Ophüls-Doku-Wettbewerb Paramilitärisches Camp in Ukraine: Kindgerecht am rechten Rand vom Lagerfeuer

Saarbrücken · Der Regisseur hat zwei ukrainische Kinder in ein paramilitärisches Feriencamp begleitet. „Sommerkrieg“ läuft im Doku-Wettbewerb.

 Die Waffen und die Ideologie sind zunächst zweitrangig: Jastrip (12) findet in dem Ferienlager, was er zuhause vermisst.

Die Waffen und die Ideologie sind zunächst zweitrangig: Jastrip (12) findet in dem Ferienlager, was er zuhause vermisst.

Foto: Christoph Bockisch

Schießübungen und Morgendrill, Kalaschnikows zusammenbauen und Gemeinschaftsgefühl – Jasmin und Jastrip verbringen ihre Ferien in einem paramilitärischen Sommercamp in der Ukraine. Dokumentarfilmer Moritz Schulz hat die Zwölfjährigen dabei mit der Kamera begleitet und zeigt in seinem Ophüls-Wettbewerbsbeitrag „Sommerkrieg“, wie die Kinder einer rechtsnationalen Gehirnwäsche unterzogen werden. Im Interview erklärt der Regisseur, warum sich Rechtsextreme aus aller Welt für just dieses Camp interessieren.

Wie wird das Asow-Feriencamp in der Ukraine wahrgenommen?

SCHULZ Es ist sehr umstritten. Das Camp wurde während des Krieges von russischer Seite genutzt, um Ukrainer als Nazis abzustempeln, umgekehrt scheint es in der Ukraine ein Reflex, sich nicht damit auseinanderzusetzen, weil es so extrem ist. Das Lager ist Teil der Revolution und ist ein Ergebnis des Krieges.

War es schwer, im Camp zu filmen?

SCHULZ Das Camp hat kaum Berührungsängste, die Trägerorganisation Asow ist sehr medienaffin.

Gab es Auflagen?

SCHULZ Wenn Journalisten das Camp besuchen, wird ihnen an einem halben Tag von einem Aufpasser ein Rundkurs gezeigt. Bei uns dachte die Leitung, dass wir auch so vorgehen, aber wir sind zwei Wochen dagewesen. Das war neu, aber sobald Berührungsängste abgebaut waren, konnten wir uns ziemlich frei bewegen. Erst am Ende, als wir ein paar Interviews geführt haben, haben sie uns inoffiziell einen Betreuer zur Seite gestellt, der uns folgte. Aber sie haben nie interveniert.

Wollte man den Film zensieren?

SCHULZ Nein. Sie suchen Aufmerksamkeit, ihre Nachtübung haben sie live gestreamt. Ihnen war vielleicht nicht klar, dass wir nach längerer Zeit einen tieferen Einblick erhalten. Es ist nicht wie in Deutschland, eine solche Gruppe würde einen hier nie so nah ran lassen – einfach, weil dann strafrechtlich relevante Dinge ans Licht kommen. In der Ukraine nicht, deswegen geht die Organisation damit laxer um.

Was hätten Sie gerne im Film gezeigt, was nicht möglich war?

SCHULZ Zum einen, aber das sieht man im Film etwas, dass es offensichtlich eine zweite Ebene gibt. Hinter diese sind wir kaum gekommen, weil es scheinbar eine Sprachregulierung für die Kinder gibt. Aber das bricht natürlich irgendwann auf. Und es gab eine Übung, bei der sie wie eine militärische Einheit mit Holzgewehren über den Hof marschierten. Als die Betreuer sahen, dass wir filmten, wurde direkt abgebrochen. Und von der Familie von Jastrip hätte ich gerne mehr gezeigt, aber die Eltern waren nicht präsent. Jastrip wird zwischen Internat und Oma hin- und hergeschoben.

Die Kinder werden viel gedrillt, aber bauen die Betreuer nicht auch emotionale Nähe auf?

SCHULZ Ja, absolut. Man ahnt ja, wie nationalistische, paramilitärische und rechtsextreme Erziehung funktioniert. Was mich aber sehr überrascht hat, ist, wie viel über Lob und Umarmung gearbeitet wird. Die Ausbilder sind nicht viel älter, sie sind wie coole und supersportliche Vorbilder, einerseits sehr auf Drill aus und andererseits sehr sanft zu den Kindern. Eine Szene, die wir nicht umsetzen konnten, war ein Streich beim Appell. Als eine Gruppe sich mit falschem Namen meldete, machte ihr Ausbilder sie zur Sau – indem er sagte, wie sehr er von ihnen enttäuscht ist und wie sehr er sich für sie engagiert. Am Ende weinten alle. Das hat mich an das Stockholm-Syndrom erinnert. Es ist ein gutes Beispiel, wie dieses Camp in die Psyche der Kinder eindringt und mit Liebesentzug arbeitet.

Wie häufig sind solche Camps in der Ukraine?

SCHULZ Die Ferien dauern dort drei Monate, also gibt es Pfadfinder- und christliche Sommercamps wie Sand am Meer. Aber diese paramilitärischen Camps sind die absolute Ausnahme. Dieses Camp in der Nähe von Kiew ist das Ursprungscamp der Asow-Organisation, aber diese baut ein Netz von Ablegern auf und betreut inzwischen ungefähr tausend Kinder pro Jahr. Ziel ist ganzjährige Betreuung, auch in Nachbarschaftsgruppen. Asow ist aufgrund des modernen Scheins ein Vorbild für andere rechtsextreme Organisationen in der Ukraine. Sie sind sehr gut organisiert, haben einen politischen Arm und Freizeitorganisationen – also Vorfeldorganisationen. Dazu gehören auch „Ultimate Fighting”-Turniere, die große Ereignisse in Kiew und der nächste Schritt für die 15- bis 35-Jährigen sind. Der Kern ist das Bataillon aus bewaffneten Neonazis und Rechtsextremen. Der ganze Apparat zieht viel Interesse aus dem Neonazi-Umfeld aus der ganzen Welt an. Asow erfindet in gewisser Hinsicht Rechtsextremismus ästhetisch neu, um heutige Jugendliche zu ködern.

Jastrip wird ja vernachlässigt, aber warum schicken die Eltern von Jasmin sie in ein solches Camp?

SCHULZ Die Realität ist hier sehr komplex. Jasmins Vater ist sehr liberal. Weil er den Totalitarismus erlebt hat, will er seinen Kindern keine Vorschriften machen. Jasmins Bruder ist an der Front mit dem Asow-Bataillon in Kontakt gekommen, und so entstand der Kontakt. Wenn sich also Jasmin selbst dafür entscheidet, was soll ihr Vater machen, um seinem Credo treu zu bleiben? Bei Jastrip frage ich mich, warum es keine andere Organisation gibt, die ihm diese Geborgenheit vermittelt.

 Moritz Schulz hat vier Wochen in der Ukraine gefilmt.

Moritz Schulz hat vier Wochen in der Ukraine gefilmt.

Foto: Moritz Schulz

„Sommerkrieg“ am Samstag, 14.30 Uhr, CS 5; Sonntag, 15 Uhr, Kinowerkstatt in St. Ingbert.

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