Streit um erlaubten Abgas-Schwindel

Brüssel · Die Abgas-Grenzwerte für Autos stehen offenbar nur auf dem Papier. Wie soll die EU nun reagieren? Die Überschreitungen erlauben? Wenn ja, wie lange? Wann müssen die Autobauer die Vorgaben einhalten? Um diese Fragen tobt eine heftige Debatte.

Es stinkt zum Himmel - und das wird auch noch einige Jahre so bleiben. Denn trotz der Enthüllungen über das Überschreiten der geltenden Abgasgrenzwerte bei Stickoxiden und Fahrverboten in mehreren europäischen Städten wie Stuttgart steuert die EU auf eine umstrittene Lösung zu: Sie will sozusagen offiziell das Brechen der Vorgaben festschreiben. Statt der erlaubten 80 Milligramm Stickoxid je gefahrenem Kilometer sollen die Fahrzeuge noch zwei Jahre lang mehr das Doppelte (88 Milligramm zusätzlich) emittieren dürfen, in der Zeit danach immer noch 40 Milligramm mehr. Ende offen.

Doch das EU-Parlament legt sich quer. Ende 2015 hatte der Umweltausschuss die Notbremse gezogen und wenigstens ein Enddatum gefordert. Am Dienstagabend lehnte auch das Parlament es ab, den Vorschlag der Kommission und der Mitgliedstaaten durchzuwinken. Man verschob die Abstimmung um zwei Wochen, um den Mitgliedstaaten und der Kommission Gelegenheit für eine Neufassung ihrer Reform zu geben. "Ich habe Verständnis für diese Position", sagte der CDU-Europa-Abgeordnete und Umweltexperte Peter Liese anschließend. "Aber eine Ablehnung würde keine Verbesserung für die Luft in den Städten bringen."

Das klingt widersinnig, entspricht aber den politischen Tatsachen: Ohne Einigung dürften nach Schätzung von Experten weitere vier bis fünf Jahre nötig sein, ehe man sich mit den Autobauern auf ein neues Abgas-Regime geeinigt hat. Andreas Schwab (CDU ), Binnenmarkt-Experte im EU-Parlament: "Wir müssen realistisch bleiben bei der vollständigen Erreichung der Werte." Sein sozialdemokratischer Kollege Matthias Groote will da nicht mitspielen: "Künftig darf es keine neuen Hintertüren oder Spielräume zur Abweichung geben." Er besteht auf einem Datum ("zum Beispiel 2025"), ab dem erreicht werden muss, was eigentlich längst gilt.

Nicht nur VW , sondern alle Autobauer sind hierbei im Fokus. Gerade musste Renault 15 800 Diesel-Fahrzeuge wegen Überschreitung der Abgaswerte zurückrufen. "Unter den Testbedingungen des Genehmigungsverfahrens erfüllen unsere Fahrzeuge die Abgasnormen", hatte Verkaufschef Thierry Koskas aber betont. Bei dem Streit in der EU geht es daher vor allem um die Messmethoden. Statt wie bisher im Labor wollen alle Beteiligten schnell auf realistischere Prüfverfahren im laufenden Fahrbetrieb umsteigen, bei denen deutlich höhere Emissionen festgestellt werden.

Wenigstens in dieser Frage gibt es offenbar Bewegung: Die EU-Kommision hat eine umfassende Reform des heutigen Systems angekündigt. Demnach sollen die Prüfstellen auch nicht mehr von den Autoherstellern direkt bezahlt werden, sondern aus einem Fonds, den die Branche schaffen muss. Derweil soll ein neu eingesetzter Untersuchungsausschuss prüfen, wer zugelassen hat, dass die EU Grenzwerte einführte, die auch nach damaligen Gutachten der Kommissionsexperten nur mit Labormessungen zu schaffen waren. Auch deshalb haben die Hersteller wohl auf die 2010 verantwortliche EU-Kommission großen Einfluss genommen, an den Labortests festzuhalten.

Meinung:

Das Täuschen muss aufhören

Von SZ-Korrespondent Detlef Drewes

Es geht längst nicht mehr um die Abgas-Schummeleien eines oder mehrerer Hersteller. In Brüssel steht viel mehr auf dem Spiel: Das wohlkonstruierte Gebilde der europäischen Klimaschutzpolitik ist ins Wanken geraten, weil der Verbraucher weder den EU-Verordnungen noch den Angaben der Industrie vertraut. Dass die europäischen Institutionen in dieser Situation nichts Besseres zu tun haben, als den Sündenfall zur Regel für zig Jahre zu erklären, ist enttäuschend. Eine Reform muss mehr bieten als eine Absolution auf Dauer. Es muss ein Vorschlag auf den Tisch kommen, der brauchbar ist und mit dem man - nach einer realistischen Übergangsfrist - die gesetzten und rechtlich auch gültigen Grenzwerte erreicht.

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