Steinbrück droht mit Enteignung

Berlin. Freiwillige Übergabe oder Zwangsverstaatlichung - vor diese Alternative stellt die Bundesregierung die Aktionäre der maroden Münchener Hypo Real Estate (HRE). Allen voran den amerikanischen Investor J.C. Flowers. Gestern brachte das Kabinett ein "Rettungsübernahmegesetz" auf den Weg, das bei der HRE auch eine Enteignung gegen Entschädigung vorsieht

Berlin. Freiwillige Übergabe oder Zwangsverstaatlichung - vor diese Alternative stellt die Bundesregierung die Aktionäre der maroden Münchener Hypo Real Estate (HRE). Allen voran den amerikanischen Investor J.C. Flowers. Gestern brachte das Kabinett ein "Rettungsübernahmegesetz" auf den Weg, das bei der HRE auch eine Enteignung gegen Entschädigung vorsieht. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) machte deutlich, dass er bei der HRE kein Pardon mehr kennt. Anfang April solle das Gesetz den Bundesrat passieren, danach könne sogleich eine Hauptversammlung stattfinden. Wenn diese keinem Kapitalschnitt und einer Aufstockung zugunsten des Bundes zustimme, oder wenn diese Zustimmung durch Klagen nicht rechtswirksam werde, werde man bis zum 30. Juni eine Verordnung mit dem Ziel einer Enteignung auf den Weg bringen. Die Entschädigung richte sich nach dem Marktwert der Aktien. Gestern Abend lag der Kurs bei rund 1,69 Euro, das gesamte Unternehmen war nur noch etwa 340 Millionen Euro wert. Flowers hatte seinen 24-Prozent-Anteil noch zum Stückpreis von 22,50 Euro erworben und eine Milliarde Euro dafür aufgewendet. Es sei Flowers Problem, wenn er so teuer eingestiegen sei, sagte Steinbrück. "Das kann ich ihm nicht abnehmen." Der Bund will eine "Kontrollmehrheit" von mehr als 90 Prozent der Anteile, weil die HRE dann günstige Refinanzierungsbedingungen hat und schnell wieder stabiler wird. Für einen Kapitalschnitt reicht in der Hauptversammlung nach dem Gesetzentwurf anstelle der üblichen 75 Prozent künftig eine einfache Mehrheit. Zudem wird die Frist für die Annahme eines Übernahmeangebots auf zwei Wochen verkürzt und Kleinaktionäre können zwangsweise abgefunden werden. Diese Regelungen, die für alle Banken gelten, die sich unter den Rettungsschirm flüchten, will Steinbrück bei der HRE zunächst testen, ehe er zur Enteignung greift. Es gebe gute Chancen, dass das gelinge, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die das Vorgehen "alternativlos" nannte.Wegen der bisher an die HRE vergebenen Garantien und Kapitalhilfen von 102 Milliarden Euro sei er verpflichtet, Einfluss auf die Bank zu nehmen, sagte Steinbrück. In Großbritannien und den USA seien ebenfalls "ganz pragmatisch" einzelne Banken verstaatlicht worden. Auch rieten viele Experten zu einem solchen Schritt. "Das denkt sich ja nicht irgendein SPD-Ortsverein aus", sagte der Minister. Tatsächlich begrüßte etwa der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Bert Rürup, den Beschluss. "Das Gesetz ist richtig und unverzichtbar", sagte Rürup unserer Zeitung. "Die Politik muss immer über eine solche Option verfügen, um nicht von den Alteigentümern erpresst werden zu können". Rürup sagte, er wäre sogar weitergegangen. "Aus ordnungspolitischer Sicht halte ich sowohl die zeitliche Befristung wie auch die Beschränkung auf die HRE für problematisch". Ähnlich Gustav Horn vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie: "Es ist noch nicht ausgemacht, ob nicht unter Umständen der ganze Bankensektor verstaatlicht werden muss". Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, äußerte sich skeptischer. Die Enteignungsregelung sei nur hinnehmbar, wenn sie auf die HRE begrenzt sei und eine klare Reprivatisierungsperspektive habe. Die FDP aber schäumte. "Hunderte Konjunkturpakete können nichts bewirken, wenn ein einziges Enteignungsgesetz die Investoren aus Deutschland vertreibt", sagte ihr Vorsitzender Guido Westerwelle. Entsetzt äußerte sich BDA-Chef Dieter Hundt. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) drohte mit einer Verfassungsbeschwerde für den Enteignungsfall. Der Linken wiederum geht der Gesetzentwurf nicht weit genug. Meinung

Regierungmusste eingreifen

Von SZ-KorrespondentStefan Vetter Nicht die Linkspartei hat über Nacht das Kanzleramt besetzt. Am Kabinettstisch sitzen nach wie vor Politiker der Großen Koalition. Daran muss erinnert werden, wenn diese Bundesregierung nun ein Gesetz auf den Weg gebracht hat, das auch die Möglichkeit der Enteignung von Bank-Aktionären einschließt. In der Union wittert man einen Verrat an allem, was der Partei bislang heilig war. Und die Aktionärslobby droht gar mit juristischen Schritten. Dabei sind wir von einem gesellschaftlichen Umsturz weit entfernt. Wenn überhaupt, dann haben ihn die Banken versucht. Sie erdachten die abenteuerlichsten Konstruktionen, um Geld zu scheffeln, hinter dem immer weniger realwirtschaftliche Werte standen. Das Resultat ist ein drohender Zusammenbruch maßgeblicher Kreditinstitute, der den ökonomischen Abwärtssog weiter beschleunigen würde. Jetzt soll ihnen der Staat die Risiken bedingungslos abnehmen, also der Steuerzahler. In dieser komplizierten Situation muss die Regierung wieder für Ordnung sorgen - notfalls auch mit der vorübergehenden Enteignung von Geldhäusern. HintergrundDie Bundesregierung tut alles, um die Hypo Real Estate zu retten, denn das Institut besetzt eine Schlüsselposition in der deutschen Wirtschaft. Als größter Finanzierer staatlicher Haushalte und gewerblicher Immobilien hat die Bank eine zentrale Funktion - ein Zusammenbruch würde das gesamte deutsche Finanzsystem massiv erschüttern. Außerdem ist die HRE der weltweit zweitgrößte Herausgeber von Pfandbriefen. Der Pfandbrief gilt als besonders sichere Anlage, weil er über eine Deckungsmasse verfügt - meist liegen den Pfandbriefen Immobilien mit einem Teil ihres Wertes zugrunde, um Anleger gegen Wertverluste abzusichern. DeutscheBanken refinanzieren ihre Kredite oft über Pfandbriefe. Mit knapp 900 Milliarden Euro ist der deutsche Pfandbriefmarkt einer der größten der Welt.Auch viele Kommunen wären von einer Insolvenz betroffen. Das Institut stellt Geld für staatliche Investitionen zur Verfügung: Unter anderem finanziert die Bank Krankenhäuser, Straßen und andere Infrastrukturprojekte. Zudem haben Städte und Gemeinden auch Gelder bei der HRE angelegt. dpa

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