Mit Rat und Tat zur Stelle Notarzt für die geschundene Seele

Sulzbach · Matthias Rach und 15 weitere Helfer im Regionalverband stehen jenen zur Seite, denen Furchtbares widerfahren ist.

 Matthias Rach in der Jacke, an der Notfallseelsorger zu erkennen sind.

Matthias Rach in der Jacke, an der Notfallseelsorger zu erkennen sind.

Foto: Petra Pabst

Die Erinnerung ist noch immer sehr präsent, obwohl sich am 2. Januar der Tag schon zum 22. Mal jährte. Es war der Tag, an dem sich Matthias Rach so ohnmächtig fühlte wie nie zuvor in seinem Leben.

An diesem Tag des Jahres 1997 starben im Sulzbacher Stadtteil Hühnerfeld sieben Mitglieder einer Familie – darunter zwei Kinder im Alter von drei und vier Jahren – in ihrem Wohnhaus, nachdem vermutlich ein überhitztes Ofenrohr das Gebäude in Brand gesetzt hatte.

„Es war bitterkalt, unter 20 Grad Minus. Wir hatten Schwierigkeiten, mit dem Drehleiterwagen in die Straße zu kommen, da sie mit Autos der Anwohner zugeparkt war, und später kamen wir nicht in das Haus, weil Atemmasken, Drehleiter und Aggregate eingefroren waren“, erinnert sich Rach an seinen damaligen Einsatz als Feuerwehrmann. Seit er zwölf war, insgesamt 37 Jahre  lang, gehörte er zur Feuerwehr in Sulzbach, zuletzt als stellvertretender Löschbezirksführer. Es gab unzählige Einsätze in dieser Zeit, aber diese Katastrophe löste damals in ihm etwas aus.

„Ich konnte es irgendwann nicht mehr ertragen, nach einem Einsatz die Menschen in ihrer Not einfach zurückzulassen und nicht zu wissen, ob sich jemand um sie kümmert. Ich habe während meiner Zeit bei der Feuerwehr mehr als einmal Menschen das Leben gerettet. So sah ich während einer Autofahrt durch Sulzbach einen Mann, der auf dem Gehweg niedergesunken war. Ich wunderte mich, dass keiner half, und hielt sofort an, zog ihn in mein Auto und brachte ihn direkt ins Krankenhaus. Er hatte einen Herzinfarkt erlitten. Das war ein verrückter Tag. Denn erst kurz vorher hatte ich ein kleines achtjähriges Mädchen von den Bahngleisen gezogen. Sie hatte gedroht, sich das Leben zu nehmen, weil sich ihre Eltern getrennt hatten. Auch da standen viele Schaulustige, und niemand griff ein. Ich weiß noch genau, wie schrecklich es sich anfühlte, dass mir keiner half.“

Die Erlebnisse ließen den Entschluss in ihm reifen, die Ausbildung zum Notfallseelsorger zu machen. Er hat es keinen Tag bereut. „Im Gegenteil. Diese Tätigkeit macht mich zu einem sehr zufriedenen Menschen.“ Zurzeit gibt es 85 Notfallseelsorger im Saarland, 24 weitere sind gerade in der Ausbildung. Nach der Schulung nennen sie sich Fachkräfte für psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) und können im ganzen Saarland eingesetzt werden.

Innerhalb des Regionalverbands gibt es aktuell 16 Aktive. Die Ehrenamtlichen kommen aus völlig unterschiedlichen Bereichen. Als Spezialisten für extreme Situationen begleiten sie Opfer, Angehörige und Rettungshelfer in schlimmen Lebenslagen,  wie zum Beispiel bei Unfällen, Gewalttaten, Selbsttötungen, Bränden oder ähnlichen Katastrophen, bis die eigenen Netzwerke der Betroffenen helfen können. „Endlich hatte ich das Gefühl, nicht mehr so ohnmächtig zu sein. Wenn in einer solchen Extremsituation plötzlich das Leben stillzustehen und alles zusammenzubrechen scheint, sobald Menschen Beistand am dringendsten brauchen, dann sind wir gewissermaßen Notärzte für die Seele.“

Wenn der 53-Jährige gebraucht wird, muss es schnell gehen. Die Einsatzleitstelle Saarbrücken ruft an. Er schlüpft in seine violette Notfallseelsorger-Jacke und fährt direkt zum Unglücksort.

„Durch die gute Ausbildung habe ich gelernt, zu erkennen, was die Betroffenen in diesen Momenten am dringlichsten benötigen, und stimme mein Verhalten und meine Worte darauf ab.“ Dabei reagierten die Menschen sehr unterschiedlich. „Die einen stehen unter Schock, schweigen und starren vor sich hin, scheinen ganz weit weg zu sein. Andere brechen zusammen, schreien, fluchen und sind außer sich.“ Zuwendung ist dann am wichtigsten. In der Zeit, die Rach mit den Betroffenen verbringt, hört er ihnen zu und versucht, sie sanft aufzurichten. Er fragt nach Menschen, die es im Umfeld gibt, die helfen können, das Geschehene zu verarbeiten, und hilft dabei, soziale Kontakte zu aktivieren.

„Ich habe gelernt, mir das alles nicht zu nahe kommen zu lassen, sondern mit ausreichend Distanz Anteil zu nehmen. Wenn ich zu sehr mitleiden würde, könnte ich keine starke Schulter anbieten und Hilfe leisten.“

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