Interview mit Rosa von Praunheim „Ich bin da eher ein alter weißer Mann“

Saarbrücken · Der Regisseur spricht über seine Karriere, Anfeindungen, Kreativität und „idiotische Sachen“.

Regisseur Rosa von Praunheim.

Regisseur Rosa von Praunheim.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Am Montag beginnt das 41. Filmfestival Max Ophüls Preis, bei dem bis zum kommenden Sonntag knapp 150 Filme zu sehen sind. Zur Eröffnung erhält der Filmemacher Rosa von Praunheim (77) den Ehrenpreis des Festivals, als „eine Ikone des deutschen Independentfilms“, und zeigt seinen Spielfilm „Darkroom“. Der zeichnet den realen Fall eines Krankenpflegers aus Saarbrücken nach, der in der Berliner Schwulenszene drei Männer mit K.O.-Tropfen ermordet hat. Wir haben mit dem Filmemacher gesprochen.

Herr von Praunheim, was hat Sie an der Geschichte fasziniert?

PRAUNHEIM Erstmal, dass es ein schwuler Fall ist. Im Zeichen der Emanzipation kann man es sich  leisten, auch mal, in Anführungszeichen, böse Schwule darzustellen.  Der Fall hat in der Subkultur großes Aufsehen erregt. Man kennt das Thema ja von Hetero-Geschichten, wo es um Vergewaltigung über K.O.-Tropfen geht. Aber diese Morde waren ungewöhnlicher, auch weil der Täter von vielen in seinem Umfeld als sehr sympathisch und harmlos wirkend beschrieben worden ist. 

Die möglichen Motive des Täters Lars werden im Film angedeutet, aber nicht wirklich erklärt. 

PRAUNHEIM Ja, denn vieles kann man nicht erklären, und einfache Erklärungen sind oft verlogen. Ein Verbrechen bedeutet ja nicht, dass der Täter komplett böse ist. Es gibt die Vermutung, dass Lars als Krankenpfleger mit dem Tod in Berührung kam und dass ihn das fasziniert hat – dieses Sehen des Sterbens. Das wäre eine Möglichkeit, ebenso wie die, dass er durch seine Taten einfach Macht über andere hatte.

Im Film sagt er, die Beziehung zu seinem Freund sei etwas „Ernstes und Stabiles – so was gibt es eigentlich nicht bei Homosexuellen“. Ist das ein tatsächlicher Satz aus dem Gerichtsprotokoll? 

PRAUNHEIM Ja, das ist ein Originalsatz. Wir Schwulen haben uns ja eine gewisse Freiheit erarbeitet, die jetzt auch zu den Heterosexuellen herüberschwappt: dass viel mehr sexuelle Freiheit gelebt wird,  dass man zusammen ist, ohne sich einander sexuell verpflichtet zu fühlen. Lars hatte die Hoffnung, dass seine Beziehung monogam ist, und war enttäuscht, weil sein Freund das nicht wollte. 

 Bozidar Kocevski als Mörder im Film „Darkroom“.

Bozidar Kocevski als Mörder im Film „Darkroom“.

Foto: MissingFilms

In einer Szene sieht man Saarbrücken – ich nehme an, der Rest des Films entstand in Berlin, auch die Kulisse der Saarbrücker Schwulenkneipe „Madame“? 

PRAUNHEIM Ja, in Saarbrücken waren wir für einen Tag für die Außenaufnahmen. Die „Madame“ kannte ich selber nicht, aber ich habe recherchiert und mich schlau gemacht bei Leuten, die die Kneipe kannten.

Sind Sie jetzt tatsächlich zum ersten Mal beim Ophüls-Festival?

PRAUNHEIM Ja, denn als das Festival entstand, war ich schon kein Nachwuchs mehr und hätte nicht ins Programm gepasst. Ich habe ja schon in den 1960ern mit dem Film angefangen.  Aber als „Taxi zum Klo“ 1981 den Ophüls-Preis gewonnen hat, habe ich mich sehr gefreut – ich war ja befreundet mit dem Regisseur Frank Ripploh, der zuvor als Darsteller und Mitarbeiter bei einigen meiner Filme dabei war. Ich war sehr froh, dass er und sein Film so eine Beachtung erfuhren.

