Serie Lebenswege „Mir war es wichtig, dass ich bei ihr war“
Püttlingen · Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörigen und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorbener vor. Heute: Ursula Herget-Wupper.
„Wir stellen uns der Trauer. Aber es ist schwer.“ Sagen zwei Püttlinger im SZ-Gespräch. Beide haben voriges Jahr einen nahen Menschen verloren. Andreas Herget die Mama, Bruno Wupper die Frau. Die Rede ist von Ursula Herget-Wupper. Wenn der Satz von Martin Luther „Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen“ stimmt, dann hier. Denn während einer Atlantik-Schiffsreise, sozusagen in Erfüllung eines Lebenstraumes, im April 2018 beginnt die Odyssee der Frau, die mit ihrem Tod endet.
Geboren am 12. Dezember 1952, wuchs Ursula Comtesse mit zwei Schwestern im elterlichen Haushalt auf der Püttlinger Ritterstraße behütet auf. Sie absolvierte die Volksschule, eine Ausbildung zur Bürogehilfin und eine Fortbildung zur Verwaltungsangestellten. Die junge Frau wurde Angestellte der Stadt Püttlingen und ab 1975 Sekretärin im Chefbüro. Nach der Amtszeit des damaligen Bürgermeisters Rudolf Müller wechselte sie in die Abteilung „Technische Dienste“ der Stadt, wo sie bis zur Erkrankung, zuständig für Hallen und Sportstätten, Vereinen der Köllertalstadt, als zuverlässige und hilfsbereite Ansprechpartnerin galt. Aus ihrer später geschiedenen Ehe mit Wolfgang Herget gingen Sohn Andreas und zwei Enkelinnen hervor.
„Sie war im Umgang mit mir stets liebevoll, eine gute Mutter, die aber auch konsequent sein konnte“, sagt Andreas Herget. „Das stimmt, meine Frau hat mit ihrer Meinung nie hinter dem Berg gehalten“, bestätigt der Witwer. Ursula Herget-Wupper habe immer gerne gefeiert, besonders im Familienkreis, und für solche Anlässe exzellente Kuchen gebacken. Wupper: „Ihre eigentliche Zeit waren der Advent und Weihnachten.“ „Und fleißig war meine Mama. Sie hat bis zum Renteneintritt immer Vollzeit gearbeitet“, ergänzt Andreas Herget. Nichtsdestotrotz hatte sie stets Zeit für Freuden, Leiden, Schulprobleme oder die Fußballspiele des Sohnes gefunden. „Wie oft hat sie die halbe Mannschaft mit ihrem gelben Renault 5 oder dem kleinen Autobianchi zu den Auswärtsspielen gefahren? Na ja, die Überbelegung der Autos ist wohl verjährt“, sagt der Sohn im Rückblick schmunzelnd.
1991 heiratete Frau Herget den damals ebenfalls alleinlebenden Bruno Wupper. Beide kannten sich schon länger von ihrer Arbeit bei der Stadt Püttlingen. Das Verhältnis zueinander sei sukzessive gewachsen. Wupper: „Wir hatten eine schöne Hochzeitsfeier. Bürgermeister Müller hat uns im Rathausfestsaal getraut. Das Kammerensemble Püttlingen hat dazu gespielt. Wir haben im Schützenhaus gefeiert und waren danach zwei Wochen im Wanderurlaub im Bayerischen Wald.“ 20 Jahre lang verbrachte das Ehepaar Herget-Wupper in den folgenden Jahrzehnten seine Urlaube in St. Peter-Ording an der Nordsee oder in den Bergen, „...aus gesundheitlichen Gründen.“ Im Oktober 2016 dann die erste Schiffsreise mit den Enkelinnen Laura und Alina durch das östliche Mittelmeer. „Athen, Mikonos, die Türkei, die Reise hat meiner Frau so gut gefallen, dass wir für 2018 eine Seereise von Jamaika nach Mallorca gebucht haben“, sagt Wupper. Traumhaft einerseits, wurde dieser Törn Auftakt zur Tragödie andererseits. Was sich hier beziehungsweise bei einer Wanderung mit ihrer Tanzgruppe durch leichte Orientierungslosigkeit, Desinteresse, scheinbar grundlosem Weinen oder Atemnot angedeutet hatte, wurde bei den sofort veranlassten Interventionen bei Internisten, Neurologen, Psychotherapeuten und Notärzten schnell bittere Wirklichkeit: Diabetes, Schlaganfälle, beinahe vollständige Erblindung, Stürze, Knochenbrüche mit Komplikationen, einseitige Lähmung, starke Psychopharmaka, zeitweilig sogar notwendig gewordene Fixierung auf Intensivstationen, Reha-Maßnahmen ohne nennenswerte Fortschritte, Pflegeheim, Palliativstation, Hospiz. Für die Familie bedeutete das viele Stunden zwischen Hoffen und Bangen, verbracht in schlaflosen Nächten oder nüchternen Wartezimmern von Medizinern.
Ehemann, Sohn, Schwestern und Schwägerin besuchten die kranke Frau abwechselnd täglich, versuchten sogar, ein Stück Alltag zu realisieren. Wupper: „Bin, so lange es ging, jede Woche mit ihr zum Saarlouiser Wochenmarkt, weil das während unserer ganzen Ehe schon ein Ritual war.“ Dennoch: „Die Hilflosigkeit und die Stimmungs-Schwankungen bei der Mama haben mir am meisten zu schaffen gemacht“, sagt ihr Sohn. „Die ganze Situation hat mir quasi das Herz aus dem Leib gerissen. Da geht man raus aus dem Krankenzimmer und ist total fertig“, bestätigt der Witwer. Und weiter: „Letztendlich ist meine Frau an einer Krebserkrankung verstorben.“ Noch heute, wenn er im Radio ein Lied hört, auf das er mit seiner Frau besonders gut tanzen konnte („Wir waren von 1998 an im Tanzkreis“) „...dann kommen mir die Tränen.“ Andererseits hätten ihm gute Freunde, seine Arbeit bei der Landesentwicklungsgesellschaft beziehungsweise als Dozent der Verwaltungsfachschule ebenso über das Unvermeidliche hinweg geholfen wie die Tatsache, dass er sich immer der Trauer gestellt habe, sagt Wupper. Und so lautet sein Schlusswort: „Mir war es wichtig, dass ich bei ihr war, als sie gestorben ist.“ Das war am 3. Juli 2019.
Auf der Seite „Momente“ stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorbener vor. Online unter saarbruecker-zeitung.de/lebenswege