Stellenweise prächtig

Saarbrücken · Die Uraufführung von Mark Baldwins „Not a cloud in the sky“ zu Mahler-Musik brachte das Publikum am Samstag in der Saarbrücker Alten Feuerwache aus dem Häuschen. Der erste Teil des Ballettabends, Duda Paivas „The Garden“, enttäuschte jedoch als naives Öko-Märchen.

 Mirko Campigotto und Laura Halm in Mark Baldwins „Not a cloud in the sky”. Foto: Bettina Stöß

Mirko Campigotto und Laura Halm in Mark Baldwins „Not a cloud in the sky”. Foto: Bettina Stöß

Foto: Bettina Stöß

Als guter Zuschauer schafft man mit. Wir kennen diesen Leitsatz der Konzeptkunst und sind bei abstrakten Ballettabenden besonders pflichteifrig. Doch was die Einstiegschoreografie des zweiteiligen "Puppets and Polyphony"-Abends in der Alten Feuerwache angeht, erwies sich übermäßiger Tiefbohrungs-Fleiß als ziemlich überflüssig. Denn "The Garden" des aus Brasilien stammenden Puppentheater-Künstlers Duda Paiva ist eine ziemlich läppische, pseudo-poetische Angelegenheit.

Es geht, so viel lässt sich zusammenreimen, um den falschen Umgang mit der Natur. Sie taucht hier als Blätter beklebter Puppen-Kobold auf, den die Tänzer bewegen. Eine Art Alien auf instabilen Beinchen, dem die Garten-Bewohner Balletttanz beibringen. Das freundliche Monster entwickelt Appetit auf menschliche Erotik - und auf Plastik-Müll. Zum Schluss verfolgt es seine ökologisch euphorisierten Gutmenschen als Totenkopf-Schlangenwesen. Das alles läuft auf einer gänzlich leeren, mit ihrer transparenten Luftigkeit durchaus bestechenden Bühne, bei Vogelgezwitscher und Wassergeplätscher, aber auch mit Soldaten-Chören, Barockmusik und sentimentalen Volksliedschnulzen. Schlüssig ist diese Klang-Kulisse nicht.

Zunächst balancieren fünf Tänzer in hellen, durchbrochenen Unterhemdchen Blätter und Blüten auf Füßen und Ellbogen, wiegen und hegen sie wie Babys. Dies in minimalistischer tänzerischer Präzision. Doch dann keimt eine Art Garten-Phobie samt Putzwahn, die mit Besen ausgelebt wird und in einem Sich-Winden auf dem Boden, in Schreien und Stöhnen endet. Vorhersehbarkeiten statt Überraschungen warten also in Duda Paivas "Garten". Sein Stück schwankt ungut zwischen sprödem zeitgenössischem Tanz und putzigem Figurentheater, und schaukelt dabei zwischen Öko-Pädagogik und Fantasy-Humor.

Kein glücklicher Griff war das der früheren Company-Chefin Marguerite Donlon, auf deren Initiative dieser Abend noch zurückgeht. Allerdings hat sie mit der Einladung ihres zweiten Gastes, des Direktors der angesehenen Rambert Dance Company (London), offensichtlich ganz den Publikumsgeschmack getroffen. Trampeln und Bravorufe standen am Ende von "Not a cloud in the sky". Mark Baldwin nimmt uns zu Gustav Mahlers prunkender Vierter Symphonie in einen ebenso prächtigen, geheimnisvoll oszillierenden Tanz-Kosmos mit. Wann je erlebte man eine derart radikal aus der Musik heraus entwickelte freie Bewegungs- und Bildsprache? Gemäß Mahlers Collage- und Potpourri-Prinzip, das Feierlichkeit und Folklore, Verspieltheit und Strenge, Innovation und historisches Zitat gegeneinander stemmt, konfrontiert uns auch Baldwin mit einem unüberschaubaren, zerklüfteten Mosaik.

Wir befinden uns am Meer, vor einer die gesamte Bühnenrückwand füllenden gemalten Wasser- und Himmels-Landschaft, die ins Abstrakte verschwimmt. Eine Caspar-David-Friedrich-Kulisse, vor der Nebel aufzieht oder eine sonnenbeschienene Wolke vorbeischwebt (Bühne, Kostüme, Licht: Michael Howells). Tänzer sammeln sich wie Schiffsbrüchige auf Granitfelsen und Hafenmauern oder sie werden, Wellen gleich, in Zweier- und Dreier-Formationen angeschwemmt. Mitunter brandet sogar das gesamte, auf 20 Köpfe aufgestockte Corps de Ballett an. Männer und Frauen tragen glänzende, zwischen dunkelblau und samtgrün changierende Ganzkörper-Anzüge und eng anliegende Glatthaar-Frisuren, entmenschte Wesen der Mahlerschen "himmlischen Stadt", Tönen gleich? Dann wieder gefrieren die Tänzer zu skulpturalen Gruppen, die wir aus Gemälden kennen: da Vincis "Abendmahl" oder Géricaults "Floß der Medusa". Jäher Wechsel und Brüche scheinen das einzige verbindende Stilprinzip.

In Baldwins Bewegungs-Sprache hat alles Platz: sehr konventionelle Eleganz, heroische Gesten, roboterhafte Passagen. Den Tänzern fordert dies höchste Flexibilität und Konzentration ab. Der Zuschauer wiederum muss klarkommen mit Überfülle und Hektik. Auch mit Pathos, das den Kitsch streift, und gefälliger Kulinarik. Typisch Mahler eben, zwischen Zartheit und Dynamik, Glücksfantasien und Todesfurcht. Baldwin übermalt den großen Spätromantiker mit dem eigenen dicken Pinsel. Da traut sich einer was. Wir wären ihm deshalb lieber im Großen Haus begegnet.

Die nächsten Termine: 8.5., 10.5., 14.5., 25.5.; Karten unter Tel. (06 81) 3 09 24 86

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