Streit um Lohnzurückhaltung

Berlin. Morgen wird Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) den Jahreswirtschaftsbericht vorstellen, der zuletzt mit drei Prozent Wachstum sehr stark gewesen ist. Dies wird sich nun ändern: Ein Prozent Wachstum ist 2012 maximal noch drin, wahrscheinlich weniger

Berlin. Morgen wird Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) den Jahreswirtschaftsbericht vorstellen, der zuletzt mit drei Prozent Wachstum sehr stark gewesen ist. Dies wird sich nun ändern: Ein Prozent Wachstum ist 2012 maximal noch drin, wahrscheinlich weniger. Unter den führenden Wirtschaftsinstituten ist vorab ein Streit darüber entbrannt, ob die andauernde Lohnzurückhaltung in Deutschland trotzdem aufgegeben werden kann oder sogar muss - auch um die Handelsungleichgewichte in Europa zu beseitigen.Viele EU-Nachbarn finden, dass sich Deutschland durch Dumpinglöhne in den letzten Jahren einen entscheidenden Marktvorteil in Europa erschlichen hat und sie aus den Exportmärkten verdrängt. So forderte Frankreichs damalige Wirtschaftsministerin Christine Lagarde 2010 Berlin dazu auf, durch Steuersenkungen für eine Stärkung des deutschen Binnenmarktes zu sorgen, damit auch andere Länder Exporterfolge feiern könnten. Gestützt wurde Lagardes Analyse unter anderem vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie oder dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Dessen Vorstandschef Gert G. Wagner vertrat Anfang Januar (in einem Gastbeitrag für die SZ) die Auffassung: "Deutschland kann nicht erwarten, dass nun andere Länder den Gürtel enger schnallen, es selbst aber am Wirtschaftsmodell Exportpanzer festhält". Um drei Prozent könnten die Löhne 2012 steigen, ohne die Gewinne zu schmälern, meinte Wagner.

Ganz anders das arbeitgebernahe Kölner Institut der deutschen Wirtschaft. Dessen Chef Michael Hüther legte gestern in Berlin eine Studie für den Industriebereich vor. Ergebnis: Die Grundannahme, dass Lohnzurückhaltung zu den deutschen Exporterfolgen erheblich beigetragen hat, stimme nicht. Vielmehr sei es eine Auf- und Ab-Bewegung gewesen. Direkt nach der Wende sorgte die schnelle Einkommensangleichung laut Hüther in den neuen Ländern wegen der gleichzeitig geringen Produktivitätsfortschritte zu stark steigenden Lohnstückkosten. Damit bezeichnet man das Verhältnis von Arbeitskosten zu Produktivität. Es verschlechterte sich um 13 Prozent, was Deutschland Exporteinbrüche von zwölf Prozent bescherte. Dieser Trend wurde jedoch seit Ende der 90er Jahre mit sparsamen Tarifverträgen wieder mehr als wettgemacht. Die Lohnstückkosten sanken bundesweit von 1999 bis 2007 um 16 Prozent, während sie im Euro-Ausland um vier Prozent stiegen. In der Folge brummte der deutsche Export, ehe in der Wirtschaftskrise 2009 der Abstand bei den Lohnstückkosten komplett wieder aufgebraucht wurde. Sie stiegen erneut, sowohl für höhere Löhne als auch für die Sicherung der Stammbelegschaften in der Krise. Am Ende der Achterbahnfahrt jedenfalls liege Deutschland bei den Lohnstückkosten nur um zwei Prozent unter der europäischen Konkurrenz, was die Exporterfolge nicht erkläre, so Hüther.

Nun heißt es abwarten. Prinzipiell hält sich die Regierung aus der Lohnfindung heraus. Anderseits braucht sie nun im Vorwahljahr einen lebhaften Binnenkonsum, um mögliche Exporteinbrüche auffangen zu können. Ob der Konsum durch Lohnerhöhung oder über sichere Arbeitsplätze anzukurbeln ist, ist weiter offen.

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