Zu oft, zu schnell, zu wenige Pausen

Köln · Bundestrainer Joachim Löw will die Belastung für seine Nationalspieler bei den beiden letzten Länderspielen des Jahres möglichst gering halten. Deswegen gibt es ab morgen wenig Training und viel Rahmenprogramm.

Borussia Dortmund ächzt, Bayern München stöhnt, und auch bei Schalke 04 wächst die Liste der Ausfälle. Schon nach rund einem Drittel der Saison klagen besonders die Top-Teams der Fußball-Bundesliga über immer wiederkehrende Verletzungssorgen. Die Probleme sind aus Sicht der Clubs seit vielen Jahren dieselben: immer mehr Spiele, eine höhere Intensität und dabei weniger Zeit zur Regeneration.

Dabei ist die Anzahl der Pflichtspiele zumindest in den letzten 15 Jahren eigentlich nicht mehr gestiegen. Die Nationalspieler der Bayern etwa konnten 2001/2002 und 2007/2008, durch den Halbfinal-Einzug in einem europäischen Clubwettbewerb und WM- oder EM-Turnier, theoretisch in 74 Pflichtspielen zum Einsatz kommen. In der Saison 2015/2016 betrug das Maximum trotz der aufgeblähten Europameisterschaft nur 67 Partien.

Über einen längeren Zeitraum betrachtet haben allerdings besonders die Nationalmannschafts-Einsätze zugenommen. Seit den 70er Jahren beispielsweise gab es eine Steigerung bei den Länderspielen von fast 30 Prozent. Während Franz Beckenbauer in seiner aktiven Zeit pro Jahr 8,5 Einsätze im Nationaltrikot hatte, sind es bei Dauerbrenner Thomas Müller im Kalender-Jahr 2016 schon vor den Spielen gegen San Marino am Freitag (20.45 Uhr/RTL) und Italien (15. November) deren 13.

Was sich zudem geändert hat, ist die Intensität der Belastung. Bei der WM 1954 zum Beispiel lag die durchschnittliche Laufleistung der Spieler noch unter vier Kilometern. Beckenbauer & Co liefen in den 70er Jahren immerhin etwa sechs Kilometer. Heute legen die Akteure im Schnitt jedoch bis zu elf Kilometer pro Spiel zurück. Der laufintensive Tempo- und Umschaltfußball moderner Prägung tat in der jüngeren Vergangenheit sein Übriges.

Seit 2001 sammelt die "Uefa-Verletzungsstudie für Elite-Clubs" Daten zu medizinischen Details. Der eindeutige Trend: Waren es anfangs noch am häufigsten Knöchelblessuren, die die Profis außer Gefecht gesetzt haben, sind es heute überwiegend muskuläre Verletzungen. Die Uefa-Studie gibt aber Anlass zum Optimismus. Hatten die teilnehmenden europäischen Topclubs beispielsweise in der Saison 2001/2002 noch im Schnitt 30 Verletzungen in Pflichtspielen zu beklagen, sind es heute rund 20 pro Jahr. Greift also die Professionalisierung im Trainingsbereich?

Wenn man Philip Catala-Lehnen, dem ehemaligen Mannschaftsarzt des Hamburger SV , glaubt, ist dies in Deutschland noch nicht der Fall: "Es ist auch in der Bundesliga alles viel amateurhafter, als man denkt", sagte er: "Muskelverletzungen sind meist die Folge von Überbelastung. Und die Ursachen der Überbelastung sind meist schlechte Prävention oder zu viel Training."

Ein positives Gegenbeispiel ist für Catala-Lehnen Bayer Leverkusen . Dort werde im Bereich der Trainingsdiagnostik seit vielen Jahren "sensationell gearbeitet". Der Lohn: Trotz Dreifachbelastung hielten sich die Muskelverletzungen, obwohl für mehr als ein Drittel aller Ausfälle in der Bundesliga verantwortlich, bei Bayer in der Vorsaison in Grenzen. Nach der Auflistung des Statistik-Portals fussballverletzungen.com fehlten den Leverkusenern zusammengenommen 276 Tage Spieler wegen muskulären Problemen. Das ist Platz zehn in der Tabelle der Ausfalltage wegen Muskelverletzungen. Einsamer Spitzenreiter ist Bayern München mit 688 Tagen.

Nach einem ereignisreichen Wochenende gönnte sich Joachim Löw zu Hause eine kurze Verschnaufpause. Erst am Mittwoch geht es für den Bundestrainer und die deutsche Fußball-Nationalmannschaft mit der Vorbereitung auf die Länderspiele in San Marino und Italien weiter.

Löw, am Samstag als "Legende des Sports" ausgezeichnet und am Sonntag Spielbeobachter in London, will für seine in den Vereinen stark beanspruchten Stars die Belastung möglichst gering halten. Deshalb hat er den Treffpunkt in Frankfurt auf Mittwoch verschoben und vor dem WM-Qualifikationsspiel am Freitag (20.45 Uhr/RTL) in Serravalle gegen San Marino nur zwei Trainingseinheiten in Rimini angesetzt.

Bevor es dann am Dienstag (20.45 Uhr/ARD) in Mailand zum Klassiker gegen Italien kommt, steht bei der DFB-Auswahl auch das Wochenend-Programm im Zeichen der Ablenkung und Erholung. Neben einer Privataudienz bei Papst Franziskus im Vatikan sind in Rom noch eine Stadtrundfahrt und ein Teamabend geplant - nur kein Fußball. "Die Grenze für die Belastbarkeit der Spieler ist erreicht - sportlich und mental. Wir müssen uns darüber klar sein, dass auf Dauer die Qualität darunter leidet", sagte Löw.

Löw verzichtet daher sogar auf etablierte Kräfte. Mesut Özit (FC Arsenal ) darf komplett zu Hause bleiben, Toni Kroos (Real Madrid ) und Sami Khedira (Juventus Turin ) werden wohl nur gegen San Marino zum Einsatz kommen. So können Serge Gnabry, Yannick Gerhardt und Benjamin Henrichs, die erstmals dem DFB-Kader angehören, auf ihr Debüt in der A-Nationalmannschaft hoffen.

Ausfallen wird der Münchner Jérôme Boateng . "Ich habe seit zehn Tagen leichte Probleme am Knie und den Adduktoren. Ich konnte gegen Hoffenheim auch nur mit Schmerztabletten spielen. Leider sind dann auch noch Muskelprobleme dazugekommen", begründete der Innenverteidiger seine Absage. Auf eine Nachnominierung verzichtet Löw, da in Mats Hummels , Benedikt Höwedes , Jonathan Tah und Shkodran Mustafi noch genügend Innenverteidiger im Kader stehen.

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