Jetzt erhalten Sie den Ehrenpreis des Festivals – das hat ja was von Preis fürs Lebenswerk.

PRAUNHEIM Ja, ein bisschen wie ein Todes-Oscar. Aber es freut mich enorm, dass ich bei einem Nachwuchsfestival wahrgenommen werde, weil ich als Lehrer und Professor ja lange unterrichtet habe und Praktikanten hatte, die dann ihren Weg als Filmemacher gegangen sind – Tom Tykwer etwa, Julia von Heinz oder Robert Thalheim.

Hat sich in den Jahren, als Sie an Filmhochschulen lehrten, der Nachwuchs verändert?

PRAUNHEIM Die Frage kann ich nicht wirklich beantworten, sie ist ja sehr allgemein. Aber als ich selbst als Filmemacher angefangen habe, mit Werner Schroeter damals und später Elfi Mikesch, war das die Zeit des experimentellen Films in Deutschland, des jungen deutschen Films, der auch international wahrgenommen wurde. Wir konnten damals beim „Kleinen Fernsehspiel“ im ZDF ein, zwei Blätter mit Ideen abgeben und dann den Film machen. Diese Zeiten sind mittlerweile vorbei, das ist jetzt alles schwieriger. An den Hochschulen werden viele,  fast schon zu viele Filmemacher ausgebildet. Für die stellt sich die Frage, ob sie kommerziell arbeiten wollen, was vielen dann auf dem engen Markt nicht gelingt,  oder ob sie sich dem künstlerischen Film verschreiben. In diesem Bereich ist es dann schwer, Aufmerksamkeit zu bekommen – deshalb sind Festivals wie in Saarbrücken so wichtig.

2015 haben Sie das Bundesverdienstkreuz erhalten. Hätten Sie das in den 1960ern gedacht, als Sie mit Ihren Filmen anfingen?

PRAUNHEIM Überhaupt nicht. 1970, als ich den sehr politischen Schwulenfilm „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ gedreht habe, war die Situation noch sehr feindlich Schwulen gegenüber. Die wurden auch verprügelt, und es gab sogar sehr konservative rechte Schwule, die den Film überhaupt nicht gut fanden. Das war ein ungeheurer Kampf. Und auch wenn sich jetzt in Mitteleuropa vieles positiv entwickelt hat, ist es ja in anderen Ländern nicht so, wenn man nach Polen oder Russland schaut, nach Afrika, China oder wenn man sich die Evangelikalen in den USA ansieht. Da ist die Situation so schlecht, wie sie es früher bei uns war. Hier hat sich einiges verbessert, aber ich glaube, dass es zum Beispiel immer noch schwierig ist, sich in einer Schule zu outen – sei es als Schüler oder als Lehrer.

Wie sehen Sie da den Aufschwung der Rechtsextremen?

PRAUNHEIM Es erinnert mich ein bisschen an Ernst Röhm und Hitler. 1933 dachten viele Schwule, Hitler sei schwulenfreundlich, und von Röhm wusste man, dass er homosexuell war. Ist die AfD schwulen- und lesbenfreundlich, weil Alice Weidel von der AfD lesbisch ist?  Sicher nicht. Wir dürfen uns nichts vormachen: Die Toleranz und die demokratische Freiheit, die wir uns erarbeitet haben in vielen Beziehungen, ob für Frauen oder Schwule oder für kulturelle Freiheiten, können ganz schnell gekippt werden.     

Die Bezeichnung „Ikone der Schwulenbewegung“ steht in fast jedem Artikel über Sie. Ist es nicht ziemlich anstrengend, Ikone zu sein und ständig nach Statements zur Schwulenbewegung gefragt zu werden?

