Tour de France Ob die Tour wirklich sauber ist, bleibt ein Dauerthema

Düsseldorf · Der jüngste Epo-Fall im Team des Deutschen John Degenkolb wirft wieder einen Schatten auf die Frankreich-Rundfahrt.

 Dem US-Amerikaner Lance Arm­strong wurden alle seine sieben Erfolge bei der Tour de France wieder aberkannt. Er ist nicht der Einzige, dem es so erging.

Dem US-Amerikaner Lance Arm­strong wurden alle seine sieben Erfolge bei der Tour de France wieder aberkannt. Er ist nicht der Einzige, dem es so erging.

Foto: dpa/Olivier Hoslet

() Doping bei der Tour de France? Seit Jahren wird diese Frage mit einem höchstoffiziellen „Nein“ beantwortet. Der Kokain-Konsument Luca Paolini aus Italien sorgte 2015 in dieser Beziehung zuletzt für die einzige Auffälligkeit. Aber Experten, unter ihnen die ehemalige deutsche Verbands­präsidentin Sylvia Schenk und der Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel, sind auch vor dem Start der 104. Frankreich-Rundfahrt an diesem Samstag in Düsseldorf skeptisch. Nicht erst nach dem Fall des im Vorfeld der Tour am 18. Juni mit Epo erwischten Portugiesen André Cardoso aus dem Contador- und Degenkolb-Team Trek-Segafredo.

„Die spektakulären Dopingfälle bei der Tour waren doch ziemliche Dummheiten. Diese Zeiten sind offensichtlich vorbei. Wer aber glaubt, es wird nicht tagtäglich an neuen Methoden des Dopens – gerade auch mit bewährten Substanzen – geforscht, der täuscht sich“, sagt der Pharmakologe Sörgel. An die oft kolportierten 98 Prozent der Fahrer, die inzwischen angeblich sauber sein sollen – daran glaubt auch Sylvia Schenk, bei Transparency International Leiterin der „Arbeitsgruppe Sport“, nicht. „Im Weltverband UCI hat sich etwas getan. Aber die Zahl 98 Prozent kann ich mir nicht vorstellen. Es gibt sicher weniger Dopingfälle als in der Hochphase. Aber der Radsport bleibt eine Hochrisiko-Sportart. Es gibt ja dort eine fast 100-jährige Doping-Tradition, in der der Radsport unterschwellig noch drinsteckt“, sagt Schenk.

Das zeigt sich auch beim Blick auf die Siegerliste der Tour: Dem US-Amerikaner Lance Armstrong wurden vom Weltverband UCI wegen systematischen Dopings seine sieben Siege bei der Tour de France zwischen 1999 und 2005 aberkannt. Und auch sein Landsmann Floyd Landis (2007) und der Spanier Alberto Contador (2010) mussten Siege zurückgeben.

Der auch von Tony Martin in der „Sport-Bild“ bemühten 98 Prozent-Einschätzung mag Pharmakologe Sörgel nicht folgen. „Die Öffentlichkeit liebt Zahlen, die eine Genauigkeit vortäuschen. Sie haben Beruhigendes, umso größer ist der Schreck, wenn man aus diesem Beruhigungsschlaf gerissen wird. Diese Zahl ist ja auch eine Dunkelziffer, oder besser Beruhigungsziffer oder Einlullzahl“, sagt Sörgel.

Skeptisch ist auch der 2012 wegen Dopings für zwei Jahre gesperrte Jan Ullrich. Auf die Frage, ob man heute ohne verbotene Leistungssteigerungen die Tour gewinnen könne, antwortete er bei Spiegel online: „Ich will daran glauben. Aber ich will auch daran glauben, dass im Fußball nicht gedopt wird und dass im Bundestag niemand Aufputschmittel konsumiert.“

Zur aktuellen Tour stimmte auch eine kürzliche Umfrage der „L‘Équipe“ nachdenklich: Vier Fahrer aus dem Kreis der Top-Favoriten legten kurz vor dem Start in Düsseldorf noch Trainingseinheiten in Teneriffa ein, wo ein gewisser Eufemiano Fuentes lebt. Jener Arzt, der 2006 die nach ihm benannte Doping-Affäre auslöste. „Hoffentlich wächst da nicht eine neue Doping­insel mit perfektem Versteckspiel heran“, fürchtet Sörgel, der das Kontroll-System „genauso löchrig wie früher“ einschätzt: „Nur die Löcher sind woanders.“ Der Wissenschaftler vermutet: „Wer einen optimalen Berater hat, wird genau die Zehntelprozent hinkriegen, die heute im Hochleistungssport entscheiden. Dafür braucht man noch nicht die leicht nachweisbaren Megadosen.“

Für Rudolf Scharping, den Präsidenten des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) und im weitesten Sinn auch Gastgeber für die Tour in Düsseldorf, sind die Einwände nicht relevant. Das „tödliche Loch der Doping-Krise“ sei überwunden, erklärte er zuletzt in Berlin.

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