildeter Lehrer für Deutsch und Englisch.

Doch Lehrer gab es damals viele. Lehrer zu werden war "in" . Aber freie Lehrerstellen gab es nicht. Sein Vater erzählt: "Im Kulturministerium vertröstete man ihn immer wieder: Warten Sie noch, vielleicht nächstes Jahr." Was tun? Berndt Überall, der Lehrer für Deutsch und Englisch, arbeitete in Supermärkten, in einer Möbelspedition, am Fließband bei Daimler in Cannstatt. So schlug er sich durch, immer in der Hoffnung, doch bald seinen Traumberuf ausüben zu können. Er war in dem Alter, in dem man sich verliebt, verlobt, heiratet und eine Familie gründet. Seine Eltern erzählen: "Irgendwie war er immer wieder enttäuscht, wenn er eine junge Frau traf, von der er glaubte, das geht gut. Dann war es doch nicht so, wie er es sich wünschte Er blieb Junggeselle."

1983 dann fand er eine Anstellung, die seinem Berufswunsch Lehrer zwar auch nicht hundertprozentig entsprach, aber zumindest nahe kam. Er übernahm die Betreuung von Jugendlichen im Projekt "Südwind Freiburg e.V. - Verein für soziale und interkulturelle Arbeit", der sich vor allem um zugewanderte Arbeiterinnen und Arbeiter und um deren Kinder kümmerte. Er war engagiert, erfolgreich und beliebt. In einer späteren Beurteilung über seine Arbeit bei "Südwind" liest man: "Vielen Kindern und Jugendlichen hat er den Weg zu sich selbst und in unsere Gesellschaft ermöglicht." Und abends, wenn er nicht mehr die "Südwind"- Kinder betreute, war er endlich Lehrer. Er unterrichtete an einer Abendschule. 2001 fand er im Internet ein Stellenangebot für einen Deutsch- und Englischlehrer an der Erweiterten Realschule Saarbrücken- Bruchwiese. Er bewarb sich, hatte Glück, wurde eingestellt, freilich nicht als Beamter - ("Dazu war er einige Wochen zu alt", sagt sein Vater) - sondern als Angestellter im Schuldienst: "Endlich konnte er zeigen, dass er ein guter, ein verständnisvoller und auch ein gerechter Lehrer war." Er unterrichtete Deutsch, Englisch und Musik. Die Kinder mochten ihn. Im Lehrerkollegium schätzte man ihn wegen seiner offenen Art, seiner Kompetenz und Kollegialität: "Und wäre er Beamter gewesen, hätte man ihn sogar zum Konrektor gemacht."

Er wohnte in Saarbrücken-Güdingen am Sportplatz, holte seine betagten Eltern nach Saarbrücken, mietete ihnen eine Wohnung in Saarbrücken-Bübingen. Wenn er nicht unterrichtete, besuchte er Rock-Konzerte, auch mal ein Spiel des 1. FC Saarbrücken oder unternahm Fahrradtouren. Und oft betreute und pflegte er seine Eltern, denen es gesundheitlich nicht gut ging. Dann schlief er bei ihnen im Wohnzimmer. So auch in der Nacht vom 29. zum 30. August. Sein Vater sagt leise: "Ich hörte plötzlich einen lauten Schlag. Es war mein Sohn. Er war umgefallen, lag bewegungslos auf dem Boden. Der Arzt konnte nur noch den Tod feststellen. Die Todesursache war tödlicher Herzinfarkt. Er war eigentlich nie richtig zum Arzt gegangen."

Wie sehr beliebt er war, zeigen die vielen Kondolenzbriefe, in denen Schüler, Kollegen und Freunde Abschied nehmen. Die Klasse 10.1 der Erweiterten Realschule Saarbrücken- Bruchwiese schreibt: "Lieber Herr Überall, wir vermissen Sie, die Schulklasse 10.1 bedankt sich bei Ihnen für die schönen Jahre, die bei jedem Einzelnen lange in Erinnerung bleiben werden." In der Traueranzeige des Kollegiums, der Schulleitung und der Schüler der Erweiterten Realschule Saarbrücken- Burchwiese in der Saarbrücker Zeitung liest man über Berndt Überall: "Er war Vertrauenslehrer, ein außergewöhnlich begabter Pädagoge und ein sehr beliebter Lehrer, der sich über die Maßen hinaus für die Schule engagierte.´

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