PRAUNHEIM Ich äußere mich ja nicht mehr so viel. Ich habe zum Glück einen jüngeren Freund, der mich ein bisschen beschützt und mich manchmal davon abhält, etwas zu sagen, was einen Shitstorm auslösen könnte. Man muss heute ja sehr vorsichtig sein – und ich bin in der ganzen Gender-Diskussion nicht mehr so auf dem Laufenden. Es ist ja wichtig, dass eine neue Generation kommt, die radikal ist – ich bin da eher ein alter weißer Mann, das ist nun mal so. Jede Generation soll sich ausprobieren, wir haben das damals auch gemacht – und da gab es einige idiotische Sachen.

Welche denn?

PRAUNHEIM Dass wir zum Beispiel Mao und Ho Chi Minh verehrt haben, das war völliger Blödsinn. Aber trotzdem haben wir viel erreicht und die Gesellschaft verändert, bei der Schwulenbewegung, bei der Frauenbewegung, bei der antiautoritären Bewegung. Aber Fehler machen  gehört halt dazu.

Gibt es gegen Sie Anfeindungen oder Drohungen?

PRAUNHEIM Nein, nicht mehr – ich stehe ja nicht mehr so im Fokus, aber eine Zeitlang war das sehr stark. Ich bin allerdings glimpflich davon gekommen, weil das vor der Zeit der sozialen Medien und der Shitstorms passiert ist.

Diversität ist eines der Themen bei  Ophüls. Das Festival  kritisiert, dass die Diversität in unserer Gesellschaft sich nicht adäquat in Filmen widerspiegelt. Woran liegt das?

PRAUNHEIM An vielem. Ich glaube, dass viele Filmemacher Selbstzensur ausüben und denken, mit unbequemeren Stoffen kämen sie nicht an beim Sender – was bei vielen Sachen auch sicher stimmt. Und beim Off-Theater, wo man viel wagen kann, warten die meisten nur darauf, dass sie beim bürgerlichen Theater landen. Meine beste Freundin ist  die Regisseurin Julia von Heinz, die sich sehr dafür einsetzt, dass viel mehr Frauen als Regisseurinnen beim Film wahrgenommen werden – das ist mutig und wichtig. Aber viele Filmförderer in Gremien sind Frauen, und da hab´ ich oft das Gefühl, dass sie Frauen nicht so fördern, wie sie es könnten. Ich bin Mitglied in der Akademie der Künste, das ist auch ein Verein von vielen weißen Männern mit einer Präsidentin und einer Vizepräsidentin an der Spitze. Da würde ich mir wünschen, dass da viel mehr Frauen dazu gewählt würden.

Zu Ihrem 80. Geburtstag 2022 haben Sie einen Film über die homoerotische Freundschaft Hitlers zu einem Jugendfreund geplant. Können Sie mehr dazu sagen?

PRAUNHEIM Das ist noch in der Mache, das erarbeiten wir mit dem WDR. Ich habe aber gerade einen schönen Film fertiggestellt mit dem Titel „Operndiven – Operntunten“ über Schwule und Oper, für ZDF und Arte. Da haben wir auch eine Kinoversion, aber da müssen wir erstmal die Musikrechte klären, die sind sehr teuer. Ich habe immer zehn Projekte gleichzeitig. Seit 50 Jahren mache ich Filme und habe das Glück, dass ich weiter Filme drehen darf und kann. Am Anfang meiner Karriere habe ich nicht geglaubt, dass das ein Beruf wird, wobei Kreativsein ja nicht nur ein Beruf ist. Ich schreibe Gedichte, Theaterstücke, ich male – das sind nicht unbedingt nur Sachen, um sie zu verkaufen. Es ist einfach wunderbar, sich so ausdrücken zu können.

Sie werden also nicht irgendwann ganz klassisch in Rente gehen?

PRAUNHEIM Naja, ich freue mich, dass ich eine Rente habe. Die reicht aber nicht aus, auch deswegen arbeite ich. Dieses Arbeiten-Müssen ist gut. Wenn ich die ganzen Jahre Filmprofessor gewesen wäre und heute meine 5000 Euro im Monat hätte – dann würde ich vielleicht verblöden.

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