Serie Lebenswege „Es war immer spannend mit ihm“

Namborn-Baltersweiler · Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörigen und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorbener vor. Heute: Christoph Rammacher.

  Ein schelmisch-sympathischer Blick: Christoph Rammacher als Kind 1960. Seine Kopf- und Körperhaltung haben sich in all den Jahren nicht verändert (siehe unten).

Ein schelmisch-sympathischer Blick: Christoph Rammacher als Kind 1960. Seine Kopf- und Körperhaltung haben sich in all den Jahren nicht verändert (siehe unten).

Foto: Engelbert Rammacher

„Sperrig, unkonventionell, kryptisch, krude.“ Mit vier Attributen zeichnet Armin Rohr im Internet den Nachruf auf den allzu früh verstorbenen Künstlerkollegen Christoph Rammacher, 63-jährig verstorben am 5. September 2020. Jetzt, im Frühjahr 2022, wollen seine Schwestern Elisabeth und Brigitte Rammacher über ihren „ungewöhnlichen, tiefgründigen, genialen Bruder und Freigeist“ erzählen.

 Christoph Rammacher als Erwachsener: Das Foto hat seine Schwester Brigitte Rammacher 2016 aufgenommen.

Christoph Rammacher als Erwachsener: Das Foto hat seine Schwester Brigitte Rammacher 2016 aufgenommen.

Foto: Brigitte Rammacher

Christoph Rammacher wurde am 11. August 1957 als erstes Kind von Engelbert und Agnes Rammacher in Namborn-Baltersweiler geboren. Die Mutter war Hausfrau, der Vater Oberlehrer an der Realschule, der Großvater Johann Engel gar Schulrat. „Die Latte hing für unseren Bruder hoch, natürlich sollte er studieren“, resümieren die Schwestern. Damit hatte Christoph jedoch wenig am Hut. Mehr interessierte ihn die bildende Kunst. Freihändig malte er die Lila Kuh, fabrizierte aus Käseschachteln und Klopapierrollen das Raumschiff Enterprise und geniale Klickerbahnen. Er ließ sich inspirieren durch Kontakte zu regionalen Künstlern wie Leo Kornbrust, Bildhauer, Felicitas Frischmuth, Schriftstellerin, Alois Ohlmann, Maler und Grafiker.

Christoph Rammacher entwickelte über seine künstlerische Neugierde hinaus „... ein unglaubliches Auge für die Natur: Kaulquappen, Insekten, Schmetterlinge, Eidechsen – alles wurde gesammelt und beobachtet! Es war immer spannend mit ihm“, sagt Elisabeth Rammacher rückblickend. „Aber Familie, Regeln, Gehorsam, das war nie sein Ding“ ergänzt Schwester Brigitte. Kein Wunder also, dass bei den Erwachsenen mit ihren ehrgeizigen Plänen sein Verhalten nicht gut ankam, die Schuljahre geprägt waren von Dramen, Streitereien, Fünfernoten. Mit 18 entzog sich Christoph Rammacher dem familiären Stress, verließ das Gymnasium ohne Abschluss, verpflichtete sich für vier Jahre beim Bund. Er verweigerte bald aber erfolgreich den Wehrdienst, ungewöhnlich für einen Zeitsoldaten. Er arbeitete zeitweise als ungelernter (!) Zahntechniker: „Unser Bruder hat sich, wie vieles, das Handwerk selbst beigebracht“, sagen die Schwestern.

Christoph Rammacher eröffnete in den 80er-Jahren in St. Wendel die legendäre Kneipe „Zur Sonne“, ein beliebter Treffpunkt mit gekonnter Mischung aus Kunst, Musik, hausgemachtem Essen, „...das unser Bruder selber kochte“, erzählen die Frauen. Der junge Mann und erfolgreiche Gastwirt heiratete, das Paar bekam einen gesunden Sohn, gute Jahre also: „Aber irgendwie war seine Seele immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen, und so fühlte er sich innerlich nicht ausgefüllt trotz seines Erfolges und wurde depressiv. Er verließ seine Frau, vernachlässigte die Kneipe und war am Ende finanziell ruiniert“, berichtet Schwester Elisabeth Rammacher ganz offen.

Doch selbst in dieser schwierigen Zeit zeigte sich seine Kämpfernatur: Christoph Rammacher wollte nun wirklich seriös Kunst machen. Er wurde an der Kunsthochschule des Saarlandes angenommen, studierte, mit Diplom!

Seine künstlerischen Arbeiten wurden vielfältig beachtet, auch international. Er heiratete ein zweites Mal, auch diese Ehe wurde geschieden: „Sein unsteter Geist funkte wohl immer gegen ein normales bürgerliches Leben an“, resümieren die Schwestern. Nach dem Tod des Vaters 2013 eröffnete Christoph Rammacher in der Mainzer Straße in Saarbrücken sein eigenes Atelier, in dem er auch wohnte, „Das Donnerstagszimmer“. Er lebte vom Verkauf seiner Kunst, vom väterlichen Erbe und einer Halbtagsarbeit in der Nachmittags- und Ferienbetreuung von Schulkindern, bei denen er für seine ungewöhnlichen Projekte beliebt war. Alles in Butter also, bis der damals 58-Jährige Knall auf Fall nach Berlin zog, „... um etwas Neues auszuprobieren“, begründen seine Schwestern diesen Schritt.

Die Hauptstadt war inspirierend, aber teuer, sodass er, kurzerhand, in den Osten umzog, nach Chemnitz, mit dem Argument: „größerer Wohnraum, geringere Kosten“. Er arbeitete als Sonderbetreuer für behinderte Kinder, knüpfte Kontakte zur dortigen Kunstszene, entwickelte einen dreidimensionalen Fisch mit Beleuchtung und spiegelnd- glänzenden Oberflächen, der beim Publikum gut ankam und den er in Serie herstellen wollte. Dann kam 2019 die schreckliche Nachricht: Prostatakrebs.

Es folgten eine heftige Chemobehandlung, die Reha, schließlich die frohe Kunde: „Ich bin krebsfrei!“ Doch das war ein Irrtum: Bei einem Video-Anruf im August 2020 zu seinem Geburtstag stellte die Schwester Elisabeth fest, dass ihr Bruder kaum noch die Augen offen halten konnte. Sie fuhr sofort nach Chemnitz, fand Christoph schon im Krankenhaus: „Dort lag er dann so schneeweiß wie das Bettlaken, und die Ärzte eröffneten uns, dass sein Körper voller Krebs sei und er nur noch wenige Tage zu leben hatte.“

Der Bruder wollte im Saarland sterben. „In einer unglaublichen Hilfsaktion hat das ,Team Wünschewagen Saar‘ ihn freitags im Wochenendverkehr und unter persönlichem,  höchstem Einsatz nach St. Wendel in die Palliativstation des Marienkrankenhauses gebracht, wo sich die Familie in Frieden von ihm verabschieden konnte“, sagen Elisabeth und Brigitte Rammacher.

Christoph Rammacher ruht heute im Friedwald Losheim. Er hinterließ der Welt eine Unmenge an Bildern und Kunstwerken und bei den Schwestern das traurige Gefühl: „So, das war’s erst mal, und jetzt müssen wir noch eine Runde weinen.“

Auf der Seite „Momente“ stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorbener vor. Online unter saarbruecker-­zeitung.de/lebenswege

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