Serie Lebenswege „Sie liebte wirklich das Leben“

Kleinblittersdorf · Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörigen und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorbener vor. Heute: Helga Eicker.

 Das Foto von 1968 zeigt Helga Eicker und ihren Ehemann Ernst zusammen mit ihrem Patenkind Gisela Fritz. Die Freude, die sie gemeinsam erlebten, steht ihnen auf diesem Bild ins Gesicht geschrieben.

Das Foto von 1968 zeigt Helga Eicker und ihren Ehemann Ernst zusammen mit ihrem Patenkind Gisela Fritz. Die Freude, die sie gemeinsam erlebten, steht ihnen auf diesem Bild ins Gesicht geschrieben.

Foto: Familie Eicker

Ein Spruch sagt, dass man das Leben leben soll, solange man lebt, und Gisela Fritz, die Nichte der am 15. Januar 2022 verstorbenen Helga Eicker, meint, dass dieser Spruch haargenau zu ihrer Tante passt. „Sie liebte wirklich das Leben, und das Leben liebte sie“, sagt Gisela Fritz.

Helga Eicker, geborene Philippi, kam am 22. Mai 1937 in Saarbrücken als erstes Kind von Heinrich und Franziska Philippi zur Welt. Sie bekam noch einen jüngeren Bruder, Heino, und die beiden waren der ganze Stolz ihrer Eltern. Die Familie lebte in Kleinblittersdorf und Helga erzählte später, wie schlimm die Kriegszeiten waren. Heulende Sirenen, Bombenalarme, Evakuierungen, Hunger und Not prägten ihre Kindheit. Helga erzählte sogar, dass sie Spatzen mit Schleudern von den Dächern schießen mussten, damit sie etwas zu essen hatten. „Diese Not prägte sie, wie viele andere Kriegskinder damals, so dass sie stets auf das aufpasste, was ihr wichtig und wertvoll war. Wie zum Beispiel ihre Puppe – sie war etwas Besonderes für Helga“, erzählt Gisela Fritz. Bei dieser Puppe handelte es sich um eine Echthaar-Schildkrötpuppe, eine kostbare Rarität in jener Zeit. Helga hütete diese Puppe ihr ganzes Leben lang.

„Helgas Mutter Franziska stammt aus der Dynastie der Hoffsteter, die einen Steinbruch betrieben. Aus diesem Steinbruch wurde zum Beispiel die Kirche St. Agatha in Kleinblittersdorf gebaut, in der im Januar Helgas Trauergottesdienst stattfand“, erzählt Gisela Fritz.

Die kleine Helga besuchte in Kleinblittersdorf die Volksschule, gemeinsam mit ihrem Klassenkameraden Ernst Eicker, der ihre große Liebe und später ihr Ehemann wurde. Nach der Schule absolvierte Helga eine Bankenlehre, während sich Ernst zum Gipser ausbilden ließ. Am 24. August 1960 heirateten die beiden und gründeten eine Gips-, Stuck- und Verputzfirma in Kleinblittersdorf.

Die Anfangszeit war schwer. Ernst Eicker zog mit dem Handkarren durchs Dorf, um Aufträge auszuführen. Dabei kam er oft an der ehemaligen Villa Röchling vorbei. „Das wird mal unser Haus“, habe Ernst Eicker schon damals zu seiner Helga gesagt. Und in den 1970er-Jahren erfüllte sich das Ehepaar diesen Traum, als sie die Villa kauften. „Ganz klein fingen sie an und arbeiteten sich hoch zu einer gut gehenden Firma. Helga wurde Geschäftsfrau, leitete das Büro, managte die Verwaltung der Firma, war mit Ernst in der Gipser-Innung engagiert. Und sie hatte das Kommando!“, berichtet Gisela Fritz. Vor etwa acht Jahren mussten Helga und Ernst Eicker ihre Firma aus Altersgründen schließen, ein Nachfolger war nicht zu finden.

  Eines der letzten Fotos von Helga Eicker zeigt sie lachend.

Eines der letzten Fotos von Helga Eicker zeigt sie lachend.

Foto: Familie Eicker

Helga Eicker sei quirlig, lebendig, präsent gewesen. „Helga war laut. Man hörte sie, man sah sie, man war von ihr vereinnahmt“, schildert Gisela Fritz. Langeweile habe es nie mit ihr gegeben. „Ganz im Gegenteil. Sie war gesellig, unterhaltsam, hatte für jeden immer ein offenes Ohr. Mit jedem Kummer und jedem sonstigen Problem konnte man stets zu Helga gehen. Keine Zeit? Diese Worte gab es für Helga nicht“, sagt Gisela Fritz. Helga Eicker konnte selbst keine Kinder bekommen – darunter litten sie und ihr Mann ein Leben lang. Beide waren sehr kinderlieb. Deshalb übernahmen sie in ihrer Verwandtschaft eine fast nicht mehr zu zählende Zahl von Patenschaften und waren, wie Gisela Fritz betont, für diese Patenkinder stets verlässliche Paten. Das Ehepaar Eicker hielt das ganze Leben lang zusammen, bis Ernst 2015 im Alter von 78 Jahren verstarb. „Das war bitter für meine Tante. Helga litt. Sie litt so sehr, dass es ihr das Herz brach. Von nun an musste sie ihren Seelen-Weg alleine gehen. Und sie ging ihn auch“, erzählt Gisela Fritz. Ihre Tante wollte nach außen hin keine Schwächen zeigen. „Sie ließ sich nicht hängen, organisierte sich und die Menschen um sie herum, damit es auch im Alter zu Hause klappte“, sagt Gisela Fritz. Auch die Wehwehchen, die das Alter mit sich bringt, schien Helga Eicker wegzustecken. Bis zum 8. Januar dieses Jahres, als sie ins Krankenhaus musste, wo sie am 15. Januar aufgrund eines multiplen Organversagens völlig unerwartet verstarb. „Ich hatte meine Tante noch kurz vorher mit meinem Sohn Leonhard – Helgas jüngstem Patenkind – in ihrem Zuhause besucht und hätte nie gedacht, dass sie so schnell stirbt“, sagt Gisela Fritz.

Doch sie findet eine mögliche Erklärung dafür: Bei dem Besuch habe Helga Eicker ihrer Nichte erzählt, dass sie von Ehemann Ernst geträumt habe. Er habe mit Helga geredet und ihren Rücken gestreichelt, so wie er es früher immer gemacht hatte. Dieser Traum sei unglaublich intensiv gewesen, fast real, habe Helga Eicker zu ihrer Nichte gesagt. Und so stellt sich Gisela Fritz die Frage: Kann es denn sein, dass Ernst in dieser Nacht seine Helga zu sich gerufen hat?

Fest steht jedenfalls: „Sie hinterlässt so eine große Lücke. Die einen verlieren in ihr die Geschäftsfrau, die Chefin, die anderen die Nachbarin, die Schwester, die Cousine, die Tante. Ich verliere in ihr eine zweite Mutter“, sagt Gisela Fritz. Helga Eicker wurde am 26. Januar auf dem Kleinblittersdorfer Friedhof im Grabe ihres Ehemannes bestattet.

Auf der Seite „Momente“ stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorbener vor. Online unter saarbruecker-­zeitung.de/lebenswege

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