Straßenschlacht um die Milch

Brüssel · Tausende wütende Landwirte haben gestern in Brüssel das Viertel rund um die wichtigsten EU-Institutionen blockiert. Die Agrarminister versprachen zwar eine finanzielle Soforthilfe, lehnten aber eine Wiedereinführung der Milchquote ab.

Schon beim ersten Aufeinandertreffen zwischen Demonstranten und Polizei wurden die Beamten gestern Morgen mit einer Unmenge Heu überschüttet. Dann brannten etliche Ballen, Wasserwerfer rückten in Richtung Ratsgebäude vor. 6000 Landwirte waren mit 2000 Traktoren nach Brüssel gekommen und legten die belgische Hauptstadt über Stunden lahm, um ihrem Ärger Luft zu machen. "Wir wollen keine Zuschüsse, sondern einfach nur von unserer Milch leben", sagte einer der Landwirte aus dem Schwarzwald. "Brüssel soll kurzfristig flüssiges Geld zur Verfügung stellen, wo Not am Mann oder Not an der Frau ist", forderte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU ).

Wenigstens diesen Wunsch erfüllte die EU-Kommission am Nachmittag, als Vizepräsident Jyrki Katainen ein 500 Millionen Euro schweres Sofortprogramm präsentierte. Der größte Teil der Hilfen soll beispielsweise für zinsgünstige Kredite auf die 28 Mitgliedstaaten verteilt werden und in erster Linie dem brüchigen Milchsektor zugutekommen. Ferner erlaubt Brüssel den Mitgliedstaaten, bis zu 70 Prozent der EU-Direktzahlungen sofort an die Bauern auszuzahlen. Üblicherweise fließen die Gelder erst im Dezember - in Deutschland sind das zwischen 280 und 300 Millionen Euro pro Jahr. Auch die Unterstützung für Junglandwirte kann eher angewiesen werden. Zusätzlich plant die EU Beihilfen für die Lagerung von Milch- und Schweineprodukten. 81 Millionen sind für Maßnahmen zur Absatzförderung vorgesehen. Darüber hinaus will die Kommission etliche Millionen Euro einsetzen, um neue Absatzmärkte zu erschließen.

EU im Dilemma

Nur ein Instrument, das auf der Straße vor dem Ratsgebäude vehement gefordert wurde, enthält der Katalog der Kommission nicht, den die Agrarminister am Abend verabschiedeten: eine Rückkehr zur Milchquote. Vor allem der europäische Milchbauernverband European Milk Board (EMB) hatte sich für eine neue Mengenbegrenzung ausgesprochen. Doch weder der Deutsche Bauernverband noch der Bundeslandwirtschaftsminister stellten sich hinter die Forderung. Schmidt: "Die Quote alter Fassung hat uns in der Preiskrise 2008 und 2009 nicht geholfen, und deshalb sollten wir auch nicht über die Rückkehr zur Quote nachdenken."

"Unsere Arbeit muss anständig bezahlt werden", mahnte vor dem Gebäude, in dem die Minister tagten, ein norddeutscher Landwirt. Zwischen 27 und 29 Cent pro Kilo Milch erwirtschaften die deutschen Erzeuger derzeit. 40 Cent seien kostendeckend. Minister Schmidt nannte sogar "55 Cent zu wenig." Er sprach von "einem Euro".

Die EU steckt in einem Dilemma. Auf der einen Seite brauchen viele Milchbauern Unterstützung. Daher werden schon bis zu 109 000 Tonnen an Milchprodukten angekauft und eingelagert. Andererseits: Wenn diese Menge erhöht wird, besteht das Risiko, dass Landwirte in EU-Mitgliedstaaten mit sehr niedrigem Milchpreis - in Litauen oder Lettland liegt er bei 20 Cent - beginnen, noch mehr zu produzieren, wodurch die Eingriffe der Kommission ins Leere laufen würden.

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