„Steuergesetze müssen harmonisiert werden“

Saarbrücken · Internationale Konzerne sparen durch Gewinnverschiebungen Milliarden an Steuern. Über die Möglichkeiten, diese Steuern einzutreiben, sprach SZ-Redakteur Lothar Warscheid mit Markus Henn von der Nichtregierungs-Organisation WEED. Er war Teilnehmer einer Podiumsdiskussion, die das Netzwerk Entwicklungspolitik Saarland in Saarbrücken veranstaltete.

Wie hoch schätzen Sie den Schaden, der durch Steuervermeidungsstrategien entsteht?

Henn: Das ist schwer zu schätzen, weil die Definition nicht klar ist. Aber es gibt Studien, die aufzeigen, was Firmen an Steuern zahlen und was sie eigentlich zahlen sollten. Diese Untersuchungen kamen auf Lücken von 20 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr allein für Deutschland.

Wie vermeidet man die Steuern´?

Henn: Das Wichtigste ist die Gewinnverschiebung. Ein deutscher Konzern, dessen Muttergesellschaft in Deutschland eigentlich Gewinne erwirtschaftet hat, eröffnet eine Tochterfirma in einem EU-Nachbarstaat, beispielsweise den Niederlanden. Dorthin werden die Lizenzen verlegt. Die deutsche Mutter zahlt an den niederländischen Betrieb Lizenzgebühren . Dadurch hat der Konzern weniger Gewinne in Deutschland und zahlt damit auch weniger Steuern . In den Niederlanden fallen die Gewinne aus den Lizenzgebühren an. Diese werden dort kaum oder gar nicht besteuert. Ein anderes Modell läuft so, dass die Staaten nicht ganz abgestimmt sind in der Bewertung bestimmter Geschäftsvorfälle. So kann es sein, dass beispielsweise in Luxemburg ein Geschäft als Kredit bewertet wird und die Zinsen als Kosten steuerlich absetzbar sind. In Deutschland wird dasselbe Geschäft als Kapitalbeteiligung mit steuerfreien Dividenden bewertet. Auf diese Weise hat man eine doppelte Steuerersparnis.

Bei der aggressiven Steuervermeidung werden meist US-Konzerne wie Apple , Google oder Starbucks genannt. Warum?

Henn: Dass die US-Konzerne so im Fokus sind, liegt daran, dass dort ein Modell möglich ist, was bei unserem Steuerrecht nicht geht. Danach müssen die Konzerne Auslandsgewinne in den USA nicht versteuern, solange sie diese im Ausland investieren und nicht in die USA zurückführen. Dies heißt im praktischen Fall, dass das Geld auf den Bermudas angesammelt wird und nicht in Investitionen fließt, aber trotzdem als Investition gilt. Das ist häufig so extrem, dass Auslandsgewinne fast nicht besteuert werden.

Gibt es auf EU-Ebene die Aussicht auf eine gewisse Einheitlichkeit bei der Besteuerung?

Henn: Das ist ein Projekt, das länger schon läuft, aber bei dem man noch nicht so richtig vorangekommen ist - zumindest nicht im Unternehmenssteuerbereich. Seit vier Jahren liegt ein Vorschlag auf dem Tisch, der versucht, die Gewinnermittlung der Unternehmen zu vereinheitlichen und die Gewinne nach einem gewissen Schlüssel aufzuteilen - zumindest für die Konzernteile, die in Europa aktiv sind. Dieser Vorschlag wird im Ministerrat verhandelt, kommt aber nicht so recht voran, weil die Meinungsunterschiede zu groß sind. Die einzelnen Steuergesetzgebungen müssten harmonisiert werden. Doch welcher Staat macht das schon gerne?

Wird nach Aufdeckung der Steuerabsprachen in Luxemburg diesem Treiben ein Ende gemacht?

Henn: Nachdem dieses Modell seit Jahrzehnten gewachsen ist, wäre es naiv zu glauben, das könnte von heute auf morgen abgeschafft werden. Die Beharrungskräfte sind stark, doch der Druck zum Wandel ist ebenfalls groß. So hat Belgien vor kurzem entschieden, dass Luxemburg aus belgischer Rechtssicht jetzt als Steueroase gilt. Belgische Firmen müssen ab sofort Transaktionen von mehr als 100 000 Euro zwischen den beiden Ländern melden. Ich denke auch, dass die deutsche Regierung in Gesprächen mit Luxemburg Klartext reden wird. Daher habe ich schon Hoffnung, dass es so nicht weitergeht. Doch sicher bin ich mir nicht.

Zum Thema:

HintergrundDie Nichtregierungs-Organisation WEED ( Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung) mit Sitz in Berlin gibt es seit 1990. Sie war seinerzeit angetreten, "um die Verantwortung der Industrieländer für die ungerechte Weltwirtschaftsordnung und globale Umweltzerstörung stärker ins Zentrum der Arbeit von sozialen Bewegungen zu rücken". low

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