Alle 38 Minuten stirbt in Deutschland eine Apotheke Gewaltige Risiken und Nebenwirkungen

Sulzbach-Altenwald · Im Sulzbacher Stadtteil Altenwald geht nach 105 Jahren eine Apotheken-Ära zu Ende. Und das hat mehrere Gründe.

 Martina Dick-Jockers wird Ende des Monats ihre Marien-Apotheke in Sulzbach-Altenwald für immer schließen.

Martina Dick-Jockers wird Ende des Monats ihre Marien-Apotheke in Sulzbach-Altenwald für immer schließen.

Foto: Thomas Seeber

Als Arsen noch als medikamentöses Wundermittel galt und das hochwirksame Penicillin völlig unbekannt war, da ging sie in Altenwald in Betrieb. Doch nun, nach 105 Jahren, macht sie Ende des Monats dicht: die Marien-Apotheke in Altenwald.

Chefin Martina Dick-Jockers ist hin- und hergerissen, denn schon ihr Vater stand als Apotheker hinter dem Ladentisch und beriet die Kunden – und das seit Anfang der 1960er-Jahre.

Ihre Bilanz fällt einerseits recht  bitter aus. Derweil liegt der knapp 14-jährige mallorquinische Mischlingshund Teddy im Büro und scheint Anteil zu nehmen an dem, was Frauchen resignieren ließ. „Bürokratismus und Vorschriftenwahn machen dich fertig“, sagt sie, um gleich mal ins Detail der gern zitierten „Risiken und Nebenwirkungen“ zu gehen. So gab es vor etwas mehr als zwei Jahren eine sogenannte „Regelbesichtigung“ der Apothekerkammer des Saarlandes.

Ein Pharmazierat inspizierte die Räumlichkeiten und stellte fest, dass der barrierefreie  Zugang nicht gegeben ist. Der Mann schlug zur Verbesserung der Situation unter anderem das Anbringen eines Handlaufs für Rechts- und Linkshänder und eventuell die „Anhebung des Bürgersteigs durch die Gemeinde“, eine fest installierte Rampe und Automatiktür vor.

Apropos Tür: Die ging vor nicht all zu langer Zeit kaputt, und für deren Antrieb gibt es keine Ersatzteile mehr. Also müsste jetzt für einige Tausend Euro eine neue Eingangstür her. 

Zudem müsste nun wegen der hier gelagerten Medikamente auch  eine Klimaanlage eingebaut werden. Und: Die sogenannte „Rezeptur“ müsste umgebaut werden. Dies ist die Örtlichkeit in der Apotheke, an der individuelle Rezepturen wie etwa Salben hergestellt werden.  Sie müsste „dreiseitig raumhoch abgetrennt sein“ – beispielsweise durch Glas oder Holz. Um derweil auch das „umgebungsbedingte Kontaminierungsrisiko“ für die herzustellenden Arzneimittel zu minimieren, müsste ein neuer Fußbodenbelag her. Teppichboden wird nicht mehr geduldet.

Und erst das Kapitel „Dokumentation“. Nach der „Medizinproduktebetreiberverordnung“ muss alles Mögliche aufgezeichnet werden. Unter anderem Blutdruck- und Blutzuckermessungen, die in der Apotheke stattfinden. Dokumentieren muss man auch das Verleihen von Milchpumpen, Babywaagen oder dergleichen. Auch die „Durchführung der Reinigungsmaßnahmen“ in den Herstellungsbereichen verlangt nach schriftlicher Fixierung.  So geht das munter weiter, bis nach einer 50-Stunden-Woche die zweitägige Ruhephase eintritt. Zeit für Fortbildungen? Auch die muss man erst mal haben. „Alle 38 Stunden schließt eine Apotheke in Deutschland“, zitiert  Martina Dick-Jockers aus einer Anzeigenkampagne. Sie denkt nun daran, vertretungsweise in anderen Apotheken zu arbeiten. Mehr Zeit für ihren Ehemann wird sie allemal haben. Er ist Schausteller und freut sich auf die verstärkte Mithilfe der 57-Jährigen am Autoscooter, der sogar in Ludwigshafen und Neustadt sowie im gesamten Saarland zum Einsatz kommt.

Und was geschieht mit den Medikamenten, die nicht veräußert werden? Der Großhandel, sagt die Altenwalder Apothekerin, kaufe einen Teil zurück, mit 30-prozentigem Abzug. Beim Abschied fallen Martina Dick-Jockers noch die Internet-Apotheken ein. Auch sie nagen an den kleineren Läden in Städten und Gemeinden. Bis vor Ort nur ein  weiterer Leerstand ist.

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