Die Klugheit braucht mehr als einen Esel Mein Fernsehgerät und die Renaissance

„Bachelor“ statt Bücher, Getöse statt Gespräch und ein kluger Esel, der von dummen Pferden verfolgt wird. – Die Renaissance ist zwar seit 400 Jahren vorbei, aber wir bräuchten dringend eine neue.

 Marco Reuther

Marco Reuther

Foto: SZ/Robby Lorenz / SZ

Jetzt mal abgesehen davon, dass ich Heike damals in der 1. Klasse nicht küssen wollte, wissen Sie, was der so ziemlich größten Fehler meines Lebens war? – Ein Fernsehgerät in mein Schlafzimmer zu stellen. Während der Bildschirm für meine viel bessere Hälfte ein ganz wunderbares Schlafmittel ist, denke ich immer, bevor mir der Aus-Schalter einfällt: „Oh! Das ist aber mal eine interessante Sendung!“ – und bleibe dran. Am späten Donnerstagabend (oder war’s der frühe Freitagmorgen?) bin ich an einer Sendung über die Renaissance kleben geblieben. Die machte mich allerdings auch etwas traurig. Weil sie uns heute so sehr fehlt. Eine neue Renaissance.

Damals explodierte das Wissen, teils durch wieder entdeckte antike Denker, deren Schriften in Byzanz das Mittelalter überlebt hatten, teils durch Universalgelehrte wie Da Vinci oder Kepler, die die Weltbühne betraten. Gigantische Summen wurden nicht nur in Kriege, sondern auch in Kultur und Bildung investiert. Und war im Mittelalter ein handgeschriebenes Buch noch so teuer wie ein Bauernhaus, so revolutionierte nun der Buchdruck auch die Verbreitung des Wissens. Eliten, die der Menschheit den Fortschritt brachten, waren geachtet. Heute scheint man unter „Elite“ nur noch reiche Leute zu verstehen, denen man, wegen des Reichtums, schon mal grundsätzlich misstraut. Und Wissenschaft und Technik sind so kompliziert, dass wir den Fortschritt oft gar nicht erkennen, sogar Angst davor haben oder doch lieber den „Bachelor“ auf RTL II schauen, statt uns überhaupt damit auseinander zu setzen.

Die Renaissance hat es geschafft, der Bildung eine eigenen Wert zu geben. Wenn ich dagegen heute mal wieder ein rot angelaufenes Gesicht im Fernsehen sehe, das, mit von den Lippen spritzenden Speicheltropfen, dem Kameramann ein „Lügenpresse!“ entgegen kreischt, dann befürchte ich, dass unsere Zeit von unseren Nachfahren dereinst als Contra-Renaissance bezeichnet werden wird. Es wird von Jahr zu Jahr weniger gelesen, und es gibt sogar – leider kein Witz – wieder Deppen, die allen Ernstes behaupten, dass die Erde flach und die „Kugel-Lüge“ eine Verschwörung sei.

Darüber, dass es nur ein paar Reste antiken Wissens durch das Mittelalter geschafft haben, habe ich mal den schönen Satz gelesen: „Die Klugheit floh auf einem Esel und wurde von der Dummheit auf rasenden Pferdeherden verfolgt!“ Wer stoppt heute diese Herden, die von den Trumps, den Erdogans und den Höckes dieser Welt noch angestachelt werden? Die uns einfache, aber falsche „Lösungen“ als Facebook-kompatibles Maß aller Dinge verkaufen und den Firnis der Zivilisation mit Getöse wegätzen? Eigentlich hilft da nur eins. Bildung. Und wie? Ganz einfach. Die Politik und wir müssten nur das beachten, was in gefühlten zehn Milliarden Sonntagsreden schon gesagt wurde: Kinder sind unsere Zukunft. Und das erfordert, ob nun von der Kommune, vom Land oder vom Bund, Großinvestitionen in Kindergärten, Schulen, Lehrer. Und wenn wir dann vielleicht doch noch die Neo-Renaissance hinbekommen, bin ich womöglich auch gescheit genug, den Fernseher wieder aus meinem Schlafzimmer zu verbannen.

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